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Schalk im unbeugsamen Nacken. Wladimir Woinowitsch.

© Iliya Pitalev/dpa/Sputnik

Nachruf Wladimir Woinowitsch: Der Satyr

Schelmische Renitenz wider Willen - zum Tod des russischen Schriftstellers Wladimir Woinowitsch.

Von Gregor Dotzauer

Als er in den sechziger Jahren an seinem bedeutendsten Roman „Die denkwürdigen Abenteuer des Soldaten Iwan Tschonkin“ schrieb, hatte ihn die Sowjetmacht schon an den Rand gedrängt. Wladimir Woinowitsch, dessen Auftragsverse zu dem populären Kosmonauten-Lied „Chetyrnadsat’ minut do starta“ (14 Minuten bis zum Start) KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow bei der Rückkehr der Raumfahrer Popowitsch und Nikolajew 1962 noch auf dem Roten Platz mitgesungen hatte, war mit seinen satirischen Spitzen beim Regime trotz des allgemeinen Tauwetters in Ungnade gefallen. Die Erzählungen, in denen er in der führenden Literaturzeitschrift „Nowij Mir“ die Korruption im Baugewerbe aufs Korn genommen hatte, hatten ihn seine öffentliche Existenz als Drehbuch- und Bühnenautor gekostet. So tauchte er mit seinen unter der Hand kopierten und weitergereichten Schriften in die Moskauer Samisdat-Kreise ab und stieg zugleich als internationaler Phönix aus der Asche der Zerstörung.

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Seine grandiose Schwejkiade um Iwan Tschonkin wurde schließlich in 25 Sprachen übersetzt. „Hätte ich als Autor nicht einen echten mannhaften Krieger aus dem Leben herausgreifen können“, fragte er sich, „einen hochgewachsenen und disziplinierten Soldaten, der bei der militärischen wie der politischen Ausbildung ganz vorne liegt? Ja, ich hätte es gekonnt. Doch die Guten und die Besten waren schon vergriffen. Da musste ich mich an Tschonkin halten.“ Tschonkin, das war der tumbe Tor, der die Wahrheit sagte, ein Idiot des Anständigseins, der mangels Intelligenz die ihm zugemessenen Grenzen gar nicht überschreiten konnte.

Woinowitsch dagegen, 1932 in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe, dem damaligen Stalinabad, geboren, verfügte über eine schelmische Intelligenz, die ihn widerwillig zur Renitenz zwang. „Ich bin nicht auf Konflikte mit der Macht aus“, gestand er 1975 der „Zeit“. „Aber es gibt Dinge, die mich einfach nicht ruhig schlafen lassen. Wenn ich sehe, dass erst Schriftsteller wie Andrej Sinjawski und Juli Daniel eingesperrt werden, dann Ginsburg und Galanskow, danach Bukowski. Dagegen nicht zu protestieren, das kann ich einfach nicht.“

Solschenizyn, aufgetaut

Der Sohn einer jüdischen Mathematiklehrerin und eines serbischstämmigen Übersetzers und Journalisten, der 1936 in Stalins Fänge geriet, hatte früh von einem Schriftstellerdasein geträumt. Doch de Zeitläufte bescherten ihm viele Umwege. Vom Kolchosehirten über den Schlosser und Tischler bis zum Flugzeugmechaniker auf einer polnischen Sowjetbasis übte er sich in vielen Gewerben.

Nach zahllosen Konflikten mit der Sowjetmacht unter Breschnew und missglückten Annäherungen, von denen Rachel Farmer in ihrer Dissertation über Woinowitsch erzählt, verließ er seine Heimat 1980 und zog mit Frau und Tochter für zehn Jahre nach München. In einem Biergarten an der Isar beginnt sein 1986 erschienener Roman „Moskau 2042“, dessen Erzähler mit Hilfe einer Zeitmaschine in die Zukunft reist. Er machte auch deshalb Furore, weil er einem selbstherrlichen Dissidenten namens Sim Simytsch Karnawalow an den Karren fährt, in dem unschwer Alexander Solschenizyn zu erkennen ist. Aus dem Zustand der Kryokonservierung aufgetaut, lebt der unverbesserliche Zarist Großmachtfantasien aus, in denen er Moskaus Bürger aus den Klauen der Kommunisten befreien und sie vor den Zumutungen der Demokratie schützen will.

Es schmälert Woinowitschs Verdienste als Schriftsteller nicht, wenn man anmerkt, dass seine größte Leistung vielleicht im Dienste eines anderen Autors stand. Anfang der 1970er Jahre gelang es ihm, einen Durchschlag von Wassili Grossmans in der Sowjetunion schon als Manuskript verfolgtem Roman „Leben und Schicksal“ abfotografieren zu lassen und in den Westen zu schmuggeln. 1984 erschien das epochale Werk über den doppelten Schrecken von Stalins und Hitlers Herrschaft zum ersten Mal auf Deutsch. Im Nachwort der vollständigen Neuausgabe von 2007 berichtet Woinowitsch von den lebensgefährlichen Absurditäten der Rettungsaktion. Sie wird sich wie der Soldat Tschonkin für immer mit seinem Namen verbinden. Nun ist Wladimir Woinowitsch im Alter von 85 Jahren in Moskau gestorben. Gregor Dotzauer

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