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Rohes Reality-Kino. Szene aus Nate Parkers "American Skin".

© Filmfest Venedig

Nate Parker auf dem Filmfest Venedig: Gefangen zwischen #MeToo und #BlackLivesMatter

Nate Parker fiel nach einem Missbrauchsskandal in Ungnade. In Venedig tritt er seinen Bußgang an. Und zeigt mit “American Skin” ausgerechnet ein Gerichtsdrama.

Von Andreas Busche

Eine Gruppe bewaffneter Afroamerikaner stürmt eine Polizeistation und nimmt die Beamten, Zelleninsassen und Zivilisten als Geiseln. Ihr Wortführer Lincoln will vor laufender Kamera einen Prozess inszenieren, in dem zwölf Geschworene das Urteil über einen Polizisten sprechen müssen, der seinen Sohn bei einer Kontrolle erschossen hat. Der Laienprozess soll für Gerechtigkeit sorgen, wo die Justiz versagt. Hinter der Kamera: zwei Filmstudenten, die eigentlich nur eine Dokumentation über den trauernden Vater geplant hatten.

Das ist das Set-up von Nate Parkers zweitem Film “American Skin”, der zu Beginn der Woche in Venedig außer Konkurrenz seine Premiere hatte. Er besteht über weite Strecken aus den Aufnahmen der beiden Studenten. Seine rohe Ästhetik wirkt amateurhaft, aber sie verleiht dem Film Dringlichkeit, die Parkers Debüt “Birth of a Nation”, über den Sklavenaufstand Nat Turners von 1831, fehlte. “American Skin” beginnt mit ähnlich “schmutzigen” Bildern, eingefangen von der Dashboard-Cam der Polizisten.

Parker, der erneut die Hauptrolle übernommen hat, spielt mit der Idee, dass sein Rohmaterial aus "found footage" besteht. Es geht hier nicht darum, ein neues Meisterwerk in die Welt zu setzen, sondern um die Nachstellung von afroamerikanischer Lebenswirklichkeit. Polizeigewalt. Rassismus. Ausgrenzung.

“American Skin” hat mit seinem didaktischen Aufbau – wie jedes Gerichtsdrama – viel zu schultern, aber die Verhandlung verrät einiges darüber, wie aufgeladen in den USA das Thema “Hautfarbe” ist. Und wie Ressentiments unwillkürlich zu Gewalt führen. Die Verhandlung stellt einen gesellschaftlichen Diskurs im Kleinen her. Bezeichnend nur, dass er hinter vorgehaltener Waffe stattfinden muss.

Nate Parker ist mit einer schweren Hypothek nach Venedig gereist. Vor drei Jahren galt er als große Regiehoffnung, bis ihn ein Vergewaltigungsprozess aus den neunziger Jahren (er wurde damals freigesprochen, sein bester Freund verurteilt) wieder einholte. Das Opfer hatte sich 2012 das Leben genommen, Parker zeigte bei Nachfragen von Journalisten keine Spur von Empathie.

Der Fall Parker zeigt, wie komplex der Diskurs ist

Seitdem gilt er in Hollywood als persona non grata. Nach Venedig wurde er darum von seinem Mentor Spike Lee begleitet, ihr gemeinsamer Auftritt hatte etwas von einem Bußgang. Es hatte zuvor schon Kritik an Festivalleiter Alberto Barbera gehagelt, weil der “American Skin” überhaupt nach Venedig eingeladen hatte.

Aber nimmt man den Film in letzter Konsequenz ernst, muss man in ihm auch die Aufforderung zum Dialog sehen. Parker hat sich in Venedig den Fragen der Presse gestellt, er hat sich für sein Verhalten wiederholt entschuldigt. Man mag die Reue für ein Lippenbekenntnis halten. Doch Parkers Dilemma, zwischen den zwei größten gesellschaftlichen Bewegungen der vergangenen Jahre (#BlackLivesMatter und #MeToo) festzustecken, zeigt auch, wie kompliziert und vielschichtig der kulturelle Diskurs in den USA inzwischen ist.

Auch Arthur Jafa verarbeitet den schwarzen Lebensalltag

Bilder einer "black experience" kursieren in diesem Jahr aber nicht nur auf dem Lido. Die mit dem Goldenen Löwen der Kunst-Biennale ausgezeichnete Arbeit “The White Album” des Filmemachers Arthur Jafa in der Hauptausstellung im Giardini basiert ebenfalls auf “gefundenen Bilder” – echten diesmal. “The White Album” hinterfragt anhand einer 40-minütigen Kompilation von Smartphone-Videos und Youtube-Clips die privilegierte Position der weißen Mehrheit in Amerika.

Es geht um Eigen- und Fremdwahrnehmung: Ein junger Afroamerikaner nennt seinen kleinen Bruder wieder und wieder “ein Stück Dreck”, bis dieser zu weinen anfängt. Abhärtung gegen die Realität. Ein Teenagermädchen beschwert sich darüber, wie schwer Weiße es heutzutage hätten. Dazwischen schieben sich unvermittelt Überwachungsaufnahmen des Charleston-Attentäters Dylann Roof.

Im Prinzip wäre es also nicht nötig, “gefundene Bilder” über das Verhältnis von Weiß und Schwarz in Amerika nachzustellen. Sie sind überall und jederzeit verfügbar. Darin besteht der Vorteil des bildenden Künstlers, die Fiktion stößt dagegen schnell an Grenzen. Jafa, der zu Beginn seiner Karriere mit Spike Lee gearbeitet hat, sagt, dass er nicht noch mehr Bilder in die Welt setzen wolle. Man müsse erst die verarbeiten, die schon da sind.

So haben sich die Ressentiments, die sich Polizisten und Geschworene bei Parker gegenseitig vorhalten, bereits in Jafas Videoarbeit manifestiert. Zusammen bilden sie eine Art Zwillingsfilm. Das White American Skin Album.

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