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Leidenschaft für Exilautoren. Wilfried F. Schoeller (3. Juli 1941 bis 6. Januar 2020).

© imago/Gerhard Leber

Nachruf Wilfried F. Schoeller: Die wandelnde Parallelaktion

Diszipliniert und eigenwillig: Zum Tod des Literaturkritikers und Autors Wilfried F. Schoeller.

Von Gregor Dotzauer

Unter den Charakterköpfen der bundesrepublikanischen Literaturkritik war er einer der ersten, die auch im Fernsehen hervorstachen. Ein Vierteljahrhundert lang, bis 2002, prägte Wilfried F. Schoeller die Literatursendungen des Hessischen Rundfunks: zunächst beim monatlichen „Buchreport“, ab 1990 beim Wochenmagazin „Bücher, Bücher“.

So sehr er die Eigenarten des Mediums begriffen hatte und sie mit Autorenfeatures und Gesprächen bediente, so vertraut war ihm, ob es um die großen Zusammenhänge oder die Nuance des einzelnen Wortes ging, der Stoff der Literatur selbst.

Am 3. Juli 1941 im oberschwäbischen Illertissen, auf halbem Weg zwischen Ulm und Memmingen geboren und aufgewachsen, hatte er in München Germanistik, Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie studiert und sich anschließend als Lektor ins Gründungsteam von Kindlers Literatur Lexikon begeben, bevor er 1972 in die Kulturabteilung des HR wechselte. Über Roger Willemsen, in dem Rede- und Schreibtalent später noch einmal kompromisslos zusammenfanden, sagte er, auf Robert Musil, den Hausgott des für sein Buch „Der Knacks“ Ausgezeichneten anspielend, in einer Laudatio: „Dieser Singulär ist eine wandelnde Parallelaktion.“ Das hätte man auch von Schoeller behaupten können. Vor der Kamera rückte er stets den Autor in den Mittelpunkt, ließ in seiner Mischung aus Präsenz und Zurückhaltung aber keinen Zweifel daran, dass er es war, der diesen Raum mit kenntnisreichen Fragen eröffnete.

Und ob er nach seinem Abschied vom Sender 2002 das Amt des deutschen PEN-Generalsekretärs übernahm oder als selbsterklärter Schreibnomade eine Publikation nach der anderen in Angriff nahm: Mit Disziplin, Eigenwilligkeit und Durchsetzungsstärke war er in all seinen Rollen überzeugend – auch als Neuberliner und Mitarbeiter dieser Zeitung. Rütteln an der Legende um Franz Marc

Rütteln an der Legende um Franz Marc

Schoeller kuratierte maßgebliche Ausstellungen zu Hubert Fichte und Warlam Schalamow und veröffentlichte 2016 zuletzt eine Biografie über Franz Marc. Darin räumte er unter anderem mit der Legende auf, der Maler sei freiwillig in den Ersten Weltkrieg gezogen.
Noch in den siebziger Jahren drehte er Filme über Max Frisch, Christa Wolf und Jean Améry. In den Achtzigern folgten Reportagen über Nicaragua und Kuba, über Wilhelm Hauff und Oskar Maria Graf, den aus Bayern ins US-Exil gegangenen bäuerlichen Realisten, dessen Gesammelte Werke er als Nachlassverwalter herausgab. Exilautoren galt seine besondere Leidenschaft. Über Heinrich Manns bürgerliche Gesellschaftskritik hatte Schoeller promoviert. Für den sozialistischen, nach Mexiko ausgewanderten Abenteurer B. Traven schwärmte er. Alfred Döblin widmete er eine wichtige Biografie.
Wer das Privileg hatte, ihn persönlich zu kennen, begegnete einem Mann von einnehmendem, selbstbewusstem Charme: funkelnd im Schalk, der ihm in den Augen saß, spitz in der Ironie, zu der er fähig war, und überredungsstark auch gegen jeden Anflug eigener Schwäche.

Die Beherzigung des Carpe diem in allen intellektuellen und kulinarischen Varianten musste er nicht erst im Zuge seiner Krebserkrankung lernen. Ein Stück anderer Vergänglichkeit musste er schon vor Jahrzehnten akzeptieren. Große Teile des 16-Millimeter-Materials für seine Literaturfilme, prominente Interviewpassagen, die heute jedes Archiv mit Kusshand nehmen würde, waren aufgrund fehlender Einlagerungsmöglichkeiten schon kurz nach ihrer Entstehung unwiederbringlich verloren.

Die Erinnerung an den Filmemacher und Autor wachzuhalten, ist demgegenüber eine geradezu leichte Aufgabe: Am Montagabend ist Wilfried F. Schoeller im Alter von 78 Jahren in Berlin gestorben.

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