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Lana del Rey gleitet nostalgisch durch Südkalifornien.

© Neil Krug/Universal

Neues Album ist Bekenntnis-Platte: Lana del Rey öffnet ihren Panzer

Dem US-Popstar wurde vorgeworfen, ein Kunstprodukt zu sein. Nun gibt sie auf ihrem Folkpopalbum „Chemtrails Over The Country Club“ mehr denn je von sich preis.

Das Blau des Himmels könnte kaum blauer sein, das Licht nicht gleißender. Ein perfektes, sonnendurchflutetes Idyll wie aus einem Cinemascopefilm. Wenn da nur nicht diese unheilvollen Zeichen wären. Das Stocken der Bilder, die in Flammen aufzugehen scheinen, die Kondensstreifen der Flugzeuge, die sich hoch über den Palmen kreuzen.

Im Video zum Titelsong ihres Albums „Chemtrails Over The Country Club“ gleitet Lana del Rey im kirschroten Mercedes-Cabrio durch Südkalifornien, weit zurückgelehnt, um sich im Fahrtwind abzukühlen. Säuselnd singt sie zu hallenden Pianoakkorden, dass sie nicht unglücklich sei, sondern bloß ein bisschen wild. Und sich auf der Flucht befinde, mit einem süßen Geliebten.

Bis sich die Welt verdunkelt, ein Wirbelsturm aufzieht und das Auto mit sich fortreißt. Am Ende verwandelt sich die Sängerin in einen zähnefletschenden Werwolf.

Lana del Rey, mit 24 Millionen verkauften Tonträgern und unfassbaren vier Milliarden Streams einer der größten Popstars der Gegenwart, ist auch auf ihrem siebten Studioalbum schwer zu fassen. Den Titel könnte man als ironischen Schlusskommentar zum moralischen Ausverkauf Amerikas in der Trump-Ära verstehen. Chemtrails, das sind die von Flugzeugen erzeugten Kondensstreifen am Himmel, mit denen die Regierung laut Verschwörungstheoretikern die Bevölkerung zu vergiften trachtet.

Und in den Luxusdomizilen der Countryclubs bleiben die Millionäre und Milliardäre vor allem in den Südstaaten gerne unter sich. Aber könnte der Song nicht auch bloß eine Postkarte aus der eigenen Vergangenheit sein, Kindheitserinnerung an träge Tage, die sie mit ihrer Schwester am Swimmingpool verbrachte, träumend in die wechselnden Wolkenmuster starrend?

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Seit ihr 2011 mit ihrer lasziven Hymne „Video Games“ der Durchbruch gelang, ist Lana del Rey vorgeworfen worden, mehr Kunstprodukt als Künstlerin zu sein. Sie wurde als „Königin des Trübsals“ und lebende Männerfantasie verspottet. Und seit sie sich von einem Interviewer provozieren ließ und sagte, sie fände Feminismus „langweilig“ und würde lieber über „intergalaktische Möglichkeiten“ sprechen, gilt sie als Anti-Feministin.

Gerade erst hat sie erneut der Behauptung widersprochen, dass ihre Lippen das Ergebnis einer Schönheitsoperation seien. Im letzten Jahr löste sie einen Shitstorm aus, nachdem sie auf Instagram gefragt hatte, warum Beyonce, Cardi B und Kehlani für die Darstellung von Sexualität in ihrer Musik gefeiert würden, man ihr aber vorwerfe, in Songs wie „Ultraviolence“ weibliche Unterwürfigkeit zu glorifizieren? Im Feminismus müsse es auch „ Platz für Frauen geben, die wie ich aussehen und sich wie ich verhalten“. Rasch versuchte sie die Entrüstungswogen zu glätten und beteuerte, ein Fan der schwarzen Kolleginnen zu sein.

Befreiung von den Vorbildern

Dass sie vergangene Größe schätzt, demonstriert die Sängerin, die vor 35 Jahren als Elizabeth Woolridge Grant in New York geboren wurde, bereits mit ihrem Künstlernamen. Er kombiniert die Hollywooddiva Lana Turner mit einem Automodell, das lange nicht mehr produziert wird, dem Ford Del Rey.

Ihr Vintage-Pop schwelgt im Erbe von Fifties- und Sixties-Stars wie Doris Day, Bobbie Gentry oder Nancy Sinatra. Die nostalgische Farbstichigkeit ihrer Musik ist geblieben, doch von den Vorbildern hat sie sich längst befreit.

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Angefangen mit dem noch etwas richtungslos wirkenden Album „Born To Die“, das „Video Games“ enthielt, wurde Lana del Reys Songwriting von Platte zu Platte besser. Das letzte, 2019 erschienene Album „Norman Fucking Rockwell!“, das fein ziselierte Orchesterarrangements mit retrofuturistisch fiependen Synthesizersounds verknüpfte, war ihr Meisterwerk. Einmal gehört, bekommt man die fast zehnminütige Popsymphonie „Venice Bitch“ nicht mehr aus dem Ohr.

Die Kunst der Inszenierung

Authentizität von einer Popsängerin zu verlangen, ist ein Widerspruch in sich selbst, schließlich liegt im Pop die Kunst gerade in der Inszenierung. Im Fall von Lana del Rey, die aus Zitaten und Huldigungen ein ganz eigenes musikalisches Universum gezimmert hat und bis heute damit beschäftigt ist, Zuschreibungen zurückzuweisen, wirkt die Forderung umso absurder. Trotzdem öffnet sie auf „Chemtrails Over The Country Club“ (auf Polydor/Universal), das an diesem Freitag herauskommt, ihren Panzer und gibt mehr von sich preis denn je.

„Ich musste mich stärker nach innen wenden“, so hat Lana del Rey gegenüber dem britischen Musikmagazin „Mojo“ ihren Ansatz beschrieben. Fast ist die Platte ein Folkalbum geworden, und von Folksongs wird erwartet, dass sie von echten Gefühlen, echtem Leben erzählen. Bereits das mit kargen Klavierakkorden einsetzende Auftaktstück „White Dress“ wirkt bekenntnishaft.

Mit wisperndem Falsett beschwört die Sängerin ihre Karriereanfänge, als sie eine weiße Kellnerinnenuniform trug, um mit Nachtschichten die Teilnahme an einer Musikkonferenz in Orlando zu finanzieren. Sie musste sich mühsam hocharbeiten, lautet die Botschaft. Mag sein, dass sie damit auch dem Eindruck widersprechen möchte, mit einem goldenen Löffel geboren zu sein, weil ihre Eltern in der Finanz- und Werbebranche arbeiteten.

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„Dance Til We Die“ heißt der Schlüsselsong des Albums. „I’m covering Joni and I'm dancing with Joan / Stevie is calling on the telephone“, spricht sie da mehr, als dass sie singt. Eine Ahnengalerie, unterlegt mit Pianotönen, einer flirrenden E-Gitarre und einem gedämpft einsetzenden Softrocksaxofon. Stimmt ja auch alles: Mit Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks hat del Rey bereits auf ihrem hippieesken Album „Lust For Life“ gesungen, nun covert sie Joni Mitchells Ballade „For Free“.

Und mit Joan Baez stand sie bei deren Abschiedstournee in Berkeley auf der Bühne. Seitdem ist die 80-jährige Folkveteranin voll des Lobes für die jüngere Kollegin: „Sie ist eine außergewöhnliche Frau, die ihre Karriere in die eigenen Hände genommen hat. Und darauf kommt es an.“

Lana del Rey lebt schon länger in Los Angeles, nun verortet sie sich auch musikalisch im Erbe der „Ladies of the Canyon“. Gemeint ist der Laurel Canyon, die bergige Wohngegend, in dem Songwriterinnen gegenkulturelles Engagement mit introspektiven Texten verbanden. Unter den elf Stücken auf „Chemtrails Over The Country Club“, die Lana del Rey wieder mit ihrem Produzenten Jack Antonoff geschrieben hat, findet sich kein neues „Venice Bitch“, aber doch einige herausragende Lieder.

Weggehen, um anzukommen

Das schönste heißt „Let Me Love You Like a Woman“, vielleicht eine Anspielung auf Carole Kings Klassiker „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“. Mit schläfrig einsetzender, sich weit hochschraubender, gedoppelt in einem Chor endender Stimme zeigt sich die Sängerin verletzlich wie begehrend: „I don’t care where I go as long as you’re with me.“ Egal wohin, ich folge dir. Im Hintergrund wimmert eine Slide-Guitar.

Vom Aufbrechen und vom Weggehen, um anzukommen, einem alten Folk- und Country-Topos, ist überhaupt viel die Rede. In der Akustikgitarrenballade „Wanderlust“ reimt del Rey „Not all those who wander are lost / It’s just wanderlust.“

Das Stück ist minimalistisch instrumentiert, zwischendurch schnarrt die Produzentenstimme aus der Kontrollkabine. „Wanderlust“, ein Lehnwort aus dem Deutschen, steht für Fernweh. Lana del Rey will in Bewegung bleiben. Man lässt sich gern von ihr mitnehmen.

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