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Héloïse Letissier alias Chris.

© Suffo Moncloa

Neues Album von Christine And The Queens: Kenne keine Scham

Christine and the Queens heißt jetzt nur noch Chris und hat ein flirrendes Elektropop-Album herausgebracht. Es geht um Sex, Gender, Schmerz und Sehnsucht.

Blutige Kratzspuren am Rücken, ein kreisrunder Knutschfleck am Hals – dieser Körper hat offensichtlich eine heiße Nacht hinter sich. Und er macht sich bereit für mehr: Liegestütze, Augentropfen, Dusche. Der Schrank ist prall gefüllt mit schicken Anzügen und Schuhen. Aber erst mal wird eine schwarze Lederkorsage umgeschnallt. Ja, das wird wieder eine sexy Nacht. Doch es geht nicht um ein privates Vergnügen – hier macht sich eine SM-Sexarbeiterin bereit.

Verkörpert wird sie von der französischen Musikerin Hélöise Letissier, bekannt geworden unter dem Namen Christine and the Queens. Mit dem Videoclip zu ihrem Elektropop-Song „5 Dollars“ spielt sie auf eine Szene des Films „American Gigolo“ von 1980 an, in der sich Richard Gere als Callboy ebenfalls für einen Job bereit macht. Letissier schnappt sich diese Rolle einfach, legt sie etwas härter an und führt in dreieinhalb Minuten mitten hinein in die flirrende Welt ihres gerade erscheinenen zweiten Albums. Sehnsucht, Sex und Gender sind die dominierenden Themen, die Letissier aus der Perspektive einer androgynen, leicht machohaften Frau erforscht – „eager and unashamed“, begierig und ohne Scham, wie sie in „5 Dollars“ singt.

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Sie heißt Chris, genau wie das Album. Der genderneutrale Name signalisiert einen Neuanfang der 30-Jährigen, die seit einer Weile eine Kurzhaarfrisur trägt und deutlich athletischer wirkt als noch vor vier Jahren, als sie ihr Debütalbum „Chaleur Humaine“ herausbrachte. Mit dem größtenteils auf Französisch gesungenen Werk, das sich mehr als eine Million Mal verkaufte, gewann sie Promi-Fans wie Elton John und Madonna. Sie war auf dem Cover des „Time“-Magazins, wurde von Musikmagazinen ebenso gefeiert wie von „Vanity Fair“.

Chris ist pansexuell, manchmal machohaft, aber auch verletzlich

Sehr zu recht, doch nun will Hélöise Letissier mehr – vor allem: mehr von sich zeigen. Wurde ihr einst davon abgeraten, ihre queere Identität zu deutlich ins Spiel zu bringen, sagt sie jetzt frei heraus, dass sie sich als pansexuell definiert. Sie liebt also Menschen unabhängig von deren Geschlecht. Hinzu kommt, dass ihre eigene Genderidentität fluide ist, sie sich etwa wie ein Mann fühlt, wenn sie einen Mann begehrt. Im Refrain des Songs „Girlfriend“ bringt Chris es so auf den Punkt: „Don’t feel like a girlfriend/But lover/ Damn, I’d be your lover“. Sie will ein genderloser „lover“, kein weiblich codiertes „girlfriend“. Das mit dem US-amerikanischen Musiker und Produzenten Dâm-Funk eingespielte Lied ist das beste des Albums, ein süchtig machender Elektro-Funk-Hit mit hohem Sexyness-Faktor.

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An dieses Niveau reichen die restlichen zehn Lieder – die Platte erscheint in einer englischen und in einer französischen Version – nur streckenweise heran. Trotzdem ist „Chris“ ein Highlight des Pop-Herbstes voller strahlender Synthiehooks und sehnsüchtiger R’n’B-Balladen. Hélöise Letissiers Bewunderung für Madonna und Michael Jackson ist unüberhörbar – in den Videos auch unübersehbar. Alle ihre neuen Stücke hätten in den achtziger Jahren perfekt ins Mainstream- Radioprogramm gepasst – und tun es heute dank des endlosen Revivals der Dekade wieder. Mal tänzeln sie wie der tolle Eröffnungssong „Comme si“ ins funkige Fach, mal machen sie die ganz große Gefühlskino-Kiste auf. Denn bei aller Direktheit, die an Anna Calvis thematisch verwandtes kürzlich erschienenes Album „Hunter“ erinnert, scheut sich Chris nicht, auch ihre Verletzlichkeit zu zeigen. Besonders anrührend gelingt ihr das in dem ruhigen, sparsam instrumentierten „Make Some Sense“, das offenbar eine Jugenderinnerung heraufbeschwört. Der Schmerz von damals durchweht noch den Gesang, doch die Hilflosigkeit dieser Zeit scheint ein für allemal überwunden.

„Chris“ ist bei Caroline erschienen. Konzert: 15.10., 20 Uhr Columbiahalle.

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