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Neues Album von Bonobo: Tagträume auf der Weichbodenmatte

Der britische Produzent Bonobo ist auf seinem Album „Fragments“ zwischen Clubmusik und Klangtapete unterwegs.

Dance-Jahre waren im letzten Jahrtausend ja noch wie Hundejahre; alles ging rasend schnell. Man musste das reguläre Lebenstempo in etwa mit dem Faktor Sieben multiplizieren, um die technischen wie künstlerischen Neuentwicklungen überhaupt fassen zu können. Heute ist das nicht mehr so: Auch Künstler:innen und Gruppen, die im weitesten Sinne in der Dance- oder der elektronischen Musik verwurzelt sind, bleiben schon seit einer Weile ganz gerne in dem Bereich, in dem sie sich wohlfühlen.

Beispiel Bonobo: Der britische Musiker, mit bürgerlichem Namen Simon Green, veröffentlichte sein Debütalbum „Animal Magic“ vor 21 Jahren. Darauf zu hören war eine Musik, die man damals meist als Downbeat oder Downtempo bezeichnete: maximal entschleunigte und analog angepinselte Tracks, deren Klangästhetik fest im Raster des einschlägig bekannten Labels Ninja Tune festgezurrt war.

Verschmelzung von Digitalem und Analogem

Mit ihren weiten Klangbögen war sie aber von Anfang an zu groß, um ausschließlich eine Angelegenheit für Checker und Nerds zu sein. Ab 2006 fanden sich die Tracks von Bonobo auf zahlreichen Soundtracks von Serien wie „Skins“ und „House Of Cards“ bis zu Werbespots und Spielen, sie wurden Teil eines kulturellen Kanons.

In den vergangenen Jahren hat Simon Green seinen Stil nicht neu definiert, wohl aber immer wieder neu austariert und mit stets aktualisierten Fußnoten versehen. Er ist noch geschickter im Spiel der Verschmelzung von Digitalem und Analogem, von Samples und live Eingespieltem geworden. Auch darin, seine Hörer:innen vor Fragen zu stellen, etwa vor jene: Ist das jetzt eigentlich Bassmusik, die ihre DNA in schwitzigen Clubs hat, aber eben entschleunigt wurde für die Momente nach der großen Euphorie? Für die einsetzende Helligkeit und das Wissen darum, dass man die letzten 48 Stunden auf dem Dancefloor überlebt hat? Oder ist das gediegener Home-Rotweinsound, der dann am meisten hermacht, wenn die gutverdienende Gästeschar am Eichentisch flätzt?

Eine altbekannte Problematik, der sich Downbeat-Musik oft stellen muss und wegen der sie bisweilen belächelt wird. Green beantwortete sie zuletzt auf „Migration“, wenn auch ohne große Worte. Das Album ließ sich mit verästelten Tracks wie dem achtminütigen „Outlier“, den Innov-Gnava-Vocals auf „Bambro Koyo Ganda“ oder dem soundtrackhaften „Second Sun“ als seinen Kommentar zu einer Welt im Wandel lesen, zum eigenen Nomadenleben, aber auch jenem von Millionen Menschen auf der Flucht.

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„Fragments“ trifft uns fünf Jahre später in einem Moment, der für solche Musik wie geschaffen scheint. Die Erzählung der Platte liegt entsprechend auf der Hand: Ein regulärer Ausgehbetrieb war in den letzten 22 Monaten kaum möglich, Tanzmusik also auf gewisse Weise redundant.

Und an den Eichentischen saßen keine Gästescharen mehr, sondern Kinder, die ihre Hausaufgaben machten. Green hatte natürlich auch Zeit. Wo „Migrations“ noch auf Touren entstand, arbeitete er nun im Heimstudio. Er antwortet auf das Problem des erzwungenen Stillstandes mit einer Mischung aus Trost und Trotz, die im zweiten Track „Shadows“ sehr deutlich benannt wird.

[„Fragments“ erscheint bei Ninja Tune]

„I Can Retrace The Memories In The Shadow“ zärtelt hier der australisch-neuseeländische Sänger Jordan Rakei mit schönster Sehnsuchtsstimme. Dazu pendelt die Musik zwischen zwei Extremen: einerseits tupft Green auf einen durchaus handfesten Beat Synthie-Sounds aus dem Clubbetrieb, andererseits faltet er so eine Art Weichbodenmatte in den Track, die auch all diejenigen auffängt, die über die „Daydreams“, die im Text aufgezeigt werden, ihr Gleichgewicht verlieren.

Auch das folgende „Otomo“ lässt sich als Kommentar zu Lage begreifen. Während Green sehr maschinell agiert und immer auf der Suche nach dem „Drop“ ist, also jenem Weckruf, der das Publikum aus der Monotonie des Beats holt, gibt ein obskures Sample den melodiösen Ton an; es stammt aus dem Stück „Subrali Sa“ der 100 Kaba Bagpipes, einer 1961 gegründeten Dudelsack-Gruppe aus den Rhodopen, einem Rumpfgebirge im Süden Bulgariens. Wobei man die Dudelsäcke bei Bonobo kaum mehr hört, er bedient sich bei den Gesangsparts, schiebt sie so lange ineinander, bis man den Eindruck hat, dass da 1000 Vokalisten im Gleichschritt zum Beat marschieren.

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Im folgenden „Tides“ hören wir schließlich die bekannteste Stimme des Albums: Jamila Woods konstruiert eine direkte Ahnenlinie in die Vergangenheit. Wenn sie sich da im Schönklang wundert, während im Hintergrund zart mal die Tasten eines E-Pianos berührt werden, mal auf etwas geschlagen wird, das wie ein Kristallglas klingt, lassen sich schon Verbindungen in die große Zeit des Downbeats ziehen, zu allem zwischen Portishead und Morcheeba.

Wobei Bonobo in seinen Arrangements noch einmal variabler ist und, das ist wichtig, die Beiträge seiner Gäste nie als Mittel zum Zweck begreift. Oft wirken Gastvocals ja wie wertige, aber nachlässig montierte Badezimmerarmaturen; hier fügen sie sich nahtlos ein in die Musik, Green begreift sie wie Samples.

Ein Hinweis auf die Zukunft

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Die Nahtlosigkeit birgt durchaus Gefahren, weil sie zwar viel anbietet, aber recht wenig fordert. Die Versuchung, dieses Album als reine Klangtapete zu verstehen, ist durchaus vorhanden, vor allem, wenn sich ein Track wie „Elysian“ plötzlich allzu betont auf Neoklassik bettet oder Green im abschließenden „Day By Day“ vielleicht einen Moment zu lange Richtung House schielt – und das Saxofonsolo daran erinnert, warum Saxofonsoli eine Zeitlang vermintes Gebiet waren.

Aber für Spannung sorgt allein schon Greens neue entdeckte Liebe für Vintage-Synthesizer, die immer wieder in die Tracks hineinrufen und sich dabei nicht nur eine erstaunliche Präsenz, sondern auch Dissonanzen erlauben. Sie sind nicht nur ein notwendiges Gegengewicht zu den weicheren Tönen des Albums, sondern auch ein Hinweis in die Zukunft. Die nächsten Bonobo-Konzerte, die nächsten Bonobo-DJ-Sets werden kommen. Und sie werden wieder knallen.

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