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Rückkehr auf Feld. Clarke Peters, Delroy Lindo, Jonathan Majors (v. l.).

© David Lee/Netflix

Netflix-Film „Da 5 Bloods“: In den Dschungel der Geschichte mit Spike Lee

In seiner ersten Netflix-Produktion „Da 5 Bloods“ erzählt Spike Lee von afroamerikanischen Vietnam-Veteranen, Rassismus und Stigma.

Die kurze Szene könnte aus einer Seifenoper stammen: Eine Vietnamesin erklärt ihrer erwachsenen Tochter, dass es sich bei dem Mann, der eben zu Besuch war, um ihren Vater handelt.

Und doch kulminiert gerade in diesem Moment, der wenig zu tun hat mit dem eigentlichen Filmplot, das, worum es in Spike Lees „Da 5 Bloods“ geht. Der verlorene Vater ist der Grund, warum die Tochter zeit ihres Lebens von einem doppelten Stigma heimgesucht wird: schwarz zu sein in Vietnam – und das Kind eines US-Soldaten.

Ein Kamerad ist Trump-Wähler

Dieser Vater, Otis, ist einer der vier afroamerikanischen Vietnam-Veteranen, die zu Beginn des Films nach Jahrzehnten in das Land ihres Einsatzes zurückkehren. Die „Bloods“ waren eigentlich zu fünft, Anführer Norman hat den Einsatz damals nicht überlebt.

Seine sterblichen Überreste wollen die Kameraden nun bergen und außerdem eine Ladung Goldbarren finden, die sie im Dschungel zurücklassen mussten. Auch die erste politische Anspielung in Spike Lees erster Netflix-Produktion ist alles andere als subtil: Im Nachtclub, den die vier nach der Ankunft besuchen, outet sich Paul zum Entsetzen seiner Kameraden als Trump-Wähler. Er ist derjenige unter ihnen, der am meisten posttraumatisch belastet ist.

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Es ist die paradoxe Kunst des Spike Lee, komplexe Dinge auf diese Weise herunterzubrechen. Was immer wieder deutlich wird: Überall, wo Amerika war, waren auch schwarze Amerikaner. In einer der zahlreichen historischen Einschübe geht es um Crispus Attucks, den ersten Gefallenen im Revolutionskrieg, auch er ein Schwarzer.

Afroamerikaner stellten ein Drittel der eingezogenen Soldaten

Seit der Staatsgründung ist die Geschichte des US-Rassismus also auch die einer Verheizung: Zur Zeit des Vietnamkriegs stellten Afroamerikaner gut zehn Prozent der Bevölkerung, aber ein Drittel der eingezogenen Soldaten.

Diese nüchterne Tatsache wird in einer der Rückblenden von einer vietnamesischen Radiomoderatorin vorgetragen, die im Dienst des Vietcong versucht, die schwarzen GIs gegen ihre weißen Kameraden aufzuwiegeln.

Es ist ein günstiger Moment dafür, nämlich die Nacht nach der Ermordung von Martin Luther King. In den amerikanischen Städten kommt es zu Aufständen, und die „Bloods“ überlegen im Dschungel, die Waffen gegen die Weißen zu richten. Doch Norman, ihr Anführer (gespielt von „Black Panther“-Star Chadwick Bozeman), hält sie im letzten Augenblick davon ab. Der Kampf an der Heimatfront muss anders gewonnen werden.

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Ursprünglich sollte der Film von weißen Veteranen handeln, und Oliver Stone sollte Regie führen. Dann aber übernahmen Lee und sein Co-Autor Kevin Willmott, schrieben das Script um und erweiterten das ziemlich weiße Genre des Vietnamkriegsfilms um gleich zwei Perspektiven: um die afroamerikanische und die vietnamesische.

Im konfliktreichen Verhältnis zwischen den beiden unterdrückten Gruppen baut sich eine ähnlich gewaltgeladene Spannung auf wie in Lees Brooklyn-Klassiker „Do the Right Thing“.

Stilistisch ähnelt „Da 5 Bloods“ Lees letztem Film „BlacKkKlansman“, geht in seiner Formenvielfalt sogar noch weiter. Bei den Rückblenden schrumpft das breite Bild in das enge 4:3-Format, wobei die Darsteller – einer der vielen klugen Verfremdungseffekte des Films – dieselben bleiben.

Sie spielen auch ihre jüngeren Ichs, ohne digitale Verjüngungskur wie zuletzt bei Martin Scorsese, der seine Darsteller für „The Irishman“ (ebenfalls Netflix) digital ent-faltet hatte.

Der zweite Teil ist ein brutaler Genrefilm

In einem Interview spottete Lee, dass er für solche Computerspielereien kein Budget bekomme. Aber der Verzicht auf die realistische Inszenierung der Vergangenheit ist auch Programm: Geschichte wird hier nicht ins Museum gesteckt, stattdessen wird nach ihren Effekten in der Gegenwart gesucht.

Und auch das Archiv afroamerikanischer Politik und Kultur, an dem Lee in jedem seiner Filme weiterbaut, geht in keiner linearen Fortschritts- oder Widerstandschronik auf.

So vielschichtig „Da 5 Bloods“ in seiner Substanz auch sein mag, so gesättigt mit historischen Bezügen und politischer Kritik: Im zweiten Teil entwickelt er sich zu einem brutalen Genrefilm, einer Art „Der Schatz der Sierra Madre“ auf verbrannter Erde, mitsamt zerfetzten Gliedmaßen und Kopfschüssen, Tretminen-Suspense und Showdown-Schießereien.

Zum Glück sind die ausnahmslos tollen Darsteller, neben Boseman unter anderem Isiah Whitlock Jr., Clarke Peters und Delroy Lindo, mehr als nur Stichwortgeber für die verhandelten Themen.

Die Gewalt der Geschichte ist allgegenwärtig

Durch die Ereignisse und Proteste nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd hat „Da 5 Bloods“ eine traurige Aktualität gewonnen. Aber es würde die Wirkung des Films abschwächen, läse man ihn nur als Kommentar zur Tagespolitik.

Man ginge dann einer Logik auf den Leim, der zufolge es sich bei Rassismus um eine Art Naturkatastrophe handelt, die jetzt mal wieder „passiert“ – und nicht um einen integralen Bestandteil der amerikanischen Geschichte und Gegenwart, wie „Da 5 Bloods“ es verdeutlicht.

Die Gewalt der Geschichte, hat James Baldwin einmal geschrieben, rührt daher, dass sie buchstäblich gegenwärtig ist, in allem, was wir tun. Für diesen Satz scheint Spike Lee in seinen jüngsten Filmen nach einem filmischen Ausdruck zu suchen.

Das Schöne dabei: Es ist für ihn kein Grund, akademisch zu werden. Die Dinge sind heillos verstrickt, aber die Kino-Affekte werden bedient, und Spike Lee weiß, wie das geht. „Da 5 Bloods“ ist Popcorn-Kino und Essayfilm – eine explosive Mischung, die wohl gerade bitter nötig ist.

Till Kadritzke

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