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Sie geht ihren Weg. Lou Andreas–Salomé (Katharina Lorenz).

©  avanti media fiction

Neu im Kino: "Lou Andreas-Salomé": Intellektuelle und Dichterfreundin

Nietzsche, Rilke und Freud liebten und schätzten sie, vor allem aber war sie Autorin ihres eigenen Lebens. Nun ergründet ein Biopic das Faszinosum der Lou Andreas-Salomé.

War sie eine Männersammlerin? Lou von Salomé, die einzige Frau, die Friedrich Nietzsche je ernstlich heiraten wollte, die Sankt Petersburgerin, die Rainer Maria Rilke liebte und die ihm erst seinen Namen gab: René? So heißt kein Dichter. Und sie nannte ihn Rainer. Als sie mit Rilke lebte, war sie längst verheiratet, und natürlich nahm sie ihn mit nach Hause, gewissermaßen als Haushaltshilfe. Sie führte eine gute Ehe, doch mit ihrem Mann schlief sie nie. Der Orientalist Friedrich Carl Andreas hatte viel Gelegenheit, zu lernen, was Toleranz wirklich bedeutet: Leidensfähigkeit.

Dem Philosophen und dem Dichter folgten andere, schließlich Freud: als Freund. Der große Frauenverächter sah sich noch nie veranlasst, eine Vertreterin ihres bedauernswerten Geschlechts ernst zu nehmen. Bei Lou Andreas-Salomé machte er eine Ausnahme. Sie nannte sich seine Schülerin und wurde seine Lehrerin. Passt das alles in einen Film? Und wenn ja, wie?

Biografen sind reizbar und besserwisserisch

Vielleicht ist niemand weniger berufen, einen Lou-Film zu besprechen, als eine Lou-Biografin. Biografen sind reizbar und übelnehmerisch, sie wissen alles besser. Also: Kann ein Lou-Film mehr einfangen als Oberflächensensationen aus dem Leben einer Monstermuse?

Der Rahmen, in den Cordula Kablitz-Post die Rückblenden fasst, überzeugt sofort. Ein junger Mann sucht bei der alt gewordenen Göttinger Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé Rat für einen gefährdeten Freund. Der Mann ist der Germanist Ernst Pfeiffer (Matthias Lier), und der gefährdete Freund ist niemand anderes als er selber. Er darf wiederkommen – und am Ende liegt, gewissermaßen, die Analytikerin auf der Couch. Gemeinsam schreiben sie Lous Erinnerungen, denen sie den erkältenden Titel „Kurzer Lebensabriss“ hinzufügt.

Nicole Heesters spielt die alte Frau mit abgeklärter Überlegenheit. Es sei alles, alles gut, verabschiedete sie sich von Pfeiffer, als ihr eine Brustkrebsoperation bevorstand; und wenn sie überlebe, sei er der Erste, der es erfahre. Diese Szene kommt im Film nicht vor, wie auch? Ein Film besteht zu 99 Prozent aus Weggelassenem – und wenn das eine Prozent dennoch ein Bild ergibt, ohne Bebilderung zu sein, darf man wohl von Gelingen sprechen.

Die Männer? Hart an der Karikatur

Wobei der wirkliche Rahmen fast immer leicht verändert ist: Undenkbar etwa, Friedrich Nietzsche hätte die 23-Jährige mit nach Hause gebracht. Undenkbar auch die Sommer-Saale-Wasserspiele zu zweit. Alexander Scheer spielt diesen Nietzsche, ausgestattet mit fremdem Bartmonster, hart an der Karikatur. Von Julius Feldmeiers Rilke gar bleiben nicht viel mehr als zwei Augen als Seen, in denen man ertrinken kann. Andererseits zeigt Scheer nicht den ewig kranken, unendlich zurückhaltenden Menschen Nietzsche, sondern spielt den Gestus seiner Schriften, provokativ, angreifend. Übel ist das nicht.

Was Friedrich Nietzsche an dieser Frau faszinierte, war klar: Da verfügte endlich jemand über das, was er an seinen Zeitgenossen so vermisste, ein intellektuelles Gewissen. 1861 in Sankt Petersburg geboren und gegenüber dem Zaren-Palast aufgewachsen, hatte sie Gott schon viel früher begraben als der Pfarrerssohn – in dem Augenblick, als das Noch-Kind Lou die erste Erfahrung der Vergänglichkeit machte. Nun sah sie sich außerstande, sich konfirmieren zu lassen, und inhalierte die gesamte europäische Geistes- und Kirchengeschichte, um sich zu rechtfertigen. Diese Grundausstattung machte sie für ein zeitgenössisches Frauenleben gänzlich ungeeignet und wohl zur ersten Intellektuellen Deutschlands.

Cordula Kablitz-Post unterschlägt diese Dimension keineswegs, und wie sie einen leibhaftigen „lieben Gott“ in Gespräche mit dem Lou-Kind (Liv Lisa Fries) verwickelt, ist mehr als ein schöner Einfall. Katharina Lorenz spielt die Frau, die durch Menschen wie durch Wände ging, mit einer beinahe metallenen späten Mädchenhaftigkeit. Nein, zur Liebe war sie eher minderbegabt, dafür wurde Lou Andreas-Salomé, was noch fast keiner Frau gelang, zur Autorin ihres Daseins.

In Berlin in den Kinos b-ware!, Blauer Stern, Cinemaxx, Eva und Kulturbrauerei

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