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Das Titelblatt des "Illustrierten Film-Kuriers" wirbt 1933 für die Filmkomödie "Lachende Erben" mit Heinz Rühmann und Ida Wüst.

© R/D

Nationalsozialistische Medienpolitik: Lücken in der geschlossenen Front

Der Germanist Erhard Schütz entdeckt in der Gebrauchsliteratur des "Dritten Reichs" politische Spielräume und Zwischentöne.

War der Nationalsozialismus eine „aus zeitgenössischer Sicht durchaus erfolgreich scheinende Antwort auf die Moderne-Problematik“? So die These, die der Germanist Erhard Schütz seinen 13 unter dem Titel „Mediendiktatur Nationalsozialismus“ gesammelten Aufsätzen vorausschickt.

Das klingt so provozierend wie Götz Alys Darstellung des Nationalsozialismus als seinerzeit mehrheitsfähige „Wohlfühldiktatur“. Vielleicht deshalb beteuert Schütz, er habe „ nichts mit defätistischem Relativismus oder strategisch interessiertem Normalismus zu tun“ – kurz: mit Verharmlosung.

Dennoch erkennt er in der Darstellung von Nazis und Nationalsozialismus in Comics, Hollywoodfilm oder Kriminalromanen eine „generelle Monstrosisierung“, die unter umgekehrten Vorzeichen die Stereotype der NS-Propaganda und ihr manichäisches Weltbild wiederholt.

Damit werde dasselbe bewirkt, was die Nazis mit dem Feindbild „der Juden“ erreichten – „nämlich das Unsichtbarmachen des realen Gegenübers“. Genau darin übe sich gerade wieder die Literatur, zumal in Familienromanen: „Der braun gewesene Opa ist da ein ebenso allfälliger Topos wie der schneidige SS-Scherge andernorts Teil unserer Folklore.“

Schlagworte von Blut und Boden

Das galt lange auch für die wissenschaftliche Rezeption von NS-Kunst, Medien und Literatur, die mit Schlagworten von Blut und Boden, Gleichschaltung, Bücherverbrennung und Ausschaltung „entarteter“ Kunst gebrandmarkt und als faschistische Ästhetik à la Speer, Breker und Riefenstahl hinlänglich charakterisiert schien.

Er selbst, bekennt Schütz, habe nur zögerlich in der Gebrauchs- und Massenliteratur der Zeit, besonders dem technikbegeisterten „romanesken Sachbuch“, den eigentlichen Beitrag des Faschismus zur zwiespältigen Modernisierung der Gesellschaft erkannt.

Von Kollegen wie Horst Denkler, Karl Prümm und Hans Dieter Schäfer habe er viel über die Zeitschrift „Das Innere Reich“ gelernt, über die NS-Filmkomödie Wichtiges aus Karsten Wittes Studie „Lachende Erben, Toller Tag“ erfahren. Die Widersprüche der Kulturgeschichte sieht er schon in der NS-Führung verkörpert: „Hitler, der Bohemien, inszenierte sich als charismatischer Biedermann, Göring, der Soldat, gab den Falstaff; und Goebbels, der körperlich stigmatisierte Ehrgeizling, gerierte sich als Dandy und Avantgardefreund.“

Goebbels hatte rasch erkannt, dass selbst für treue Volksgenossen „das Abspielen unserer Kampflieder zum Abendbrot (...) nicht förderlich, sondern destruktiv“ sein würde. Mit Unterhaltungskunst auf allen Kanälen hielt er das Volk selbst noch im Krieg bei Laune. Die Orthodoxie eines Alfred Rosenberg als Künder der reinen Parteilehre konnte da nicht mithalten. Dessen „Mythus des Zwanzigsten Jahrhunderts“ blieb trotz Massenauflage ungelesen und wurde nur ein einziges Mal rezensiert – von ihm selbst.

Rivalität auf allen Ebenen des Apparats

Zwar zentralisierte das Kulturkammersystem die Aufsicht über Kunst- und Literaturproduktion, wurde aber von Protektion und Rivalitäten auf höheren und niederen Etagen des Apparats konterkariert. Zugleich bewahrte sich das Verlagswesen durch Rückzug auf historische, unpolitische und „Sach“-Literatur Spielräume, in denen die echten Bestseller der NS-Zeit gediehen: allen voran „Vom Winde verweht“, Falladas Kleine-Leute-Romane, heitere Unterhaltungsliteratur von Heinrich Spoerl, Jo Hanns Roesler und Ernst Heimeran, Sachbücher wie Schenzingers „Anilin“ und das gehobene Feuilleton von Peter Bamm, Wilmont Haacke oder Sigismund von Radecki.

Den Abschluss bildet ein Exkurs zu „kontrafaktischen“ Geschichten des „Dritten Reichs“ in Romanen nach 1945, die seine Weiterexistenz nach einem geglückten Attentat auf Hitler imaginieren – etwa Wolfgang Brenners „Führerlos“ (2008) oder Dieter Kühns „Elser jagt Hitler in die Luft“ (2010). Leider wird die Erschließung des Buchs durch ein Register behindert, in dem nicht nur ausführlich erwähnte Autoren wie Arnolt Bronnen, Horst Lange und Arno Schmidt fehlen, sondern alle Verweise um zwei Seiten versetzt sind.

Erhard Schütz: Mediendiktatur Nationalsozialismus. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2020.´422 Seiten, 48 €.

Hannes Schwenger

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