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Vier für die Kunst. Renata Cervetto, Agustín Pérez Rubio, Lisette Lagnado und María Berríos im Ausstellungsraum von Ex-Rotaprint vor einer Filmarbeit von Virginia de Medeiros.

©  Mike Wolf

Neue Ideen für die Berlin-Biennale: Warmspielen in Wedding

Begegnung mit den vier südamerikanischen Kuratoren der 11. Berlin-Biennale. Gemeinsam wollen sie dem Humboldt Forum zu denken geben.

Der Countdown läuft, in vier Monaten, am 13. Juni, eröffnet die 11. Berlin-Biennale. Aber eigentlich hat sie längst begonnen, bereits im vergangenen Jahr. Anfang September eröffnete bei Ex-Rotaprint im Wedding eine kleine Ausstellung, die erste von drei „experiences“, wie sie genannt werden. Sie münden Mitte Juni im „Epilog“, der eigentlichen Schau, die dann im September 2020 endet, um das Biennale-Jahr zu runden. Am 8. Februar schließt „exp. 2“, das zweite Vorspiel, mit einem Fest, nur um drei Wochen später mit der Ausgabe „exp. 3“ in die Fortsetzung zu gehen.

Das mag auf den ersten Blick verwirren. Anfang, Ende, terminierte Laufzeiten scheinen bei dieser Biennale eher nachrangig zu sein. Sie breitet sich zeitlich und räumlich aus, weg vom Epizentrum, den Kunst-Werken in der Auguststraße, wo vor 22 Jahren die heute bundesweit wichtigste Veranstaltung zeitgenössischer Kunst gegründet wurde. Von hier aus hat die Berlin-Biennale bisher eigentlich immer ihren Ausgang genommen: für drei Monate die Auguststraße rauf und runter in leeren Ladenlokalen oder ausgreifend in die Museen und Ausstellungshäuser der Stadt, zu Brachen und Baustellen.

Das läuft diesmal gründlich anders. So haben die vier Biennale-Kuratoren der aktuellen Ausgabe auch nicht wie sonst üblich im barocken Vorderhaus des Institute for Contemporary Art ihre Basis, sondern sich im Norden bei Ex-Rotaprint eingerichtet – ein Bekenntnis. Das vor zwölf Jahren in die Gemeinnützigkeit überführte Produktionsgelände der Druckmaschinenfabrik Rotaprint beherbergt heute zu einem Drittel Gewerbe, soziale Einrichtungen und Ateliers. Im auffälligsten Bauteil, einem brutalistischen Kopfbau aus Beton an der Ecke Bornemann-/ Gottschedstraße residiert die Berlin-Biennale, ein Aufsteller auf dem Bürgersteig macht auf die laufende Ausstellung aufmerksam.

Die Biennale hat vor dem offiziellen Start im Juni längst begonnen

Drinnen sitzen die vier Kuratoren gut gelaunt um einen großen Schreibtisch mitten im Ausstellungsraum, jeder an seiner Seite und das Laptop aufgeklappt, jederzeit für Besucher ansprechbar. Auch das ist programmatisch zu verstehen, es soll möglichst keine Schranken geben. Für das Gespräch rücken die vier um den nächsten Tisch noch weiter in den Raum hinein. Nur der im Nebenraum gezeigte Film der Brasilianerin Virginia de Medeiros muss zu Beginn noch leiser gestellt werden. Wer durch die gläserne Tür eintritt, um sich im ersten Raum die Präsentation der „Feministischen Gesundheitsrecherchegruppe“ anzuschauen, wird mit einem Winken begrüßt. „Das ist eine Studentin von mir“, erklärt Agustín Pérez Rubio kurz und ist gleich wieder bei der Sache.

Gemeinsam mit María Berríos, Renata Cervetto und Lisette Lagnado verantwortet der frühere Direktor des Museo de Arte Latinamericano de Buenos Aires die Berlin-Biennale. An ihn und Lisette Lagnado, die 2006 die Biennale von São Paulo leitete, waren getrennte Einladungen ergangen, sich als Kandidaten für die 11. Biennale vorzustellen. Die beiden taten sich zusammen, holten Renata Cervetto ins Boot, die an Rubios Museum für die Bildungsarbeit zuständig war, dazu die Chilenin María Berríos, mit der wiederum Lagnado in Madrid schon als Kuratorin zusammengearbeitet hatte. Das lateinamerikanische Quartett – geboren zwischen 1961 und 1985 – bekam den Zuschlag mit einem Konzept, das sich gerade gegen Effekthascherei und Zentralismus wendet, die so vielen Biennalen eigen ist. Der typischen Verpuffung wollen sie Nachhaltigeres entgegensetzen.

„Wir sind kein Kollektiv, sondern arbeiten als Gruppe zusammen. Jeder bringt seine besonderen Kenntnisse und individuellen Eigenschaften mit“, beschreibt María Berríos ihr „poröses“ Arbeitsprinzip. Natürlich verkompliziere die Verteilung auf mehrere Personen die Entscheidungsprozesse, aber das wäre die Mühe wert. Die Kunstwelt sei einer der letzten Orte, wo noch wie im 19. Jahrhundert das Genieprinzip gelte, obwohl meist ein ganzes Team dahinter stecke. Lisette Lagnado ergänzt: „Nach meinen Erfahrungen als Biennale-Chefin in São Paulo – im Guten wie im Schlechten – wollte ich dieses exklusive Modell nicht mehr wiederholen. Als Gruppe sind wir stärker.“

Das Kuratoren-Team bespielt vier Orte von Wedding über Mitte bis nach Kreuzberg

So war es kein Zufall, dass es die vier in den Norden zu Ex-Rotaprint verschlug. Auch hier gilt das Prinzip der Gemeinschaftlichkeit. Als Südamerikaner fühlten sie sich vom kantigen Eckgebäude des Betriebsgeländes, in dem sie nun logieren, ohnehin angezogen. Es erinnerte sie an die brutalistische Architektur von São Paulo. Sie mögen gerade die vielen verschiedenen migrantischen Gruppen, die hier im Wedding leben, die rundum angesiedelten künstlerischen Initiativen.

Zu ihrem Erstaunen gibt es eine riesige lateinamerikanische Community in Berlin, die sich bei Biennale-Veranstaltungen regelmäßig einfindet. Von hier aus schwärmt auch Virginia de Medeiros, die ein Künstlerstipendium für drei Monate erhielt, zu Recherchen aus. Ihre Ausstellung bei Ex-Rotaprint verändert sich fortlaufend. Schon jetzt arbeitet die Biennale mit Schulen und Institutionen vor Ort zusammen, macht Workshops.

Noch gibt es keine Künstlerliste, sie soll erst später veröffentlicht werden. Doch seit gestern sind die Namen der Standorte bekannt. Ganz oben natürlich Ex-Rotaprint als nördlichster Punkt, an zweiter Stelle folgen die Kunst-Werke als bisherige Zentrale, schließlich das Ausstellungshaus Gropius-Bau, wo der zweite Stock und der Lichthof bespielt werden sollen, und schließlich die Daadgalerie in der Kreuzberger Oranienstraße. Mit dem Finger malt Agustín Pérez Rubio eine imaginäre Linie durch die Luft nach. Die Orte liegen wie eine Perlenkette hintereinander, mit öffentlichen Verkehrsmitteln schnell zu erreichen.

[11. Berlin-Biennale c/o Ex-Rotaprint, Bornemannstr. 9, Sa., 8.2., 14–21 Uhr Abschlussfeier der „exp.2“. Vom 22.2. bis 2.5. „exp. 3“. Vom 13.6. bis 13.9. „Epilog“. Weitere Infos unter www.11.berlinbiennale.de]

Rubio gefällt, dass die Endpunkte gerade keine gewichtigen Institutionen sind und sich jeweils in Kiezen mit stark migrantischer Prägung befinden. Gerade mit den Nachbarschaften möchte sich diese Biennale vernetzen. Lisette Lagnado wäre es am liebsten, dass nicht einmal Eintritt erhoben werden müsste. Ein Punkt, der allerdings noch zu klären ist, auch wenn die Biennale als „Leuchtturm-Projekt“ der Kulturstiftung des Bundes mit drei Millionen Euro umfangreich gefördert ist.

Das Vorspiel in Wedding, die Begegnung mit den Kuratoren geben eine Ahnung davon, wohin diese Biennale strebt. Als Publikation erschien bisher ein Malbuch auf der Grundlage von Mauricio Gattis Kinderbuch, das der uruguayische Widerstandskämpfer 1971 aus dem Gefängnis heraus in Briefform an seine kleine Tochter schrieb. Auch Stickerei, Poster, private Fotoalben seien Artefakte, ergänzt María Berríos. Diese Biennale erweitert energisch den Rahmen einer klassischen Kunstausstellung und zeigt damit auch dem Humboldt Forum seine Grenzen auf, das kurz nach dem Ende der Biennale eröffnen will. Sie schärft damit den Blick für das, was bleibt, in Berlin.

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