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Idylle auf wackligem Fundament. Ein Haus am Ammersee in Bayern.

© Lino Mirgeler/dpa

Neuer Erzählband von Samanta Schweblin: Monster im Spiegel

Wenn die häusliche Idylle zum Alptraum wird: Samanta Schweblins preisgekrönte Erzählsammlung „Sieben leere Häuser“ ist abgründig und meisterhaft.

"Sieben leere Häuser“: Der Titel von Samanta Schweblins Erzählband ist paradox, schließlich sind die Heimstätten, in denen die sieben Stories spielen, durchaus bewohnt. Doch sind die Figuren der 40-jährigen Argentinierin so sehr Gefangene ihrer selbst oder ihrer Nächsten, dass sie in ihrer Verlorenheit fast schon wie Gespenster anmuten. Wie jene Mutter, die wie zwangsgesteuert durch Villengegenden fährt und dort heimlich fremde Anwesen inspiziert. Nach eigenem Gutdünken stellt sie dann die Liegestühle, Gießkannen oder Blumentöpfe anderer Leute um. Oder entwendet persönliche Gegenstände, die sie später im eigenen Garten „bestattet“. „Wo haben die Leute bloß die ganzen Sachen her?“, fragt die Mutter auf einem fremden Toilettensitz sitzend ihre Tochter, die sie begleiten muss, „das macht mich ganz traurig.“

Erklärungen für das Verstörende und Unheimliche in ihren Geschichten sollte man von der inzwischen in Berlin lebenden Autorin besser nicht erwarten. Doch drängt sich in diesem Fall der Verdacht auf, es könnte das immer Katalog-Artigere heutiger Wohnstätten sein, das diese Mutter umtreibt: die Verwandlung des Zuhauses in einen austauschbaren, identitätslosen Nicht-Ort, am besten noch im künstlichen, aber garantiert Instagram-tauglichen Shabby Chic Look. Eine Transformation, die zwangsläufig auch auf die Bewohner übergreift.

Gefühl einer latenten Bedrohung

In über 25 Sprachen wurde Samanta Schweblins Geschichtenband (zuletzt erschien von ihr der Öko-Horror-Kurzroman „Das Gift“) inzwischen übersetzt; für „Siete casas vacías“, so der Originaltitel, erhielt die in Buenos Aires geborene Autorin sogar den Premio de Narrativa Breve Ribera del Duero, einen der höchstdotierten Literaturpreise der Welt. Rezensenten verorten Schweblin gern in der Nähe von Größen der lateinamerikanischen Phantastik wie Jorge Luis Borges oder Julio Cortázar.

Doch weist die Autorin diese Verbindung mit gutem Grund zurück und nennt als Vorbilder stattdessen J. D. Salinger und John Cheever. Denn Übernatürliches, im genuinen Sinn Phantastisches gibt es in ihren Kurzgeschichten und Erzählungen (fast) nicht; sie spielen allesamt im Hier und Jetzt, biegen nur meist an irgendeiner unscheinbaren Stelle scharf ins Surreale und Unwirkliche ab, wo das Gefühl einer latenten Bedrohung mit einem Mal übermächtig wird und die Figuren allzu leicht zum Opfer ihrer Albträume werden.

Eine Größe der lateinamerikanischen Phantastik. Autorin Samanta Schweblin.
Eine Größe der lateinamerikanischen Phantastik. Autorin Samanta Schweblin.

© Inken Sarah Mischke

Etwa wenn auf der Fahrt einer Familie zur Notaufnahme der Vater der Tochter befiehlt, die Unterhose auszuziehen, um dann mit ihr herumwedelnd den Weg freizumachen. Bald darauf besorgt ein allzu freundlicher Fremder dem im Wartezimmer allein gelassenen Geburtstagskind einen neuen Slip. Wie angemessen die darauffolgende soziale Eskalation ist, bleibt auf beunruhigende Weise offen. Wie auch im Fall der offenbar dementen Großeltern, die sich zum Entsetzen der Schwiegertochter nicht nur untereinander gern im Adams- und Evakostüm mit dem Gartenschlauch bespritzen, sondern auch ihre begeisterten Enkelkinder zum Mitmachen einladen.

In Schweblins lakonisch-präzisen, zwischen Suspense und Tragikomik schwebenden Geschichten genügen alltägliche Gegenstände, um aus einer wohlgeordneten häuslichen Idylle einen unheimlichen Ort zu machen. Etwa die Kleidungsstücke eines verstorbenen Sohnes, die die Nachbarin, gefangen in ihrer Trauer, immer wieder in den sorgsam gepflegten Garten der Ich-Erzählerin wirft. Wo sie dann der Nachbar, auch er im Bann eines Wiederholungszwanges stehend, wieder einsammelt und zurückhängt. Um Verzweiflung, Einsamkeit und die Unfähigkeit der Kommunikation geht es auch in „Die Höhlenatmung“, dem abgründigen Meisterstück der Sammlung. In der über 60 Seiten langen, kammerstückartigen Erzählung ist es eine plötzlich leer gewordene Kakaopackung im Küchenschrank, ebenfalls Stellvertreterin eines schon lange toten Kindes, die für Lola, eine alte, lungenkranke Frau, dafür sorgt, dass ihr ihre kleine Welt immer mehr entgleitet.

Alles möchte sie kontrollieren, ihren Mann, ihr Zuhause, ihren Körper, ihren Tod. Aber alles entzieht sich, und das Bemühen, die Kontrolle zurückzugewinnen, zerstört am Ende nur Menschenleben. So signalisiert die pfeifende Atmung der Frau letztlich nur, dass die wirklichen Monster nicht dort draußen sind, bei den unbekannten Nachbarn oder den Straßengangs. Sondern uns im Spiegel entgegenblicken.

Samantha Schweblin: Sieben leere Häuser. Erzählungen. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 150 Seiten, 20 €.

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