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Die Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger.

© Doro Tuch

Neues Album von Christiane Rösinger: Mach mal Pause mit dem Herzrausreißen

Feiner Indie-Pop aus Kreuzberg: Christiane Rösinger und ihr zweites Soloalbum „Lieder ohne Leiden“, das sie wieder zusammen mit Andreas Spechtl aufgenommen hat.

Bei der Debatte um die Stasi-Vergangenheit von Kurzzeit-Staatssekretär Andrej Holm ist dessen eigentliches Kernthema – eine soziale Wohnungpolitik – in den Hintergrund gedrängt worden. Für alle, die es bedauern, dass der Stadtsoziologe jetzt nur noch als Politikberater und nicht mehr als Akteur an der Seite der Berliner Gentrifizierungsverlierer steht, gibt es nun Trost von einer führenden Vertreterin des Kreuzberger Indie-Pop-Adels: Christiane Rösinger singt mit ihrer Single „Eigentumswohnung“ gegen die Verdrängung von Mieterinnen und Mietern an. Das zackig-rumpelige Dreiminutenstück beginnt direkt mit dem von einem Chor gesungenen Refrain: „Von den Eltern zur Belohnung/ Und zur eigenen Nervenschonung/ Und zur ständigen Naherholung/ Kriegen wir jetzt eine Eigentumswohnung“.

In den Strophen verarbeitet Rösinger in lakonischen, treffsicheren Reimen diverse Rechtfertigungsfloskeln von Neu- Wohnungsbesitzerinnen und -besitzern, die angeblich niemanden verdrängen wollen. Wobei die Zeile „Wir leben eigentlich selber prekär/ Wenn das mit der Wohnung nicht wär’“ die Absurdität ihrer Argumentation auf die Spitze treibt.

Das Video zu dem Stück entstand in der Altbauwohnung, in der die Musikerin und Autorin seit 30 Jahren wohnt. Rund ein Dutzend neugieriger Kaufinteressenten plus Kinder lässt sich darin von einer Maklerin die Räume zeigen, während die Noch-Mieterin versucht, ihren Alltag fortzusetzen.

Die Wohnung der Musikerin wurde verkauft

Ein Schreckensszenario, das viele Berliner kennen. Auch die einstige Sängerin und Gitarristin von Britta und den Lassie Singers hat das selbst erlebt. Als Bauerstochter aus einem badischen Dorf gehört Rösinger nicht zu denjenigen, denen die Eltern Immobilien schenken. Ihre Wohnung in der Nähe des Mariannenplatzes wurde verkauft. Noch ist unklar, was der neue Besitzer plant.

„Eigentumswohnung“ von Christiane Rösingers gerade erschienenem zweiten Soloalbum „Lieder ohne Leiden“ ist ein ebenso starker Berlin-Song  wie es „Berlin“ von der Vorgängerplatte war, die 2010 herauskam. Gelang ihr damals ein wunderbares Stadtpanorama, das im Stile des Wiener Lieds die Öko-Eltern, Hostelhorden und Techno-Leichen der deutschen Hauptstadt auf die Schippe nahm, zoomt sie diesmal ganz nah an ein neuralgisches Detail heran. Und beweist sich ein weiteres Mal als präzise-humorvolle Chronistin ihrer Wahlheimat.

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Die restlichen acht Lieder sind keineswegs „ohne Leiden“ wie der Albumtitel in Anspielung an das Udo- und Jenny-Jürgens-Duett „Liebe ohne Leiden“ behauptet. Doch verglichen mit „Songs Of L. And Hate“, das selbsttherapeutische Züge hatte und die Verzweiflfunglyrik mitunter ins Groteske übersteigerte, geht es diesmal nicht ganz so finster zu. Rösinger ruft sich im Titelstück quasi selbst zur Ordnung, wenn sie singt: „Ich will Lieder ohne Leiden/Ich kann mir doch nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden/ Ich will Lieder, die nichts bedeuten/ Ich kann mir doch nicht jedes Jahr das Herz rausreißen.“ Um diese Zeilen zu unterstreichen, kommt ihre Tochter Virginia Rösinger als zweite Gesangsstimme dazu, was dem melancholisch dahinschaukelnden Stück eine sanfte Nachdrücklichkeit verleiht, zu der auch die Snare-Doppelschläge beitragen.

Eine gewisse Altersmilde findet sich auch in „Joy Of Ageing“, in dem die 56- Jährige die positiven Seiten des Lebensfrühherbstes feiert. Vom „Mittun in der Dating-Welt“ sei man nun endlich freigestellt und dem Glück renne man auch nicht mehr hinterher. Rösinger – jahrzehntelange Kämpferin gegen die „Pärchenlüge“ – variiert noch einmal das von ihr immer wieder beackerte Thema der überbewerteten Liebe.

Der Sound ist opulenter geworden

Das in mittlerem Tempo gehaltene, von Akustik- und E-Gitarren angetriebene Indie-Pop-Stück klingt, als hätten sich ihre frühere Band Britta und die Gruppe Ja, Panik zusammengetan. Was nicht nur an den untergemischten englischen Textzeilen liegt, sondern auch daran, dass Ja,-Panik-Frontmann Andreas Spechtl hier zu hören ist. Er hat wie schon bei „Songs Of L. And Hate“ zusammen mit Christiane Rösinger die Musik geschrieben und von den Gitarren, Synthesizern, über Bass und Schlagzeug bis hin zum Akkordeon auch die meisten Instrumente darauf gespielt und die Platte produziert.

Den klaren, pianolastigen Sound des Vorgängeralbums haben die beiden gegen etwas üppigere Arrangements und Instrumentierungen eingetauscht. Sogar Bläser und ein Cello dürfen gelegentlich mitmischen. Dem abwechslungsreichen Werk ist deutlich anzumerken, dass Christiane Rösinger nach einer Phase des Angewidertseins von der Indierockszene, in der sie lieber Bücher schrieb, Deutschunterricht für Geflüchtete gab und die Beete ihres Schrebergartens bestellte, wieder richtig Lust aufs Musikmachen hat. Und sie hat eben auch weiterhin etwas zu sagen, bleibt relevant und behauptet ihre Stellung – auf eine ähnlich bewundernswerte Weise wie Bernadette LaHengst oder ihre Label-Kollegen Die Türen.

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Besonders gut zeigt das der Song „Was jetzt kommt“. In diesem Abgesang auf den alternden, weißen Mann, der sich an seine Machtposition klammert, stellen zäh-zerdehnte Akkordeon- und Synthesizer-Akkorde das bald zu Ende gehende Zeitalter dieser Gruppe dar. Ein hineintänzelndes Klavier kündet schon die Wende ins Fröhlichere an, die sich dann genau nach zwei Minuten mit voller Bandpower auch vollzieht. Der Bass drängt auf die Tanzfläche, und Christiane Rösinger singt mit verdoppelter Stimme: „Manche Dinge, die versteht ihr nie/ Diversity und Gendertheorie/ Andere nehmen eure Plätze ein/ Sie werden nicht so weiß und männlich sein.“ Sie rät den Alten, es zu nehmen wie ein Mann und abzutreten.

Mut geben könnte ihnen dabei das letzte der „Lieder ohne Leiden“. Es trägt den Titel „Das gewölbte Tor“ und ist die Vertonung eines Briefes von Heinrich von Kleist. Es ist ein bewegender Moment, wie sich Rösinger hier erst mit monotoner Stimme durch einen abgrundtiefen Lebenszweifel hindurchsingt und schließlich beim Anblick der Steine eines Torbogens den Glauben findet, „dass auch ich mich halten würde, wenn alles mich sinken lässt“. Diese selbstbewussten Zeilen hallen lange nach, während eine zerrende, dröhnende Gitarre den Torbogen auf seine Standfestigkeit prüft. Möge er sich lange halten – genau wie Christiane Rösinger in ihrer Kreuzberger Wohnung.

„Lieder ohne Leiden“ erscheint bei Staatsakt. Konzert: HAU 1, 1.4., 20 Uhr

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