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Die australische Singer-Songwriterin Courtney Barnett.

© Dooneh Ghana/Rough Trade

Neues Album von Courtney Barnett: Die Wut muss raus

Grandios: Mit ihrem Album „Tell Me How You Really Feel“ erweist sich Courtney Barnett als die Retterin des Folkrock

Was Männer und Frauen voneinander unterscheidet, hat niemand sarkastischer beschrieben als die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood: „Männer haben Angst, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen.“ Courtney Barnett zitiert Atwoods Aphorismus im Refrain ihres ziemlich lauten, ziemlichen wütenden Songs „Nameless, Faceless“.

Es geht um die Furcht vor einem Gang durch den dunklen Park, um den Schlüssel, den die Protagonistin zwischen ihren Fingern hält, um sich jederzeit wehren zu können. „Man, you’re kidding yourself if you think / The world revolves around you“, singt Barnett zu ihrer röhrend verzerrten E-Gitarre und einem polternden Schlagzeug. Klingt nach Kampfansage.

„Nameless, Faceless“ und das daran anschließende, noch etwas rabiatere Grungerockstück „I’m Not Your Mother, I’m Not Your Bitch“ bringen die Botschaft von Barnetts herausragendem Album „Tell Me How You Really Feel“ auf den Punkt: Furcht ist keine Lösung. Die australische Sängerin, die in Melbourne ihr eigenes Plattenlabel Milk Records betreibt, ist vor drei Jahren für ihr Debütalbum „Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit“ als Erneuerin des Folkrock gefeiert worden. „Tell Me How You Really Feel“ knüpft an die Melodieseligkeit und Verspieltheit der Vorgängerplatte an, klingt aber deutlich zorniger.

Den Klischees und Rollenmustern des Rock-’n’-Roll-Business setzt Barnett ihre eigene Wirklichkeit entgegen. „Es scheint nur zwei Möglichkeiten zu geben, wie Frauen in diesem Geschäft wahrgenommen werden: als böse Hexen oder harmlose Jungfrauen“, hat sie in einem Interview mit dem Musikmagazin „Rolling Stone“ gesagt. „Es ist Zeit, sich zu positionieren“, findet die Sängerin. Mit dem Machismo der Branche will sie nichts zu tun haben, doch genauso verhasst sind ihr die Phrasen der Selbstoptimierer und Problemweglächler.

Barnett verwandelt Zorn in schönste Popmomente

Ihr in einem sägenden Gitarrensolo kulminierendes Rumpelrockstück „Help Your Self“ macht sich über die Sprache von Meditations-Apologeten und YogaGurus lustig. Weisheiten und Ratschläge wie „Breath out, breath in“ oder „Pull back and release“ driften, begleitet von einem klimpernden Piano, ins argumentative Nirvana. Barnett will nicht ein- und ausatmen, sie will auch nicht loslassen. Nein, die Wut muss raus. Wobei es ihr immer wieder gelingt, den Zorn in allerschönste Popmomente zu verwandeln. Etwa im furiosen Ohrwurm „Charity“, der in einem ironischen Zwiegespräch von den Schwierigkeiten auf dem Weg zum Glück erzählt.

Courtney Barnett, die im November 30 wird, hat seit ihren Teenagerjahren in Bands gespielt. Patti Smith und Nirvana gehören zu ihren Idolen, mitunter erinnert ihre Mischung aus Schroffheit und Schönheit an den frühen Neil Young. Bei zwei Stücken von „Tell Me How You Really Feel“ singen Kim und Kelley Deal von der amerikanischen Alternative-Rock-Band The Breeders mit. Entstanden ist die Platte nahezu unter Livebedingungen, der Sound sollte dokumentieren, „dass ein paar Menschen in einem Raum gemeinsam Musik machen“. Immer wenn es zu lieblich werden droht, zerschreddern Störgeräusche den Wohlklang. Haltung ist wichtiger als Virtuosität.

Mit „Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit“ hatte es Barnett in Australien in die Top Ten der Charts geschafft, in Großbritannien und den USA in die Top Twenty. Der Erfolgsdruck, der danach auf ihr lastete, führte zu einer Schreibblockade. Statt schnell ein neues Soloalbum nachzulegen, nahm die Singer/Songwriterin erst einmal mit ihrem amerikanischen Kollegen Kurt Vile die Platte „Lotta Sea Lice“ auf, eine tiefenentspannte Sammlung von Folkballaden.

Barnett hadert mit sich, einer der schönsten Songs des neuen Albums zeugt bereits im überlangen Titel von Selbstzweifeln: „Crippling Self Doubt and a General Lack of Self Confidence“. Doch „Tell Me How You Really Feel“ endet optimistisch. „Keep on keepin’ on, you know you’re not alone“, singt Barnett im Schlussstück. Mit dem Weitermachen darf man niemals aufhören.

„Tell Me How You Really Feel“ von Courtney Barnett ist bei Marathon/Rough Trade erschienen, Konzert: 11.6., Astra.

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