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James Levine, fotografiert im Jahr 2000, als er Chefdirigent der Münchner Philharmoniker war.

© Frank Mächler/dpa

Nachruf auf US-Dirigent James Levine: Höhenflug mit tiefem Fall

Vierzig Jahre stand James Levine an der Spitze der New Yorker Met, dann kosteten ihn Missbrauchsvorwürfe den Posten. Jetzt starb er mit 77 Jahren.

Gestorben ist er als ein Geächteter. Im Oktober 2016 erstattete ein 46-jähriger Mann Anzeige gegen den Dirigenten James Levine, weil er ihn als Minderjährigen ab 1985 sexuell missbraucht habe. Bald darauf wurden weitere Anschuldigungen bekannt.

Die New Yorker Metropolitan Opera, an deren Spitze Levine seit über 40 Jahren stand, leitete Untersuchungen gegen ihn ein, setzte die Zusammenarbeit aus und erklärte im März 2018 schließlich, die Befragung von 70 Personen hätte glaubwürdige Hinweise ergeben auf sexuell missbräuchliches und belästigendes Verhalten. Der Dirigent wurde entlassen, reichte aber umgehend Klage wegen Rufschädigung gegen seinen Arbeitgeber ein. 2019 kam es zu einer außergerichtlichen Einigung beider Seiten.

Bitteres Finale einer glanzvollen Karriere

Es war das bittere Finale einer langen, glanzvollen Karriere. 1943 in Cincinnati in Ohio geboren, wuchs James Levine in einer wohlhabenden, musikliebenden Familie auf. Mit vier bekam er Klavierunterricht, mit zehn trat er öffentlich auf, 1960 gewann der Newcomer in Aspen einen Instrumentalwettbewerb, im Jahr darauf begann er sein Studium an der renommierten Juilliard School in New York.

Der legendäre George Szell holte ihn als seinen Assistenten zum Cleveland Orchestra, bald schon bekam Levine die Möglichkeit, bei den wichtigen Orchestern der USA zu debütieren.

1971 kam er erstmals als Gastdirigent an die Metropolitan Opera New York, 1976 wurde er zum music director des Hauses ernannt, als Nachfolger von Rafael Kubelik. Er sollte es bis 2016 bleiben, mit einer kurzen Unterbrechung wegen gesundheitlicher Probleme.

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Kaum ein Maestro hat je so lange Gelegenheit gehabt, eine der bedeutendsten Institutionen der klassischen Musik nachhaltig zu prägen. Und er stürzte sich in die Arbeit, in manchen Spielzeiten dirigierte er ein Drittel aller Aufführungen an seinem Haus, insgesamt wurden es über 2500 Abende. In späten Jahren leitete der an Parkinson erkrankte Maestro Aufführungen auch von Rollstuhl aus. Von seinen Fans wurde er dafür kultisch verehrt.

Langjähriger Chef der Met. James Levine (23. Juni 1943 – 9. März 2021).
Langjähriger Chef der Met. James Levine (23. Juni 1943 – 9. März 2021).

© Michael Dwyer/AP/dpa

James Levine war ein Maestro des üppigen, sinnlichen Klangs, er liebte den großen sinfonischen Sound, die Romantik und die Spätromantik wurden zu seinen Spezialgebieten. Von seinen Körperproportionen her war „Big Jim“ der Inbegriff des barocken Typs, ein Genussmensch mit Hang zu Transpiration beim Arbeiten.

Das weiße, um den Nachen geschlungene Handtuch wurde sein Markenzeichen. Und er hatte keine Angst vor den kommerziellen Seiten des Klassikgeschäfts: Mit den 3 Tenören ging er 1996 auf eine lukrative Welttournee.

Auch in Berlin und Bayreuth dirigierte er

Auch in Europa war James Levine ab Mitte der 1970er regelmäßig präsent, zu den Berliner Philharmonikern wurde er erstmals 1978 eingeladen, ab 1982 dirigierte er bei den Bayreuther Festspielen, gab dem 1994 herausgekommenen „Ring des Nibelungen“ des Regisseurs Alfred Kirchner ein akustisch prachtvolles Profil. „In einen samtweichen Kokon webt er die ,Walküre‘ ein“, lobte der Tagesspiegel: Mit höchster Konzentration, Präzision und Sensibilität, gelingt eine Aufführung, „die sich in einem endlosen Atemzug vom ersten bis zum letzten Takt spannt“.

Seine Zeit als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker von 1999 bis 2004 dagegen blieb ohne nachhaltige Wirkung. Der Amerikaner kam in der Stadt nie wirklich an, und zwar im doppelten Wortsinn. Mit 77 Jahren ist James Levine in Palm Springs in Kalifornien gestorben, bereits am 9. März, wie erst jetzt bekannt wurde.

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