zum Hauptinhalt

NBK und NGBK: Mehr Demokratie malen

Ein Buchstabe macht den Unterschied: Zwei Berliner Kunst-Institutionen feiern 40. Geburtstag – NBK und NGBK.

Kleine Zeitreise gefällig? „Das Projekt muss durch Aufdeckung von Widersprüchen, und zwar der Entwicklungstendenz des Proletariats folgend, dazu beitragen, dass das Proletariat die Herrschaftsmechanismen des Kapitals erkennt und die Notwendigkeit des organisierten Kampfes gegen das Kapital einsieht.“

So lasen sich 1970 Sitzungsprotokolle von Kunstfreunden. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) hatte sich gerade gegründet und bereitete ihre zweite Ausstellung vor, „Funktionen bildender Kunst in unserer Gesellschaft“ in der Akademie der Künste. Auf großen roten Spruchbändern wurde da die Entwicklung von der „Urgesellschaft“ zum Spätkapitalismus erklärt und die Umwälzung der Verhältnisse gefordert. Im Sozialismus, versprach der Katalog, hätte jeder Mensch freien Zugang zur Kunst.

Mag die Ausstellung in ihrem Totalanspruch gescheitert sein, das Ideal einer Kunstorganisation von unten zumindest lebt weiter – in den beiden Berliner Kunstvereinen, die dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiern. 40 Jahre Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) und 40 Jahre Neuer Berliner Kunstverein (NBK) – das sind 40 Jahre Geschichte von Kunst und Öffentlichkeit. In keiner anderen Kunstinstitution haben sich gesellschaftliche Veränderungenen, politische Kämpfe und künstlerische Entwicklungen so direkt niedergeschlagen wie in den beiden demokratisch organisierten Berliner Vereinen. Der Marsch durch die Kunstinstitutionen nahm hier seinen Ausgangspunkt. Der erste Schatzmeister der NGBK hieß Otto Schily.

1965 fehlten Berlin Räume für Gegenwartskunst. Die Akademie war noch jung, die Nationalgalerie noch nicht eröffnet, die Staatliche Kunsthalle am Breitscheidplatz öffnete erst 1977. Die Kunstvereine, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts vom aufstrebenden Bürgertum zur Förderung des Guten, Wahren und Schönen gegründet worden waren, hatten im Nationalsozialismus ihre Funktion verloren. Adolf Arndt, aus dem Amt geschiedener Kultursenator, füllte die Leerstelle mit der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst (DGBK). Es war eine Gründung von oben, ausgestattet mit staatlichen Lottomitteln, über deren Vergabe dreißig ordentliche Mitglieder auf Lebenszeit entschieden. Am 5. Dezember 1968 sprengten Studenten die Hauptversammlung, verkündeten: „Der Kunstverein stinkt!“ und erzwangen die Auflösung.

Als die „Neue Gesellschaft für Bildende Kunst“ in Gründungseuphorie war, mit einer bis heute einmaligen basisdemokratischen Verfassung, kam ihr der Neue Berliner Kunstverein als Nachfolgeverein der DGBK um drei Tage zuvor. Der Senat beschloss, die Lottomittel paritätisch aufzuteilen, und eine produktive Doppelexistenz begann: Während der NBK vor allem Berliner Künstler in Einzelausstellungen förderte, erarbeiteten in der NGBK Arbeitsgruppen thematische und kritisch-historische Ausstellungen mit didaktischem Anspruch. Die Betonung lag auf „Neue Gesellschaft“ – man zielte aufs Ganze. Das erste Projekt grub die Werke des antifaschistischen Plakatkünstler John Heartfield aus der Weimarer Republik wieder aus und plakatierte dessen Motive auch im Stadtraum auf Litfasssäulen und in U-Bahnhöfen – ein frühes Vorbild für die bis heute laufenden Kunst-im-U-Bahnhof-Projekte der NGBK. „Das gab einigen Aufstand und gerichtliche Klagen“, erinnert sich der Maler Hans-Jürgen Diehl, damals Aktivist, später HdK-Professor, heute im Ruhestand. Die Vereine realisierten ihre Projekte in ihren Büroräumen, in der Akademie oder der Kunsthalle am Breitscheidplatz. Erst nach der Wende erhielten sie feste Räume.

Während im NBK der von Vorstand und Verwaltungsrat gewählte Direktor das Jahresprogramm gestaltet, entscheiden in der NGBK noch immer alle Mitglieder gemeinsam über das Jahresprogramm – wie gestern auf der Hauptversammlung im Radialsystem. Hier treffen junge Kunstschaffende, die Projekte realisieren wollen, auf politische Aktivisten. Manche Karriere hat in der NGBK ihren Ausgang genommen. Joachim Neier, Leiter des Wilhelm Busch Museums Hannover, Barbara Straka, Präsidentin der Kunsthochschule Braunschweig, Gabriele Horn, die heute die Kunstwerke in der Auguststraße leitet – sie alle sammelten ihre ersten Erfahrungen in Arbeitsgruppen in der NGBK. „Danach kann einen so schnell nichts mehr erschüttern“, sagt Gabriele Horn.

Heute scheinen sich die Verhältnisse zumindest auf der Oberfläche verkehrt zu haben: Die NGBK hat seit den  Neunzigern eine sichtliche Professionalierung durchlebt. Auf dem Platz der Geschäftsführerin sitzt hier die sich gemessen und vermittelnd ausdrückende Leonie Baumann. Im NBK in der Chausseestraße dagegen trifft man auf Marius Babias mit Nickelbrille und Veganer-Kapuzenpullover, der als Nachfolger von Alexander Tolnay einen Hauch Aktivistentum ins Haus gebracht hat. Er hat das Erscheinungsbild neu gebürstet und setzt auf Parties statt elitärer Künstleressen. Das Konzept scheint aufzugehen: Während die 280 deutschen Kunstvereine (nirgends auf der Welt gibt es so viele) unter Überalterung leiden, berichtet Babias stolz von 100 Neueintritten gerade von Jüngeren.

Sind die Vereine überhaupt noch unterscheidbar? Durchaus, sobald man den Schaufensterblick ablegt und tiefer blickt. Die NGBK steht noch immer für ein einzigartiges Miteinander von Kunst und politischer Aktivität. Immer wieder tat sie sich mit Feminismus- und Genderfragen hervor, als erste Kunstinstitution widmete sie sich 1988 dem Thema Aids. Letztes Jahr fragte die Ausstellung „unvermittelt“ nach neuen Begriffen von Arbeit. Bei der NGBK finden nicht nur Aktivistengruppen in die Ausstellungsprojekte, sie gehen auch daraus hervor. „Es ist das Tollste, wenn Kunst das bewirken kann“, sagt Leonie Baumann. „Hier ist einer der wenigen Orte, wo die Kunst Themen in das gesellschaftliche Leben zurücktragen kann.“ Ihre neuesten Fans hat die NGBK in einem türkischen Mädchenverein gefunden.

Die alten Fronten mögen eingerissen sein, die produktiven Feindbilder von Staat und etabliertem Kunstbetrieb abhanden gekommen. Kritische Kunst ist in die großen Kunstspektakel eingegangen. Doch gerade in Berlin, wo es üblich ist, sich bei der Präsentation zeitgenössischer Kunst auf private Sammler zu verlassen, können die Kunstvereine dieser Tage strahlen: als Gegenmodell zum Markt und Nährboden für Experimente.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false