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Aykut Anhan nennt sich als Rapper Haftbefehl.

© Robert Wunsch

Neues Album von Haftbefehl: Schuld und Erlösung

Deutschlands bester Straßenrapper: Haftbefehl beweist mit dem Album „Russisch Roulette“ seine Dominanz. Es handelt vom Kampf zwischen Allah und Shaytan, zwischen der Welt da draußen und dem Zeug im Koffer.

Haftbefehl mag klare Ansagen und lässt sein viertes Album mit einem kräftigen „ihr Hurensöhne!“ beginnen. Also startet auch dieser Text mit einer klaren Ansage: Haftbefehl ist der beste Rapper Deutschlands und „Russisch Roulette“ das beste Deutschrap-Album des Jahres.

Er ist nicht der beste Rapper, weil er „authentisch“ ist und das Drogengeschäft, von dem er erzählt, von innen kennt. Er ist auch nicht der beste Rapper wegen seines Flows irgendwo zwischen Ticker vom Bahnhof und Ebbelwoi-Suffi, mit vielen Kehllauten. Nicht einmal wegen seiner Sprache, die Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch mit Anleihen aus Rotwelsch, Französisch und Zaza mischt. Der Grund ist einfacher: Haftbefehl ist der beste Rapper Deutschlands, weil er traurig ist.

„Kriegsgebiet meine Herkunft“ fasst Haftbefehl seine Familiengeschichte auf dem am Freitag erscheinenen Album „Russisch Roulette“ zusammen. Aykut Anhan wurde 1985 in Offenbach geboren, seine Eltern waren zazaische Kurden. „Jeder Kurde, der ein bisschen was zu sagen hatte in den Neunzigern, kennt meinen Vater“, hat er in einem Interview gesagt. Der Vater war ein Spieler und depressiv. Er bringt sich um, als Aykut 14 ist. Aykut fängt an, Drogen zu verkaufen, es gibt Verhaftungen und Anzeigen, Flucht nach Istanbul, eine Rückkehr ins Geschäft. Auf Rap konzentriert er sich erst, als er merkt, dass er damit Geld verdienen kann. Die Alben „Azzlack Stereotyp“ und „Kanackiş“ werden Szene-Erfolge, die ihm einen Millionendeal bei Universal verschaffen.

Zynisch gesprochen: Da ist tatsächlich mehr als in den Biografien der meisten deutschen Rapper, ein Leben wie aus einem Roman von Richard Price, oder eben aus der Realität. Auf „Russisch Roulette“ erzählt er auch die Geschichte seiner Jugend, 1999 in Offenbach. Das ist das Jahr, in dem er sich mit Freunden die Stadt erobert, in dem er seinen Vater verliert und in dem er mit dem Dealen anfängt: „Offenbach bleibt hart, forever Nordend“.

Der Sprachmix von Haftbefehl ist schwindelerregend

Jakob Arjouni hat Offenbach in einem seiner Kayankaya-Krimis „die hässliche kleine Schwester von Frankfurt“ genannt, bei Haftbefehl heißt sie Off-City, die Stadt im Abseits. Nebenan in Frankfurt gibt es noch tieferen Dreck, aber noch größere Höhen. Dort wurde schon in den Neunzigern der härteste deutsche Hip-Hop gemacht: Konkret Finn erfanden hier mit „Ich diss dich“ Battle Rap auf Deutsch, Moses P und das Rödelheim Hartreim Projekt hatten mit ihrem „In die Fresse“-Rap sogar Mainstreamerfolg.

„In die Fresse“-Rap macht Haftbefehl auch. Bekannt wurde er mit gnadenlosen Tracks wie „Ich nehm dir alles weg“ oder „Hungrig und stur“. Ein weiterer, „Chabos wissen, wer der Babo ist“ machte ihn sogar kurz zum Feuilleton-Liebling. Sein schwindelerregender Sprachmix wurde analysiert, der „Spiegel“ nannte Haftbefehl einen Erneuerer der deutschen Sprache, die „Zeit“ ein artistisches Genie, den Erfinder einer Meta-Sprache. Haftbefehl nennt sie „Kanackiş“. Mit Feridun Zaimoglus Kanak Sprak hat das nicht sehr viel zu tun, eher mit der cityspeak aus „Blade Runner“: „Hafti Abi, Baby, Straßenstar international, biji biji Kurdistan, isch machs auf die Babo-Art.“

Haftbefehl machte "Babo" zum Jugendwort des Jahres

„Chabo“ (Rotwelsch für „Junge“, eine unwichtige Person) und „Babo“ (Zaza für Chef oder Papa) waren zwar schon vorher Szenebegriffe, aber erst Haftbefehl machte sie zu den Jugendworten des Jahres 2013. Der Track wurde auch zum Ziel von Parodien und Spott, aber wen die selbstsichere Eleganz dieser Zeilen nicht umhaut, der hat Hip-Hop nicht verdient.

Deutscher Rap macht sein Geschäft in der Mittelstufe, egal wie hart er sich gibt. Die Punchline-Pumper Kollegah und Farid Bang sind vor allem bei Jungs zwischen 12 und 17 beliebt, das ändert keine Indizierung. Mit diesem Markt wollte Haftbefehl nichts zu tun haben, und wer sich in Berliner Schulen Musik vorspielen lässt, der wird tatsächlich Kollegah und immer noch Bushido hören, aber selten seine Musik. Denn um die amoralischen Dinge übers Ficken und Fighten feiern zu können, die Haftbefehl wie alle anderen auch verkündet, muss man sie überhaupt entziffern können. Schon deswegen passt er nicht in die Schublade des professionellen Jugendgefährders.

Ein anderer Vorwurf wiegt schwerer, der des Antisemitismus. Die Zeile „ich ticke Koks an die Juden von der Börse“ kann man als platten Witz abtun, das dauernde Gerede über die Rothschilds, auch auf dem neuen Album, ist extrem ärgerlich. Einerseits vergleicht er sich mit dem „Dritten Reich“, andererseits beschimpft er Faschisten, vielleicht einmalig im Gangsta-Rap. Haftbefehl erwähnt oft seine „Achis aus Palestin“, seine Brüder, für die er zur Not auch mit Uzis aus Tel Aviv kämpft, wie im fast schon politischen Titeltrack „Russisch Roulette“. Aber seinen Schmuck kauft er bei einem Juwelier aus Israel. Bedenkt man, wie wichtig bling für Haftbefehl ist, könnte man das fast als Philosemitismus verstehen.

Immer wieder spuckt er die Worte: "Haram para" schmutziges Geld aus

Aykut Anhan nennt sich als Rapper Haftbefehl.
Aykut Anhan nennt sich als Rapper Haftbefehl.

© Robert Wunsch

Es wäre auch schade, ihn einfach abzuschreiben. In Interviews erlebt man einen jungen Mann mit Witz in den dunklen Augen, der eigentlich nur in Ruhe gelassen werden möchte. Er hat eine Handvoll Freunde, die bei seinem Label Azzlack sind. Von Fehden mit anderen Rappern hält er sich fern. Es frustriert ihn, wenn seine nachdenklichen Stücke nicht bei den Hörern ankommen. Er zweifelt. Und er hängt lieber mit Cro und Casper ab, sagt er, als „mit den ganzen Straßenrap-Affen“.

Seit zehn Jahren ist Straßenrap das große Ding im deutschen Hip-Hop. Haftbefehl ist der einzige im Land, den man mit amerikanischen Vorbildern auf eine Stufe stellen kann, weil er ihnen nicht nacheifert, sondern eigene Wege sucht. Dabei zehrt Straßenrap immer noch von dem, was Jay-Z geschaffen hat. Auf seinem ersten Album „Reasonable Doubt“ (1996) verschärfte er das vorherrschende Image des „Gangsters“ zum Drogendealer, der – immerhin geht es bei HipHop um Widersprüche – gleichzeitig an der Ecke dealt und wie Scarface lebt. Der gleichnamige Film mit Al Pacino von 1983 ist der Urtext für das Straßenrap-Narrativ: mit kühlem Kopf und heißem Blut zahlreiche Gegner ausschalten, selber jede Menge sniffen und in einer Villa leben. Dass der Film damit endet, dass „Narbengesicht“ Tony Montana erschossen in seinem Springbrunnen liegt, wird ignoriert.

Haftbefehl zeigt Drogenbosse als schlechte Menschen - ein Wagnis im Straßenrap

„The World Is Mine“, sagt Haftbefehl an einer Stelle, das kommt von „The World Is Yours“: das Versprechen der Welt an den kubanischen Immigranten Tony Montana. Der American Dream. Jay-Z hat diesen Subtext hervorgezerrt, aufpoliert und mit einem Preisschild versehen. Damit ist er fast Milliardär geworden. Und selbst ganz oben immer noch Straße. Denn zum Straßenrap gehört auch, dass jeder betont, dass er die Musik eigentlich gar nicht braucht, weil das alte Geschäft immer noch so gut läuft. „Where I get the money for this? Don’t think rhymin’“ – sagt etwa CamRon von Dipset. Das ist zwar ein interessanter Einblick in kapitalistische Selbstbehauptung, aber vor allem eins: Quatsch. Quatsch, der sich verkauft.

Haftbefehl hat solche Plattheiten nicht nötig. Seine Musik ist next level. Sie überfordert. Sein Album erschlägt vom ersten Moment an. Wo früher manches wie hingerotzt wirkte, verbergen sich heute in den brachialen Beats kleine Feinheiten. Beim Rappen versteckt sich Haftbefehl nicht mehr hinter den kehligen ch-Lauten. Vielleicht, weil es diesmal um zu viel geht.

"Engel im Herz, Teufel im Kopf" heißt ein Track

Denn er wagt auf „Russisch Roulette“ etwas für Straßenrap Mutiges. Er zeigt, dass Drogenbosse schlechte Menschen sind, die ihren Reichtum dem Leid anderer verdanken. Diese Linie – nicht nur die weiße – zieht sich durch das Album. Eigentlich geht es in „Russisch Roulette“ um Erlösung und Schuld. Zwei Worte fallen immer und immer wieder – para, also Geld, und haram, also im Islam verboten, quasi schmutzig. Im Track „Haram Para“ führt Haftbefehl sie zusammen, spuckt sie immer wieder aus: haram para, haram para, haram para. Dirty Money, aber eben auch verbotenes Geld, das Symbol für das falsche Leben im falschen.

Die Bilder, die Haftbefehl benutzt, sind nicht immer ausgefeilt, aber effektiv. Es ist der Kampf zwischen „Engel im Herz, Teufel im Kopf“, so der Titel eines Tracks. Der Kampf zwischen Allah und Shaytan, zwischen der Welt da draußen und dem Zeug im Koffer. Haftbefehl kann den Kampf eigentlich nur verlieren, und daran ist nur er selber schuld. Schon in „Mann im Spiegel“ prophezeite er, sich irgendwann eine Pumpgun in den Mund zu stecken und abzudrücken, aus Einsamkeit und Hass auf die eigene Gefühlskälte.

Da ist sie wieder, die Traurigkeit. Die teilt er mit seinem großen Vorbild Biggie Smalls, der ebenfalls verkündet hat, „ready to die“ zu sein, weil er zu viel Mist gesehen und vor allem gemacht hat. Ihm war ein Leben in Frieden nicht gestattet. Haftbefehl hingegen gönnt sich ein bisschen Hoffnung: Leben, life, hayat, so der letzte Track auf dem Album. Haftbefehl ist am Leben. Ob er das überhaupt verdient hat, das lässt er offen. Es ist diese hart verdiente Ambivalenz, die aus „Russisch Roulette“ nicht nur das beste Deutschrap-Album des Jahres macht, sondern eins der besten fünf aller Zeiten.

Jetzt muss er nur noch mit dem Nutten-und-Bitches-Scheiß aufhören.

„Russisch Roulette“ erscheint am 28.11. bei Universal.

Fabian Wolff

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