zum Hauptinhalt
Breakdance

© Soeren Stache/dpa

Nationalgalerie: Ich Bach, du Turnschuh

Die Breakdancer der Berliner Gruppe "Flying Steps" tanzen zum "Wohltemperierten Klavier" von Bach in der Neuen Nationalgalerie Berlin.

Es beginnt verheißungsvoll. Die letzten fahlen Farben der untergehenden Sonne erhellen den Westhimmel hinter der Bühne in der Neuen Nationalgalerie, bevor Scheinwerfer die Bäume in silbriges Licht tauchen und der Außenansicht eine beeindruckende Tiefenschärfe verleihen. Hierher also, in Mies van der Rohes Tempel bildungsbürgerlicher Hochkultur, hat Christoph Hagel das ganz andere geholt, das Zornige, Zerrissene: den Breakdance, entstanden in den 70er Jahren auf den Straßen der Bronx, entwickelt von Jugendlichen, für die der Name Johann Sebastian Bach so fern und fremd gewesen sein dürfte wie die Hochhäuser des Finanzdistrikts von Manhattan.

Ihre Nachfolger, die Berliner Gruppe „Flying Steps“, lässt Hagel jetzt in „Flying Bach“ zu den ersten zwölf Präludien und Fugen von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ tanzen, während – auf dem Flyer – der Komponist in Perücke und Jogginganzug scheinbar wohlwollend zusieht und dabei ein Auge zukneift.

Christoph Hagel ist der Mann, dessen Name inzwischen reflexartig mit dem Zusatz „Opern an ungewöhnlichen Orten“ in Verbindung gebracht wird – als sei das für sich genommen schon eine Auszeichnung. Doch eine ungewöhnliche Spielstätte allein garantiert keinen fruchtbaren Austausch zwischen Werk und Ort. Hagels letzte Inszenierung „Così fan tutte im E-Werk“ hätte überall spielen können. Das schmälert nicht die Bedeutung seines grundsätzlichen Anliegens: die „Integration heutiger Lebensgefühle in Werke der Hochkultur“. Die Frage ist nur, zu welchem Preis dies geschieht.

In der Nationalgalerie ist der Preis jedenfalls hoch. Bezeichnend schon die Position des Flügels. Abgeschlagen, im Schatten, steht er am Rande, eine Fußnote. Hagel spielt selbst, der erste Auftritt der sechs Breakdancer, choreografiert von Vartan Bassil, ist atemberaubend. Im schnellen Präludium c-Moll gibt Bach den Takt der Körper vor, die sich exakt auf den Schlag drehen, winden, in Pirouetten auf dem Kopf rotieren. Für einen Augenblick glaubt man, an diesem Abend könnte sich tatsächlich Großes ereignen, die Integration „heutiger Lebensgefühle“ in die ältere Kunstform könnte gelingen.

Doch das Präludium c-Moll dauert nur etwas länger als eine Minute, dann ist der Zauber schon vorbei. Hagel spielt nur wenige der 24 Nummern, seine Partnerin Sabina Chukurova am Cembalo ein paar mehr, der Rest ist schlicht neu geschriebene elektronische Musik. Die Behauptung im Pressematerial, „Zudem werden einige Bach-Elemente elektronisch verfremdet präsentiert“, ist eine schamlose Untertreibung. Die Synthesizerklänge von Ketan und Vivan Bhatti, die mit Fragmenten der Fugenstimmen arbeiten, überlagern die Produktion und decken sie schließlich völlig zu. Das kann man so machen, nur: Wozu dann überhaupt noch Bach draufschreiben?

Das Projekt offenbart vor allem ein eklatantes Misstrauen in die Kraft seiner Musik, eine geradezu panische Angst, das „Wohltemperierte Klavier“ alleine den Abend tragen zu lassen. Von der Ursprungsidee ist nicht mehr viel übrig. Das ist umso bedauerlicher, als barocke Musik die Anreicherung durch elektronische Beats gar nicht braucht, um tanzbar zu werden. Es würde ausreichen, zwei- oder viermal so schnell zu den Schlägen zu tanzen, um enorme Effekte zu erzielen. Das Problem ist nicht, dass die „Flying Steps“ nicht gut tanzen würden. Sie balancieren auf den Händen, schaufeln mit den Füßen, lassen Impulse wie Wellen durch alle sechs Körper wandern, bilden skulpturale Szenen von der antiken Kraft einer Laokoon-Gruppe.

Dabei erzählen sie auch darstellerisch überzeugend eine kleine Geschichte von Eifersucht um eine Frau (Yui Kawaguchi als klassisch ausgebildete Balletttänzerin). Nur hat all das so wenig mit der Musik von Bach zu tun, dass auch die Bewegungen nicht mehr seinen Takt-Vorgaben folgen und das (letztlich dann doch kleine) Repertoire an Breakdance-Figuren beliebig wird.

Stumm stehen die Kunstformen einander gegenüber und blicken sich an. Und Bachs zugekniffenes Auge wirkt plötzlich, als würde er eine Träne verdrücken.

Neue Nationalgalerie, bis 1. Mai. Nächste Aufführung am Freitag, den 16. 4., 20.30 Uhr, Tickets: www.ticketonline.de.

Zur Startseite