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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Neue Elektro-Tipps aus Berlin: Spreelectro: Bis der Wumms kommt

In unserer Serie "Spreelectro" stellt der DJ und Musikjournalist Martin Böttcher Gutes aus der Hauptstadt vor. Diesmal mit neuen Klängen von Niconé, Nick Höppner und Concubine.

Niconé – Slowen (NCNE)

Ein bisschen sieht er auf dem Cover seines neuen Albums aus wie Rotkäppchen, der Alexander Gerlach. Na ja, ein bisschen: er ist halt kein kleines Mädchen, sondern ein bärtiger Mann. Und sein Kapuzenmäntelchen ist nicht rot, sondern blau. Aber es ist eben ein Kapuzenmäntelchen. Alexander Gerlach ist bekannt geworden als ein Teil des Berliner Duos Lexy & K-Paul, als Solokünstler nennt er sich Niconé. Auf „Slowen“ hat er jetzt ordentlich die Handbremse angezogen, sehr gemächlich und entspannt fließen seine Tracks, müssen sie ja auch, „slowen“ ist schließlich Denglisch für „verlangsamen“. Die Titel, die er seinen zehn Stücken verpasst hat, sind einigermaßen albern („Ohhhen“, „Loven“, „Baben“, „Kissen“), die Musik aber hat es in sich: weil es ihm ja nicht darum geht, Kracher für den Dancefloor zu produzieren, experimentiert er viel herum. Er baut Spannungslinien auf, die auch ohne Bass Drum funktionieren müssen, es wabert und dröhnt und steigert sich fast unmerklich, bis der Wumms dann doch mal kommt. Meiner Ansicht nach seine bisher beste Platte.

Nick Höppner – Folk (Ostgut Ton)

Hier kommt etwas zum Aufregen! Darf jemand, der mit beiden Beinen fest im Techno und House steht, sein Album „Folk“ nennen? Nick Höppner, der als DJ, Produzent und Label-Chef  das Geschehen im Berliner Club Berghain mitbestimmt, macht es einfach. Und meint natürlich etwas völlig anderes als handgemachtes, akustisches Gitarrengezupfe. Ihm geht es um die Tradition, in der die elektronische Clubmusik mittlerweile steht: vor 20, 30 Jahren wurde sie entwickelt, berief sich dabei auf Disco-Musik, die sich ja auch schon aus Funk und Soul herausgeschält hatte. Wann und wie genau das alles losging, lässt sich gar nicht mehr sagen. Aber wie die Musiker im Folk gaben auch hier die Produzenten und DJs ihr Wissen von Generation zu Generation weiter, auf Platte und auf dem Dancefloor. Und jede Generation machte aus dem Überlieferten etwas Neues, ohne die Wurzeln in Frage zu stellen. Höppners Tracks sind dafür das beste Beispiel: es regiert der 4/4-Takt, na klar, drumherum spielt er mit Sounds und Melodie-Schnipseln und fügt dem Techno-Universum einen weiteren kleinen Planeten hinzu, der kleine Electro-Folkie.

Concubine – Concubine (Concubine)

Man darf sich nichts vormachen: so sehr Techno in Berlin zur Alltagskultur gehört und zu jeder Tages- und Nachtzeit im Café, im Späti, beim Friseur oder aus dem Auto heraus ertönen kann, so außergewöhnlich ist das im Vergleich zu anderen Städten. Beim überfüllten Vietnamesen zu sitzen und zum Pak Choi Minimal Techno serviert zu bekommen, gibt es woanders eher selten. Ein Grund mehr, warum man als DJ gerne an die Spree zieht. Ein anderer Grund ist, dass die anderen auch schon alle da sind. Nehmen wir nur mal den Kanadier Noah Pred und den Australier Rick Bull (auch bekannt als Deepchild). Die beiden trafen sich eines Winters in Berlin und hatten wohl die Nase voll davon, alleine vor sich hinzuproduzieren. Und die Stadt strengte wohl auch ein bisschen an. Einmal die Woche traf man sich also zum gemeinsamen Musizieren (klingt altbacken, aber genau so muss man sich das vorstellen), um ohne Druck und Zwang zu improvisieren und herumzuspielen. Aus diesen Kreuzberger Sessions entstand schließlich ein Debütalbum, das die beiden unter dem Namen Concubine fertiggestellt haben. Atmosphärisch dicht, zusammengehalten durch den Beat, voller kleiner Spielereien, durchsetzt mit Stimmfetzen, wobbelnden Acid-Klängen und improvisierten Melodien. „Concubine“ (so heißt nicht nur das Projekt, sondern auch das Album selbst) gibt es umsonst auf der Homepage der beiden: www.concubine.cc

DJ und Musikjournalist Martin Böttcher stellt in unserer Serie "Spreelectro" Gutes aus der Hauptstadt vor.

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