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Greisdreieck. Neil Young mit Billy Talbot (l.) und Frank "Poncho" Sampedro von Crazy Horse.

© Thilo Rückeis

Neil Young in der Waldbühne: Die Nacht der Riesen

Für immer Hippies: Neil Young und Crazy Horse spielen seit 45 Jahren zusammen. Jetzt kamen sie für ein triumphales, krachendes Konzert in die Berliner Waldbühne.

Am Ende, als sich hinter den Baumwipfeln bereits die Nacht über Berlin zu senken beginnt und der Jubel der 22 000 Zuschauer immer lauter wird, kommt Neil Young noch einmal auf die Bühne, um als Zugabe den Song zu spielen, auf den alle gewartet haben: „Like a Hurricane“. Er beginnt mit dröhnenden Rückkopplungen, aus denen sich erst die verzerrte Melodie seiner E-Gitarre und dann die helle, immer noch jugendlich wirkende Stimme des Sängers erhebt: „Once I thought I saw you / in a crowded hazy bar.
Ein Gänsehautmoment. Und der Augenblick, in dem die kollektive Rührung umkippen könnte zu Kitsch und Rührseligkeit. Denn „Like a Hurricane“ ist nicht nur eines der größten Liebeslieder des 20. Jahrhunderts, sondern auch eines der abgenudelsten. Unweigerlich steigen dazu Erinnerungen auf an Engtanzparties in Jugendzentren, den Geruch von Räucherstäbchen und das Lichtorgelgeflacker in Provinzdiskotheken, an eine Vergangenheit, die gerade erst vergangen zu sein scheint. Oder war sie bloß ein Traum? „I am just a dreamer / but you are just a dream“
Aber Neil Young sowie Billy Talbot, Ralph Molina und Frank „Poncho“ Sampedro, die drei Gefährten seiner Band Crazy Horse, blasen jeden Anflug von Nostalgie sofort hinweg: durch ihre Virtuosität und den Lärm, den sie mit ihren Instrumenten entfachen. Molina drischt stoisch auf sein Schlagzeug ein. Young und der Bassist Talbot stellen sich vor die Lautsprechertürme und modulieren mit dem Rücken zum Publikum einen Mahlstrom aus splitternden, sprotzenden, seltsam schönen Feedbackpartikeln. Und Sampedro, eigentlich Rhythmusgitarrist, spielt auf einem Synthesizer, der wie eine Schaukel vom Bühnenhimmel baumelt, molllastig grummelnde, lang nachhallende Kirchenorgelakkorde. Es ist laut. Und großartig. „And I’m getting blown away.“ Überall auf den amphitheaterartig aufsteigenden Rängen der Waldbühne leuchten die Displays der Smartphones, die das Finale festhalten für die Ewigkeit. „Thank you Berlin!“, brüllt Young noch und verbeugt sich. Dann verschwindet er in die Nacht.

Etwas Magisches liegt über diesem Abend. Er beginnt mit einem Wunder, nämlich damit, dass nach stundenlangem, deprimierenden Dauerregen der Himmel ziemlich genau in dem Moment aufklart, als die ansonsten belanglose Vorband Los Lobos die Bühne betritt. Das Konzert, zu dem sich vor allem die langsam ergrauenden Kohorten der Woodstock- und Post-Woodstock-Generation versammelt haben, wirkt wie ein überdimensionales Klassentreffen und ein bisschen wie ein Gottesdienst. Durch das Halbrund der Zuschauer branden La-Ola-Wellen, angeführt von einem links außen sitzenden Fan, der ein Häuptlingkostüm trägt. Neil Young hat Crazy Horse 1968 gegründet, unmittelbar nachdem sich seine Band Buffalo Springfield aufgelöst hatte. Sie machen nun seit fast einem halben Jahrhundert – mit Unterbrechungen – Musik, zusammen sind sie 269 Jahre alt. Die „Alchemy“-Welttournee, die im Herbst in den USA begann und mit dem Berliner Auftritt Europa erreicht, könnte die Abschiedsvorstellung sein.

Die E-Gitarre kreischt und jault wie ein verwundetes Tier

Greisdreieck. Neil Young mit Billy Talbot (l.) und Frank "Poncho" Sampedro von Crazy Horse.
Greisdreieck. Neil Young mit Billy Talbot (l.) und Frank "Poncho" Sampedro von Crazy Horse.

© Thilo Rückeis

Neil Young ist 67, vor acht Jahren wäre er beinahe an einem Gehirnaneurysma gestorben. Doch er strahlt ungebrochene Vitalität aus, im letzten Jahr hat er neben seinem autobiografischen Buch „Ein Hippie-Traum“ gleich zwei herausragende Alben veröffentlicht: die Folk- und Blueshuldigung „Americana“ und „Psychedelic Pill“, eine Rock’n’Roll-Monsterplatte, für die er mit dem von Radio eins und Tagesspiegel verliehenen Soundcheck Award ausgezeichnet wurde (siehe Kasten).
Mit „Psychedelic Pill“ blickt Young auf sein Leben und auf die Träume, Siege und Niederlagen seiner Generation zurück. Die Bilanz fällt durchwachsen aus. In der bittersüßen Hymne „Walk Like a Giant“, die er in Berlin in einer umjubelten 18-Minuten-Fassung spielt, singt er von donquichottesken Kämpfen, von einer besseren Welt, die näher zu rücken scheint – „We could see it in the distance / Getting closer every minute“ – und doch unerreichbar bleibt.
Die E-Gitarre kreischt und jault wie ein verwundetes Tier, und im Refrain konstatiert der Sänger das Schwinden seiner Kräfte: „I used to walk like a giant on the land / Now I feel like a leaf floating in a stream.“ Das Stück endet, wie der Puls eines Sterbenden, mit einem immer langsamer werdenden Beat aus Trommel, Gitarre und Bass. Der Schriftsteller Navid Kermani hat es gerade in der „Zeit“ als Todes-Epiphanie gedeutet. Aber es ist genauso gut ein allerletzter Protestsong, der Abgesang auf die Visionen der Hippies, die naiv gewesen sein mögen, aber gewiss nicht vergeblich.

Nach „Walk Like a Giant“ spielt Neil Young „Hole in the Sky“, einen noch unveröffentlichten Song über das Ozonloch, der im Frühjahr während der Tour durch Australien entstand und wohl auf dem bereits angekündigten nächsten Album enthalten sein wird. Es folgen, in einer herrlichen Akustikversion, der Klassiker „Heart of Gold“ und die ultimative Hippiehymne, Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“. Sie galten lange als Antipoden, aber Young hat Dylan immer bewundert. In seiner Autobiografie beschreibt er, wie sehr er sich freute, als Dylan einmal bei ihm anrief und ihn lobte.
Neil Young wird niemals aufhören, ein Hippie zu sein. Dazu gehört die Verweigerungshaltung gegenüber den Zumutungen der Unterhaltungsindustrie. Andere Rockstars mögen mit Sattelschleppern voller Bühnenaufbauten durch die Welt tingeln. Ihm genügt als Dekoration ein Banner mit dem reitenden Indianer des Crazy-Horse-Logos. Er braucht auch kein Kamerateam, das ihn beim Singen filmt, auf dass auch weiter weg stehende Zuschauer sein Gesicht auf einer Leinwand anschauen können. Auf der Bühnenrückwand drehen sich bloß ein paar bunte Projektionen, psychedelische Lichtspiele. Und den vier älteren Herren, die 15 Lieder aus fünf Jahrzehnten spielen, würde auch eine viel kleinere Bühne reichen. Neil Young, Billy Talbot und Frank Sampedro tanzen in eckigen Bewegungen umeinander, Ralph Molina thront an seinem Schlagzeug hinter ihnen. Es geht nicht um Show an diesem Abend, nur um: Musik. Rock’n’Roll can never die.

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