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Der Berliner Schriftsteller Michael Kumpfmüller, 54.

©  Joachim Gern/Kiepenheuer & Witsch

Neuer Roman von Michael Kumpfmüller: Die Plackerei mit der Liebe

Michael Kumpfmüllers heiter federnder Roman „Tage mit Ora“ erzählt von Menschen in der Midlifecrisis auf einem Roadtrip durch die USA.

Auf der Strecke zwischen Bodega Bay und Winnetka steigen zwei Anhalter zu, ein Pärchen, beide Anfang zwanzig. Es ist der Juni 2016; fünf Monate später wird Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Das Paar ist sich politisch uneins. Er ist für Trump, sie für Clinton. Er ist Jude, sie mag eigentlich keine Juden, aber ihn mag sie schon. Und sie fangen an, den Ich-Erzähler und Ora auszufragen: Wer sie seien, woher sie kämen?

Wie selbstverständlich nehmen sie an, dass sie es ihrerseits mit einem Paar zu tun haben, also muss ihnen erst umständlich erklärt werden, wie es in Wirklichkeit ist: dass alles im Fluss und nichts sicher ist. „Sie hielten uns“, resümiert der Erzähler, „für glückliche Menschen, wissen Sie? Wie immer sie darauf kamen, aber das war der Eindruck, den wir auf sie machten.“ Und vielleicht haben sie ja auf komplizierte Weise noch nicht einmal unrecht damit.

Michael Kumpfmüller hat nach seinem – durchaus kontrovers diskutierten – Roman „Die Erziehung des Mannes“ nun mit „Tage mit Ora“ ein Roadmovie geschrieben. Eine noch nicht einmal 200 Seiten starke Erzählung, die leicht und federnd daherkommt und trotzdem in der halbironischen Selbst- und Erzähldistanz gewichtige Fragen stellt. Der Erzähler ist Anfang fünfzig, seine Begleiterin Ora zehn Jahre jünger. Auf einer Hochzeit, ausgerechnet, haben sie sich kennengelernt und sich danach langsam angenähert. Beide schleppen, das bringt das Alter mit sich, Geschichten mit sich herum.

Reminiszenzen an Filme und Bücher

„Tage mit Ora“ handelt unter anderem davon, inwieweit ein gereifter Mensch mit all seinen Verflechtungen und Enttäuschungen und Verpflichtungen überhaupt noch so frei sein kann, sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Die beiden, er kurz nach der Trennung von einer offenbar notorisch promiskuitiven Frau, sie mit einem minderjährigen Sohn in der Heimat, gehen das Wagnis ein, sich richtig kennenzulernen. Sie sind angezogen voneinander und ängstlich und überfrachtet zugleich. Sie machen eine Autofahrt durch die USA, in einem Fiat 500 X City Look, einem Retro-Auto, das bestens in die von Reminiszenzen an Filme und Bücher geschwängerte Atmosphäre passt. Kalifornien! Roadtrip! Der dann doch nicht so willkürlich ist. Es gibt einen Song, der die Route vorgibt: „June on the West Coast“ von Bright Eyes; ein melancholisches Gitarrenstück, das dem Roman als Landkarte und untergründiger Soundtrack zugleich dient.

Volle Ladung Antidepressiva

Wie Michael Kumpfmüller die Reise seiner beiden Figuren beschreibt, hat etwas selbstverständlich Leichtes, ja Heiteres. Das liegt einzig und allein an dem Ton, den Kumpfmüller gefunden hat; an einem Ton, der exakt ausbalanciert ist zwischen aphoristischem Humor und dem Selbstreflexionszwang des krisenerprobten Erzählers. Wenn Ora beispielsweise im Wasser auf dem Rücken liegt und in den Himmel blickt, erforscht sie „das Verhältnis von Ich und All, was von beidem größer war“. So ist das offenbar mit Menschen in der Midlifecrisis, die noch dazu durchtherapiert sind. Denn so heiter und leicht dieses an Woody Allen geschulte Geplauder über die Gefahren des Verliebens und die Dummheit des Nichtverliebendürfens wirkt – man darf während der Lektüre nie vergessen, dass man es mit zwei Menschen zu tun hat, die ihr Leben nur noch mit einer vollen Ladung Antidepressiva ertragen. Und dass Ora irgendwann anfängt, von ihrer Zeit „auf der Geschlossenen“, wie sie es ausdrückt, zu erzählen, verwundert da nicht mehr.

Metaphysische Überhöhungen

Die Reise erscheint nicht nur als eine Bewegung aufeinander zu, sondern auch von etwas weg, als eine Flucht vor dem Seelengerümpel, das beide zu Hause angesammelt haben. „Lieben“, so heißt es einmal, „war Drecksarbeit, eine elende Plackerei.“ Das ist die Erkenntnis des Alters. Der Roadtrip wiederum ist der mit dem Mythos der unendlichen Weite und Freiheit aufgeladene Versuch, die Plackerei der Liebe durch das sich selbst genügende Glück des Augenblicks zu ersetzen.

Es wäre nicht unbedingt nötig gewesen, diese Momenterfahrungen, so wie Michael Kumpfmüller es tut, in einzelnen Szenen noch metaphysisch zu überhöhen und in Epiphanien zu verwandeln. Nicht ohne Grund ist der Name Ora ein Teil des Benediktinermottos „Ora et labora“, also: „Bete und arbeite“. Dem Charme des Romans, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, kann allerdings auch das wenig anhaben. Wer nach Abschluss der Reise mit welchen Mitteln an sich arbeiten wird, lässt Kumpfmüller in der Schwebe. Noch im Augenblick des Erlebens bemerkt Ora, dass sie sich nach der Reise sehnen wird. Und der lebenserfahrene und beziehungsgeschädigte Erzähler weiß: Die Sehnsucht nach der Idee der Liebe ist auf lange Sicht befriedigender als die Erfüllung selbst.

Michael Kumpfmüller: Tage mit Ora. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 180 S., 19 €.

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