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Brad Pitt (l.) und Wolfgang Petersen bei den Dreharbeiten zum Film "Troja".

© imago images/Mary Evans

Nachruf auf Wolfgang Petersen: Aus Liebe zum Kino

Wolfgang Petersen drehte in Hollywood mit Clint Eastwood, Brad Pitt und Harrison Ford. Seine Verehrung für Amerika machte ihn zu einem der größten Regisseure. Ein Nachruf.

Von Andreas Busche

In Amerika schätzt man deutsche Tugenden wie Effizienz, Rationalität, Pragmatik und Erfindungsreichtum. Nicht immer wurden diese Eigenheiten zum Wohl der Menschheit eingesetzt, auch das hat man in den USA nicht vergessen. Aber in der amerikanischen Unterhaltungsbranche, die sich ohne falsche Scham als Industrie versteht, wurde es schon immer als eine Kunst angesehen, Showmanship und Unternehmergeist zu verbinden, um auf der ganz großen Gefühlsklaviatur zu spielen.

Es war also nur folgerichtig, dass der Regisseur Wolfgang Petersen 1987, als ihm das deutsche Kino längst zu klein geworden war, nach Hollywood ging und dort gewissermaßen auch noch zu einem der größten amerikanischen Regisseure wurde.

Damit ging für den Jungen aus Emden gleich hinterm Deich, der sich schon als Zwölfjähriger mit seinem mühsam ersparten Geld Kinokarten kaufte, um in den Western von John Ford und Howard Hawks von Amerika zu schwärmen, ein Kindheitstraum in Erfüllung. Und es ist eine tröstliche Vorstellung, dass der amerikanischste aller deutschen Regisseure – oder vielleicht doch der deutscheste aller amerikanischen? ­– an diesem Sehnsuchtsort nun seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Bereits am Freitag starb Wolfgang Petersen in seinem Haus in Brentwood, einem Vorort von Los Angeles, im Alter von 81 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ein Tod, der für viele überraschend kam. Denn obwohl Petersens Karriere seit seinem Flop „Poseidon“ von 2006  – ein Katastrophenfilm in jeder Hinsicht – einen deutlichen Knick erlitten hatte, war er immer noch aktiv.

2016 kehrte er sogar noch einmal, nach fast dreißig Jahren, nach Deutschland zurück, um ein Remake seines Frühwerks „Vier gegen die Bank“ zu drehen: deutsches Blockbusterkino mit Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Jan Josef Liefers und Michael Herbig.

In seiner Wahlheimat hatte Petersen den Absprung vom alten Studio-Hollywood zum Hollywood der Hedgefonds-Manager nicht geschafft, wie er später zerknirscht eingestand. Dabei ist sein Name in den neunziger Jahren eine Bank gewesen. Mit diesem Namen wurden Filme vermarktet – selbst wenn in den Hauptrollen Dustin Hoffman, George Clooney und Brad Pitt zu sehen waren.

Petersen hatte sich vertraglich sogar das Recht auf den „Final Cut“ zusichern lassen: Kein Executive durfte in seinen Filmen rumpfuschen.

Petersen hatte bei seinen Filmen das letzte Wort

Heute passiert sowas allenfalls noch Regisseuren vom Rang eines Steven Spielberg, Christopher Nolan oder David Fincher. Die Sorte von Actionfilmen, mit denen Wolfgang Petersen zur Hollywood-Größe avancierte, drehen inzwischen Arbeitsdrohnen, deren Namen man spätestens nach dem Abspann wieder vergessen hat. Damals aber ging man noch in den neuen „Wolfgang Petersen“, um zu sehen, wie Clint Eastwood in „In the Line of Fire“ (1993) den amerikanischen Präsidenten mit einem todesmutigen Sprung vor der Kugel eines Attentäters rettet. Oder Brad Pitt, der als Achilles in einem unvorteilhaft kurzen Leder-Lendenschurz Troja eroberte (2004). Für diesen Film entdeckte Petersen übrigens auch die junge Diane Kruger.

Der 1941 geborene Wolfgang Petersen lebte seit 1987 in Los Angeles.
Der 1941 geborene Wolfgang Petersen lebte seit 1987 in Los Angeles.

© Clemens Bilan/dpa

Der Weg nach oben war für Wolfgang Petersen, den Sohn eines Marineoffiziers, früh vorgezeichnet. Aber er hat ihn sich auch hart erarbeitet. Seine Eltern schenkten ihm eine Super-8-Kamera, schon auf dem Gymnasium eiferte er seinen Helden Ford und Hawks nach; seine ersten Regiearbeiten erhielt er am Jungen Theater in Hamburg, wo er auch assistierte. 1966 gehörte er zum ersten Jahrgang der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (Dffb), neben eminent politischen Filmemachern wie Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und, ja auch, Holger Meins.

Nur vier Jahre zuvor hatten die jungen Wilden mit dem „Oberhausener Manifest“ die alte Garde („Papas Kino“) für tot erklärt. Hollywood schien plötzlich für den jungen Wolfgang nicht nur unglaublich weit weg. Es war unter seinen linken Kommilitonen auch so ziemlich das uncoolste, was man sich vorstellen konnte.

Ein Glücksfall auch für das deutsche Fernsehen

Und da Ende der sechziger Jahre für einen Regisseur, der in konventionellen Kategorien wie Story, Figuren und Dramaturgie dachte, im deutschen Kino kein Platz war (eine Erfahrung, die auch sein Kollege Roland Klick machte), tat Petersen das Undenkbare: Er ging zum Fernsehen. Alles, was dem deutschen Film an Hollywood in jenen Jahren überdrüssig war, benötigte das Fernsehen umso mehr. Wolfgang Petersen wurde zu seinem Glücksfall.

Wenn man heute gelegentlich noch hört, dass das Fernsehen früher besser war, hat das maßgeblich mit ihm zu tun. Mit seinen sechs „Tatort“-Filmen um den von Klaus Schwarzkopf gespielten Kommissar Finke schrieb er TV-Geschichte. Allen voran natürlich der Skandalfilm „Reifeprüfung“ mit der minderjährigen Nastassja Kinski als junges Früchtchen einer Höhere-Töchter-Schule, die ihren Lehrer verführt.

Das Fernsehen war damals die perfekte Spielwiese für Petersen, um das Handwerk zu lernen: jene deutschen Tugenden, die ihn in Hollywood später zu einem so beliebten Schauspieler-Regisseur machten. Der „SZ“ erzählte Petersen im vergangenen Jahr, dass Clint Eastwood ihn persönlich als Regisseur für „In the Line of Fire“ auserkoren hatte. Seine „Tatort“-Filme besaßen eine Sensibilität für Atmosphäre und Figuren und liefen dramaturgisch reibungslos, ohne routiniert zu wirken. Und 1973 hatte er sich mit „Tatort: Jagdfieber“ bereits einen Jugendtraum erfüllt: einen Western in der Holsteinischen Schweiz, mit dem jungen Jürgen Prochnow als entflohenem Sträfling auf der Flucht vor der Polizei.

Mit „Das Boot“ (in der Mitte: Jürgen Prochnow) feierte Wolfang Petersen seinen ersten internationalen Erfolg. Der Film war für sechs Oscars nominiert.
Mit „Das Boot“ (in der Mitte: Jürgen Prochnow) feierte Wolfang Petersen seinen ersten internationalen Erfolg. Der Film war für sechs Oscars nominiert.

© imago/United Archives

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Petersen und Prochnow, das war in den 1970er Jahren ein Dream Team des deutschen Films. Die beiden drehten 1977 zusammen einen zu Unrecht lange vergessenen Film über zwei Männer in einer Liebesbeziehung, die die sozialen und moralischen Schranken der Bundesrepublik nicht überwinden konnte – und tragisch endet. Mit „Die Konsequenz“ zeigte Petersen, der auch das Drehbuch schrieb, erstmals im Kino, dass er oft missverständlich als unpolitisch verrufen war. Und dass sich seine hanseatische Sprödheit (er zeigt die BRD in lieblosem Schwarz-Weiß) gut mit dem Melodrama vertrug.

Ein Faible für Filmmogule der alten Schule

Ihr nächster gemeinsamer Film sollte alles verändern. Viele halten „Das Boot“ – 1981 zunächst ein Kinofilm, der für sechs Oscars nominiert war (aber leer ausging), später auch ein Event-Mehrteiler fürs Fernsehen ­– für den Totengräber des deutschen Autorenfilms. Und den Beginn des Funktionärskinos. Regisseur, Hauptdarsteller sowie dem Kameramann Jost Vacano öffnete er jedoch alle Türen nach Hollywood. Es ist sicher kein Zufall, dass Petersen seine beiden größten Erfolge hierzulande im Auftrag von Produzenten-Zampanos erlangte, die sich Inspiration bei amerikanischen Filmmogulen alter Schule geholt hatten.

Mit Günter Rohrbach, seinem Mentor bei „Das Boot“, und Bernd Eichinger, für den er 1984 „Die unendliche Geschichte“ drehte, fand Petersen Geschmack am Studio-System Marke Hollywood. Das aufwändige Fantasy-Märchen war mit einem Budget von sechzig Millionen DM der bis dahin teuerste deutsche Film, eine bessere Visitenkarte für Amerika war kaum denkbar.  

Schlechte Kritiken, hat Wolfgang Petersen später erzählt, hätten ihn anfangs gewurmt, aber er sei über sein Ego hinweggekommen. Dass seine Art von Kino – mit Ausnahme von „Das Boot“ ­– nichts für die großen Filmpreise war, hat er früh akzeptiert. Ein Pionier war er trotzdem: Petersen drehte Kinofilme für das Fernsehen, Jahrzehnte vor dem Aufkommen der Streamingriesen.

Was an seinen Filmen oft als kommerziell abgetan wurde, hat viel mit einer Kindheitsprägung zu tun, seiner Liebe für Amerika. So erscheint es rückblickend fast folgerichtig, dass Filme wie „In the Line of Fire“ oder „Air Force One“, in dem Harrison Ford es als US-Präsident auf eigene Faust mit Terroristen aufnimmt, patriotischer sind als die Filme vieler seiner US-Kollegen.

Denn sie waren auch ein Dank an seine geliebte Wahlheimat. An ein Bild hat sich Wolfgang Petersen in Interviews öfters erinnert: Wie er als kleiner Junge nach dem Krieg auf dem Deich stand und ihm die Amerikaner auf ihren Schiffen wie himmlische Boten vorkamen. Sie brachten Dinge aus Übersee mit, die er nie zuvor gesehen hatte. Wolfgang Petersen hat dieses Geschenk sein Leben lang zurückgegeben, von Emden bis nach Hollywood.  

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