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Carl Gustav Carus: „Brandung bei Rügen“, 1819. Der Arzt, Naturforscher und Philosoph malte als erster nur das Meer.

© bpk | Staatliche Kunstsammlungen

Neue Ausstellung im DHM: Aus der See geboren

Europa verdankt seine Entwicklung dem Meer – das ist die These der großen kulturhistorischen Ausstellung „Europa und das Meer“, die im Juni im Deutschen Historischen Museum eröffnet wird. Eine Vorschau.

„Wer dem Meer vertraut, kennt es nicht“, sagt ein griechisches Sprichwort. Trotz der exponierten Lage im Mittelmeer mit all den vielen Inseln hatten die Griechen zunächst kein gutes Verhältnis dazu. Sie hatten auch kein Wort dafür, sondern es gab nur den Begriff „thálassa“. Aber das heißt eigentlich salziges Wasser. Erst als im 8. Jahrhundert vor Christus der Bevölkerungsdruck zunahm, sahen sich die Griechen zur Migration gezwungen – auf dem Seeweg. Sie bauten Schiffe und brachen auf zu neuen Ufern, erwarben dazu das nötige Wissen, lernten navigieren und gründeten Kolonien.

Das Meer muss die Menschen immer schon fasziniert haben. Es ist ewig. Unaufhörlich schwappen Wellen an den Strand, und was sich hinter dem Horizont versteckt, muss schon immer eine Herausforderung für neugierige und wagemutige Menschen gewesen sein.

Aus der Tagung „Europa, das Meer und die Welt. Akteure, Agenten, Abenteurer“, die die Stiftung Deutsches Historisches Museum, der Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Geschichte der Universität Köln sowie die Ranke-Gesellschaft im November 2014 in Berlin veranstalteten, ist nun die Ausstellung „Europa und das Meer“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin hervorgegangen. Vom 13. Juni an wird sie zu sehen sein.

13 europäische Hafenstädte werden präsentiert

Siebzig Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt – eine immense Herausforderung für die Menschen: Sie nutzen sehr früh das Meer als Transportweg, zum Handeln, Forschen und Entdecken. Sie führten Kriege zu Wasser, und es diente ihnen als Ressource.

All den Fragen rund um das Meer und seine Nutzung geht das DHM in der groß angelegten Ausstellung nach: Sie soll exemplarisch an Hand von 13 europäischen Hafenstädten jeweils für die Städte typische zeitliche Perioden und Charakteristika thematisieren. So steht Piräus für die Antike, Venedig für das Thema Seemacht im Mittelalter. Danzig präsentiert den europäischen Küsten- und Seehandel im Mittelalter – die Stadt spielte im Rahmen der Hanse eine wichtige Rolle im Handel zwischen Nord- und Ostsee.

Am Beispiel der spanischen Hafenstadt Sevilla am Guadalquivir wird für das 15. und 16. Jahrhundert die Geschichte der europäischen Expansion erzählt, denn „Häfen stehen im Kommunikationsprozess zwischen Europa und der Welt“, sagt Professor Jürgen Elvert vom Jean-Monnet-Lehrstuhl für Geschichte in Köln. Von Sevilla aus begann die Eroberung der Kanaren, sozusagen ein Testfall für die Expansion über den Atlantik Richtung Mittel- und Südamerika. Lissabon steht für die Expansion nach Asien im 17. und 18. Jahrhundert. Hier geht es einerseits um die christliche Missionierung in Indien und China, aber auch um den Kulturaustausch mit diesen Ländern.

Ein Teil der Ausstellung widmet sich dem Sklavenhandel

Das alles wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nicht der Schiffsbau in Europa ab dem 15. Jahrhundert rasant entwickelt hätte. Wegweisend ist hier im 17. Jahrhundert Amsterdam, wo seetüchtige Schiffe für die Vereinigte Ostindische Companie (VOC), dem ersten „Multinational“ der Welt, praktisch im Akkord zusammengezimmert wurden. Neun Monate brauchte man damals für ein großes Segelschiff wie die „Batavia“, die man von 1985 bis 1995 nach alten Methoden in Lelystad in den Niederlanden nachgebaut hat.

Jean-René Lhermitte: Plan, Profil und Raumaufteilung des Sklavenschiffes „Marie-Séraphique“, um 1770.
Jean-René Lhermitte: Plan, Profil und Raumaufteilung des Sklavenschiffes „Marie-Séraphique“, um 1770.

© alain.guillard

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie Europa durch das Meer geprägt und mit der Welt verbunden ist. Diese Entwicklung hatte natürlich auch Schattenseiten wie etwa den Sklavenhandel über den Atlantik. Das finstere Kapitel der europäischen maritimen Geschichte wird am Beispiel von Nantes im 18. Jahrhundert erzählt, das neben Saint-Malo und La Rochelle Zentrum des französischen Menschenhandels war. Dabei geht es etwa um die Beschaffenheit der Schiffe, auf denen die Rechtlosen transportiert wurden und den wachsenden Widerstand, der dann im Sklavenaufstand auf Haiti gipfelte.

Vom 19. Jahrhundert an dominiert London den Welthandel zur See, Reedereien gewinnen an Bedeutung, Kommunikationskabel werden verlegt und letztendlich revolutioniert der Container den maritimen Handel.

Das Meer als wertvolle Ressource – und Erholungsort

Das Meer verbindet und trennt – das zeigt sich beim Thema Ein- und Auswanderung vom 19. Jahrhundert an am Beispiel Bremerhavens. Der Hafen war der Ausgangspunkt der Auswanderung aus Deutschland und Osteuropa. Im 20. Jahrhundert und verstärkt im 21. Jahrhundert erlebt Europa große Einwanderungswellen – ein Mobiltelefon mit zerbrochenem Display eines Flüchtlings aus Syrien zeugt in der Ausstellung von dieser Entwicklung. Auch die Folgen der Dekolonisierung bekommt Europa zu spüren – dies wird am Beispiel Großbritanniens gezeigt.

Aber das Meer ist auch von Anfang an eine wertvolle Ressource. Die Hansestadt Bergen in Norwegen steht für zwei Entwicklungen – den Fischfang im 14. und 15. Jahrhundert im Rahmen der Hanse und für die Energie- und Rohstoffgewinnung unserer Tage, eine Entwicklung, die nicht ohne Risiken für das empfindliche Ökosystem bleibt. Eng damit verbunden ist die Entwicklung der Meeresforschung, die im 19. Jahrhundert allmählich einsetzt und sich heute unter anderem damit beschäftigt, welche Folgen der Klimawandel für den Anstieg des Meeresspiegels hat.

Schließlich beginnt mit dem aufkommenden Strandtourismus Ende des 18. Jahrhunderts ein völlig neues Kapitel in der europäischen maritimen Geschichte. Das Meer wird zum therapeutischen und schließlich zum Erholungsort für viele Menschen. Vom Seebad zum Massentourismus bis hin zur Kreuzfahrt – das Spektrum ist weit gespannt.

Natürlich war das Meer auch immer ein Gegenstand in der Kunst, zunächst nur umständehalber, weil ein zu malendes Schiff nun einmal Wasser unter dem Kiel braucht. Aber im frühen 19. Jahrhundert entdecken die Künstler das Meer an sich. Es wird plötzlich zum eigenständigen Thema, wie das Gemälde „Brandung bei Rügen“ von Carl Gustav Carus 1819 eindrucksvoll zeigt. Aber auch zwei Jahrhunderte später hat das Meer mit seinen gewaltigen Ausmaßen nichts von seiner Faszination verloren, wie im letzten Raum der Ausstellung das 5,40 Meter lange und 1,45 Meter hohe fotorealistische Acrylgemälde „Nordsee“ von Jochen Hein belegt. Das Meer ist ewig – und es hat Europa geprägt.

Die Ausstellung „Europa und das Meer“ läuft vom 13. Juni 2018 bis zum 6. Januar 2019 im Deutschen Historischen Museum. Mehr Infos unter: www.dhm.de

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