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Dominanz auf dem Subkontinent. Ein britischer Soldat auf einem indischen Markt Ende des 19. Jahrhunderts. 

© imago

Neuer Roman von Christopher Kloeble: Ein Widerständler gegen den europäischen Kolonialismus

Indien im Griff der britischen Herrschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts: „Das Museum der Welt“ ist eine der bestgeschriebenen postkolonialen Erzählungen der Gegenwart.

Mit seinen Familienromanen „Unter Einzelgängern“, „Meistens alles sehr schnell“ und „Die unsterbliche Familie Salz“ hat sich Christopher Kloeble einen Namen gemacht. Seine Bücher drehen sich um die Frage, wie heute deutsche Eltern und Geschwister unter einem Dach miteinander auskommen; das Durchstöbern von Opas Fotoalben fehlt dabei nicht.

Kloeble ist mit einer Inderin verheiratet. 2017 veröffentlichte er die autofiktionale Reportage „Home made in India“, sie trug den Untertitel „Eine Liebesgeschichte zwischen Delhi und Berlin“. 

Ohne wiederholte Reisen in Indien mit Recherchen über die Geschichte des Subkontinents hätte er seinen neuen, faszinierenden Roman „Das Museum der Welt“ auch kaum schreiben können. Es ist sein bislang vielschichtigstes Werk, abermals eine Familiengeschichte, aber auch ein multikultureller Bildungsroman, eine postkoloniale Reiseerzählung.

Kloebles 500-Seiten-Buch spielt in einer Welt, von der die meisten hierzulande nur noch wenig wissen: Indien im Griff der britischen Kolonialherrschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts. 

Humboldts Nachfolger

Vergessen sind nicht nur die englischen Politiker, die damals dort das Sagen hatten, sondern auch die Mitglieder einer deutschen Expedition, die Teile Indiens geografisch, botanisch, meteorologisch, ethnisch, kulturhistorisch erkunden und nach den Regeln der Zeit erforschen wollten: die aus Bayern stammenden Brüder Robert, Adolph und Hermann Schlagintweit. 

Sie waren von Alexander von Humboldt ermutigt, vom Preußenkönig finanziert und von der englischen East India Company beauftragt worden, so viel wissenschaftlich Neues wie möglich zu dokumentieren – und für europäische Sammlungen abzuschleppen, was immer sie an Ausstellungsträchtigem fanden.

Die Hauptfigur des Romans – Erzähler und Tagebuchschreiber – ist erfunden. Er ist ein indisches Waisenkind, das in einem jesuitisch geführten karitativen Heim in Bombay aufwächst. Seine Eltern hat er nie kennengelernt, von seinem aus Bayern stammenden Mentor erhält er den christlichen Namen Bartholomäus. 

Der Autor Christopher Kloeble.
Der Autor Christopher Kloeble.

© Christine Fenzl/dtv

So hieß einer der zwölf Apostel Jesu, von dem die Legenden berichten, er habe auch in Indien missioniert – und dass bei seinem Anblick Götzenbilder einstürzten. Der Lehrer, den wir als „Vater Fuchs“ kennenlernen, entdeckt das polyglotte Talent seines Zöglings und bringt ihm europäische wie indische Sprachen bei. Noch Teenager, brilliert Bartholomäus schon als Übersetzer, so wird er Mitglied der Schlagintweit’schen Abenteurertruppe.

Anfänglich glaubt Bartholomäus im Waisenheim ein neues Zuhause gefunden zu haben, mit der mütterlichen Köchin Smitaben und Vater Fuchs. Die Verehrung für Smitaben wird bleiben, die für Vater Fuchs hört auf, obwohl er ihn als kosmopolitischen Gegner des englischen Kolonialsystems verehrt. 

Dass Vater Fuchs opiumsüchtig war, hätte er ihm noch nachgesehen, aber er verheimlicht ihm, dass er, Bartholomäus, der Liaison eines Deutschen mit einer Inderin entstammt.

Die andere Möglichkeit, Teil einer Familie zu werden, ergibt sich durch die Schlagintweits. Sie bieten brüderliche Freundschaft an und wollen ihn am Ende der Expedition mit nach Berlin nehmen, um dort ein indisches Museum zu gründen. Auf dieses Projekt will sich der junge Erzähler nicht einlassen. 

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Wie in einem Bildungsroman nimmt der Held Abschied von frühen Illusionen. In einem häufig unterbrochenen und teils rückläufigen Weg mit Entwicklungsschüben voller Widersprüche stolpert er in eine antikoloniale Rolle. 

Hin- und hergerissen zwischen der Loyalität den Schlagintweits gegenüber und einem wachsenden Widerstand gegen das europäische Kolonialsyndrom, sucht er nach einer neuen Identität, durch die ihm die indische Kultur und Geschichte zur emotionalen und intellektuellen Heimat werden kann. Das Hauptthema des Buches: der Weg eines jungen Inders in den Widerstand.

Dabei spielt ein Plan eine wichtige Rolle, der anfänglich nichts mit einer Abwendung von der europäischen Kultur zu tun hatte. Vater Fuchs hat ihn bereits im Waisenhaus mit den wissenschaftlichen Idealen Alexander von Humboldts vertraut gemacht. Dessen „Kosmos“ ist die Inspirationsquelle zu dem Tagebuch, das Bartholomäus den Titel „Museum der Welt“ gibt. 

Gut romantisch stellt er sich dieses als Repräsentanz universellen Wissens vor. Alles wird festgehalten: konkrete Dinge aus dem Alltag, mythologische Vorstellungen, momentane Einsichten, künftige Erkenntnisse, Personen aus dem Lebensumkreis, Probleme von Freundschaft und Liebe sowie schließlich koloniale Oppressionen. So werden die Aufzeichnungen zu einem Plan für „ein Museum aller Indier“, zur Dokumentation einer oppositionellen Politisierung.

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Gegen seinen Willen wird er anfänglich in antikoloniale Aktionen verwickelt. Schicksalhaft ist die Begegnung mit Eleazar, der ebenfalls dem „Train“ der Schlagintweits angehört. Eleazar ist überzeugt, dass die Schlagintweits im Dienst der East India Company Spionage betreiben.

Für ihn sind die Vermessungen der Wege, die Zeichnungen von Flüssen und Gebirgen, die Fotos von städtischen oder ländlichen Ansichten, nicht zuletzt die rassistischen Taxierungen der in Indien lebenden Ethnien nichts als eine Anhäufung problematischer Kenntnisse, die der britischen Beherrschung des Landes dienen sollen.

Deswegen wird er zum Gegenspion und gibt Informationen über Reise- und Forschungsabsichten der Schlagintweits weiter an die indische Resistance wie auch an chinesische Regierungskreise, die ein Interesse an der Verdrängung der Engländer aus Indien haben. 

Rebellion gegen die Briten

Eleazar schildert die beginnende indische Revolte gegen die Kolonialherrschaft, den Sepoy-Aufstand von 1857, der nach einem Jahr scheitert. Zwar wurde damals die East India Company aufgelöst, doch bedeutete das nicht das Ende der britischen Dominanz, da Indien nun als Kronkolonie unter die unmittelbare Kontrolle der Regierung in London kam.

Einer der Schlagintweit-Brüder, Adolph, wird von feindlichen Banden als „Spion“ hingerichtet, Eleazar wird Opfer seiner Widerstandsaktivitäten. Bartholomäus, der nun den Namen Eleazars übernimmt, erlebt, wie in diesen Konfrontationen sein „Museum der Welt“ in Flammen aufgeht. 

Er beschließt im Herbst 1857, sich der Rebellion gegen die Briten anzuschließen. So endet die Geschichte. „Das Museum der Welt“ ist einer der bestgeschriebenen postkolonialen Romane der Gegenwart und erinnert an vergleichbare Kulturkriege und koloniale Übergriffe.

[Christopher Kloeble: Das Museum der Welt. Roman. dtv, München 2020. 525 Seiten, 22 €.]

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