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Gekommen, um zu bleiben: Nura.

© Ewelina Bialoszewska

Neues Album der Rapperin Nura: Ich schwör, ich war’s nicht

Die Berliner Rapperin Nura mischt auf ihrem zweiten Soloalbum "Auf der Suche" Polit-Raps mit Liedern über Liebe, Sex und Eifersucht.

Die Leute in der Nachbarschaft haben alles im Blick. Beobachten sie einen vermeintliche Fehltritt, wird das sofort weitererzählt und von den Autoritäten der Gemeinschaft sanktioniert.

So funktioniert soziale Kontrolle. Die Berliner Sängerin und Rapperin Nura fasst diesen Mechanismus auf grotesk überspitzte Weise in vier Zeilen zusammen: „Mama sagt, Leute haben was erzählt/ Und ich sollt mich dafür schäm’n/ Denn der Bruder einer Freundin, von dem die große Schwester/ Deren kleiner Cousin hat mich geseh’n.“

Schlenker in die stressige Pubertätszeit

Weil die Ich-Erzählerin sich nicht mehr zu helfen weiß, greift sie zur ultimativen Unschuldsbeteuerung: „Ich schwör, ich war’s nicht, ich schwör, ich war’s nicht“ rappt Nura im Refrain der Single „Ich war’s nicht“. Was so intensiv-verzweifelt klingt, als höre man eine Direktübertragung aus dem Kinderzimmer einer Pubertierenden.

Nura, die im Video zu dem Song von einer Jugendlichen gespielt wird, hat viele junge Fans. Einige von ihnen werden Situationen wie die im Lied geschilderten kennen und vielleicht ein wenig Trost in der Tatsache finden, dass ihr Idol einst ähnliches durchgemacht hat wie sie gerade.

Dass die 32-Jährige, die in den Neunzigern als Flüchtling nach Wuppertal kam, ihnen keine Märchen erzählt, wissen sie natürlich aus deren anderen Songs, Interviews und nicht zuletzt der im vergangenen Jahr erschienen Autobiografie „Weißt du was ich meine?“ Der Stress mit ihrer strengen, religiösen Mutter, ihre Zeit im Heim – all das ist bestens dokumentiert.

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Die eigene Geschichte zu feiern und zu überhöhen gehört seit jeher zum Hip-Hop, dessen Wirkmacht sich ja zu einem großen Teil aus seinem Authentizitätsversprechen speist. Auch Nura rekurriert auf ihrem am Freitag erscheinenden zweiten Soloalbum „Auf der Suche“ immer wieder auf ihre Vergangenheit, ohne sie aber penetrant wie eine Trophäe vor sich herzutragen.

„Ich war’s nicht“ ist dafür ein Beispiel, ebenso der Titeltrack und das nicht mal zwei Minuten lange Eröffnungsstück „Fotze wieder da“, das eine direkte Anspielung auf den Song „Fotzen im Club“ von Sxtn ist. Mit diesem Rap-Duo, dessen oft vulgäre Texte auf Provokation setzten, ist Nura vor einigen Jahren bekannt geworden.

2018 trennten sie und ihre Band-Partnerin Juju sich, beide machten solo weiter. Nura blieb auf ihrem ein Jahr später veröffentlichten Debüt „Habibi“ zwar vielen der Themen (Drogen, Geld, Sex) treu, verlegte sich jedoch mehr aufs Singen.

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Jetzt scheint sie ihre Lust am Rappen wiedergefunden zu haben und macht im Opener gleich mal ein paar aggressive Ansagen in Richtung Rapperinnen-Konkurrenz. Schneidender Flow, treffende Reime, alles noch da. Zum reduzierten Klacker-Beat von „On Fleek“ demonstriert Nura das ganz lässig, wenn sie rappt: „Holz vor der Hütte und der Ass is haram/ Pussy so good wie das Essen deiner Mom/ Ja, du darfst gerne gucken, aber fass mich nicht an.“

Und sogar ein bisschen Selbstironie – im Genre eher selten anzutreffen – blitzt auf, wenn sie in „Hier oben“ die üblichen Ruhm-Aufzählungen ins Leere laufen lässt. Statt mit Autos zu protzen erzählt sie von ihrem Fahrrad oder darüber, dass Leute sich nicht mit ihr, sondern von ihr fotografieren lassen wollen. „Ich werde so oft erkannt/ Wie der Bruder von James Blunt“. Also nie. Was natürlich nicht stimmt, zumal in Berlin, wo Nura oft Selfie-Wünsche erfüllen muss.

Die Trap-Beats rollen und surren

Die Trap-Beats rollen und surren solide in den 14 meist nicht über drei Minuten laufenden Songs des Albums. Dabei bekommt auch Nuras R’n’B-affine Seite viel Raum etwa in „Lola“, in dem sie zu sanften Synthie-Akkorden über die Nacht einer Sexarbeiterin singt, die sie als coole Herrin der Lage präsentiert.

Deutlich finsterer wird es in „Geh drauf“. Hier verzerrt Nura ihren Gesang mit Autotune, was gut zum schwermütigen Text über eine toxische Beziehung passt, allerdings eher zu den schwächeren Momenten von „Auf der Suche“ zählt.

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Packend ist die Platte immer dann, wenn sich Nura von ihrer selbstbewussten Power-Seite zeigt, was zum Glück die meiste Zeit der Fall ist. Dabei spielen politische Themen eine größer Rolle als bisher in ihrem Solowerk. In den Track „Niemals Stress mit Bullen“ baut sie eine Sammlung alltagsrassistischer Klischees ein.

Da heißt es dann „Ich bin doch kein Rassist, ich habe einen schwarzen Freund“ oder „Dafür sprichst du aber wirklich gutes Deutsch“.

Damit schließt Nura an den Sxtn-Song „Ich bin schwarz“ an, in dem sie – nah an der Melodie von Markus’ NDW-Hit „Ich will Spaß“ – ebenfalls über rassistische Zuschreibungen und Übergriffigkeiten gerappt hatte. Dass man immer noch nicht ihre Haare anfassen darf, ist eine direkte Referenz an das alte Stück.

[Nuras Album „Auf der Suche“ erscheint am 20. August bei Universal.]

Nebenbei erfährt man in „Niemals Stress mit Bullen“ auch, dass Nura, die einen eritreischen Pass besitzt, seit kurzem eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat. Was zwar eine gewisse Sicherheit bedeutet und weniger Ämtergerenne, aber nicht vor Diskriminierung schützt. Davon handelt „Fair“, textlich einer der besten neuen Songs. Nura wechselt darin zwischen gerappten und gesungenen Zeilen hin und her.

Erst rappt sie „Ich will weg wegen der Fascho-Nachbarn/ Aber krieg die Wohnung nicht mit diesem Nachnamen“ und fragen dann singend, was denn hier bitte fair sein soll. Begleitet von melancholischen Synthieflächen und zischenden Beats nutzt Nura auch im weiteren Verlauf geschickt die Frageform, um gesellschaftliche Schieflagen zu kritisieren: „Warum stört dich das Kopftuch meiner Mama?/ Warum verurteilst du mich, weil ich wenig anhab?/ Warum ist es der Flüchtling, der dir Angst macht?/ Und nicht die Nazis im Landtag“.

Nura positioniert sich gegen Rechts

Solche Lyrics kommen nicht aus dem Nichts. Schon früher hat sich Nura gegen Rechts positioniert, etwa als sie in Chemnitz beim „Wir sind mehr“-Konzert auftrat, ein AfD-Plakat abriss oder das Sxtn-Publikum „Refugees are welcome here“ skandieren ließ. Dass sie jetzt auch musikalisch nachlegt, steht ihr gut. Genauso wie ihr offener Umgang mit ihrer Bisexualität, auf die es ein, zwei Anspielungen auf der Platte gibt. Im Video von „On Fleek“ tanzen viele Queers mit und Nura trägt Regenbogen-Lidschatten.

„Auf der Suche“ ist ein Sprung nach vorn für Nura, das Album zeigt sie gereifter, mehr bei sich. Auch ihre Gästeliste ist stilvoller. Sie enthält mit Alli Neumann erstmals eine Frau und keinen einzigen Rap-Macker, dafür darf Reggae-Star Gentleman beim groovigen Sommerhit-verdächtig „Viel zu tun“ mitsingen.

Mit ihrer Mutter hat sich Nura übrigens längst versöhnt. Es ist eine rührende Geste, dass sie ihr den balladesken Abschlusstrack „Beledi“ widmet, in dem sie sich an ihre Jugend erinnert und eine Voicemail der Mutter abspielt. Sie singt teils auf Arabisch und mahnt: „Deine Familie bleibt/ Nicht für die Ewigkeit/ Also nimm dir Zeit“. Könnte sein, dass dieser schwesterliche Rat bei den jungen Fans erstmal auf Ablehnung stößt. Nura wird es verstehen, sie hat schließlich auch eine Weile gebraucht – und ist weiter auf der Suche.

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