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Neue Sachbücher: "Tauschen, Teilen, Helfen, Schenken"

Die Sachbuchrezensionen der Woche - kurz zusammengefasst. Diesmal unter anderem: eine Suche nach radikaler Hoffnung und die nach einer Revolution für das Leben.

Gregor Dotzauer beschäftigt sich mit „Radikale Hoffnung“ (Suhrkamp), einem Stück philosophischer Anthropologie, in dem Jonathan Lear auf faszinierende Weise das traditionelle Wissen der Crow-Indianer und ihres letzten großen Häuptlings Plenty Coups mit westlichen Motiven zwischen Aristoteles und Sören Kierkegaard zusammenbringt: „Lear versucht sich an einer ,Ethik im Angesicht kultureller Zerstörung‘, die aus den Erfahrungen von Plenty Coups eine Tugend des Mutes ableitet, die jedem Weltenende noch ein ,Danach‘ abgewinnt. Die ,radikale Hoffnung‘, die diesem Mut entspringt, will er nicht als trotzigen Optimismus verstanden wissen, sondern als hart erkämpften Umbau seiner selbst nach einem völligen ,Begriffsverlust‘. Denn ,wenn wir uns das Selbst so vorstellen, dass es zum Teil durch seine grundlegendsten Verpflichtungen konstituiert ist, dann zerrüttet man mit dem Abwerfen jener Verpflichtungen auch seinen grundlegendsten Sinn für das eigene Dasein.‘“

Mit Begeisterung vermeldet Ulrike Baureithel, fast 200 Jahre, nachdem sich Arthur Schopenhauer des 1647 erschienenen „Handorakels“ des Jesuiten Baltasar Gracián angenommen hatte, die Neuübersetzung von Hans Ulrich Gumbrecht. „Lohnt sich dieser frühneuzeitliche Text nach bald 350 Jahren, nach allen überstandenen Katastrophen und Kriegen, überhaupt noch der Lektüre“, fragt sie, und muss nicht lange nachdenken, um zu dem Schluss zu kommen: „Unbedingt. Der Sog des Conceptismo, einer in Spanien ausgebildeten scharfsinnig-verdichteten aphoristischen und ungemein bildreichen Prosa, lässt einen kaum noch los, auch nicht nach mehreren Durchgängen, Je nach zeitgenössischer Gestimmtheit versprach das Handorakel Trost, Orientierung oder sozialen Aufstieg.“

Christian Schröder liest „Gegenwartsbewältigung“ (Hanser Berlin), den jüngsten Essay des Berliner Dichters Max Czollek, als Beispiel einer ausgesprochen düsteren Zeitdiagnostik. „Aber es gibt auch Hoffnung, sie ist für ihn genauso real. Das Stichwort dazu: Intersektionalität, ein Konzept, das vor dreißig Jahren von der amerikanischen Juristin Kimberlé Williams Crenshaw entwickelt wurde. Kurz gesagt geht es darum, dass Minderheiten sich verbünden, um Diskriminierung zu bekämpfen. Czolleks Vision: eine ,jüdisch-muslimische Leitkultur‘.“

Ulrike Baureithel liest zwei „Versuche über den Nationalsozialismus“ (Wallstein) des Philosophen Heinrich Blücher, die Einblicke in die eheliche Gedankenwerkstatt geben, die er zusammen mit seiner sehr viel berühmteren Frau Hannah Arendt betrieb: „Die Herausgeber geben Anhaltspunkte für einen dialogischen Denkprozess, aus dem sich wesentliche Figuren in Arendts Werk herauskristallisierten: die entpolitisierenden Folgen der (politischen) Romantik in Deutschland, die Ideologiekritik im Hinblick auf Rasse und Klasse, die Skepsis gegenüber einem wissenschaftlichen Positivismus als Werkzeug des Totalitarismus und die Sorge um ein atomisiertes, politisch nicht mehr handlungsfähiges Individuum.“

Rüdiger Schaper zeigt sich von Andrea Marcolongos frischem Blick auf die Argonautensaga zunächst angetan. „Das Meer, die Liebe, der Mut aufzubrechen“ (Folio) vermittle den antiken Mythos mit ansteckender Begeisterung. Er kann sich allerdings nicht damit abfinden, dass ausgerechnet die Geschichte von Medea unterbelichtet bleibt:  „In der Dramatik und Literatur sind Medea-Variationen Legion. Warum Andrea Marcolongo die Frau aus der Fremde so verharmlost, ignoriert und ein zweites Mal – nach Jason – betrügt, bleibt schleierhaft wie der Ursprung des Mythos. Verliebt in den Draufgänger Jason, hat sie die Zauberin ganz einfach weggezaubert. Oder sie kommt in einem neuen Buch.“

Meike Feßmann entdeckt in Eva von Redeckers Buch „Revolution für das Leben - Philosophie der neuen Protestformen“ (S. Fischer) eine stringente Theorie aus feministischer Perspektive.  „Eva von Redecker plädiert für Tauschen, Teilen, Helfen, Schenken, Unterstützen, für Kooperation auf allen Ebenen. Pragmatisch bedeutet das, Plattformen müssen vergesellschaftet werden. Und sie plädiert grundlegend für „Weltwiederannahme“, was durchaus ein „dreckiger Job“ sein kann. Denn auch Abfall, Luftverschmutzung, vermüllte Ozeane gehören zur Welt im gegenwärtigen Zustand.“ Das Buch der 1982 geborenen Denkerin schärfe den Blick „für die vielen ,Zwischenräume‘, in denen sich andere Formen des Handelns einnisten können.“ 

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