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Neue Sachbücher: "Die Beutejagd steht am Anfang aller Trennungen von Mensch und Tier"

Die Sachbuchrezensionen der Woche - kurz zusammengefasst. Diesmal: sozialdemokratische Sündenfälle, antisemitische Vergehen und anthropologische Einschnitte.

Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, Mitbegründerin, Gesellschafterin und Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, setzt sich mit einem Buch ihres sozialdemokratischen Parteikollegen Gustav A. Horn auseinander. In „Gegensteuern“ - Für eine neue Wirtschaftspolitik gegen Rechts“ (Ch. Links Verlag) untersucht der Wirtschaftswissenschaftler, wie die Sozialdemokratie europaweit mit dem Neoliberalismus geflirtet und sich dadurch selbst das Wasser abgegraben hat. Der Mann hat sich viel vorgenommen“, schreibt sie anerkennend: „Er will die politische Rechte durch eine neue Wirtschaftspolitik bekämpfen. Dazu muss er erklären, warum die alte Wirtschaftspolitik – der angebotsorientierte Neoliberalismus - die politische Rechte hervorgebracht hat. Das Ergebnis ist eine hochinteressante Rekonstruktion der wirtschaftspolitischen Entwicklung seit Mitte der 1970er Jahre. Von einer zumindest in Deutschland erfolgreichen keynesianischen Nachfragepolitik mit Sozialstaat und Vollbeschäftigung hat sie im 21. Jahrhundert zu einer deutsch dominierten neoliberalen Angebotspolitik in der EU geführt und der Sozialdemokratie die Wähler entzogen.“

Christine Brinck schreibt über „Terror gegen Juden“ (Berlin Verlag), eine bewegende Chronik des „SZ“-Journalisten Ronen Steinke. Er führt Klage darüber, wie in Deutschland die antisemitische Gewalt erstarkt. „Allein die nackte Chronik der Angriffe in Deutschland seit 1945 füllt 89 Seiten“, resümiert Brinck. „Die Zahl der Gemeindemitglieder schrumpft, die Anschläge nehmen zu. Dieses Buch macht fassungslos mit seiner akribisch-nüchternen Analyse. Totenruhe gilt in allen Religionen, doch die tausendfache Schändung jüdischer Friedhöfe vereint Ost und West. Steinkes Anklage gegen Staat und Gerichtsbarkeit ist ein erschütterndes Dokument der Gleichgültigkeit.“

Volker Breidecker hat in Roberto Calassos Essay „Der himmlische Jäger“ (Suhrkamp) einen Höhepunkt im vielgestaltigen Werk des italienischen Kulturphilosophen entdeckt. Calassos Versuch, auf halbem Weg zwischen Anthropologie und Mythologie die um ihrer selbst willen betriebene Jagd als großen Sündenfall in der Menschheitsgeschichte darzustellen, erscheint ihm überdies glänzend geschrieben. „Im Anfang waren auch Menschen und Tiere noch nicht voneinander geschieden“, so Breidecker. „Alles war Kreatur und im Zustand schwankender, sich stetig wandelnder Formen begriffen. Bis die Menschen damit begannen, jene Tiere, die ihnen selbst am gefährlichsten waren, genauer zu beobachten und ihre Raubzüge nachzuahmen. Die Beutejagd steht am Anfang aller Trennungen von Mensch und Tier, Beobachter und Beobachtetem – bis der Mensch am Ende dieses Prozesses zum schrecklichsten aller Raubtiere wurde, insofern er als einziges Lebewesen sich auch die eigenen Artgenossen zur Beute macht und selbst ohne Not tötet, mit eigens dafür geschaffenen Mordwerkzeugen.“

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