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Ätzende Intelligenz. Tom Wolfe im Jahr 2012.

© Fernando Leon/AFP

Nachruf auf Tom Wolfe: Größenwahn ist meine geringste Stärke

Der Dandy als Überzeugungstäter: Der Starreporter, Satiriker und Erzähler Tom Wolfe hatte eine beispiellose Karriere. Ein Nachruf.

Von Gregor Dotzauer

Wie es dazu kam, dass ausgerechnet Harold Bloom, der an der Yale University lehrende Gott des literary criticism, Tom Wolfe, den Gott des new journalism, in einer Monografie der Reihe „Modern Critical Views“ in den Himmel loben sollte, weiß nur Gottvater allein. Im Jahr 2001 hatte Bloom jedenfalls nichts Besseres im Sinn, als den Paria Wolfe aus der Welt der Edelmagazine zurück in den Orkus der literarischen Bedeutungslosigkeit zu verweisen.

In seiner Einführung schrieb er: „Wolfe ist ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler und enorm treffsicherer gesellschaftlicher Satiriker, aber sowohl ,Fegefeuer der Eitelkeiten’ wie ,Ein ganzer Kerl’ reichen nicht an seine hohen Ambitionen heran: unser Victor Hugo, Balzac oder Zola zu sein.“ Wolfes Figuren, klagte er, seien nichts als Karikaturen, sie blieben bloße Namen und kämen nicht vom Papier.

An diesem Urteil gibt es einerseits nicht viel zu rütteln. Andererseits geht es insofern an der Sache vorbei, als alles, womit sich der größenwahnbegabte Wolfe in die Ewigkeit einschreiben wollte, nicht in seinen vier Romanen, sondern in den Reportagen und Essays, also den vermeintlich verderblicheren Texten, liegt. Er war kein imaginationsstarker Erfinder, er war ein scharfer Beobachter, der aus Statussymbolen und Modeaccessoires den Zustand der Epoche ablas. Gerade durch seine eigene Eitelkeit war er ein Meister im Taxieren von Distinktionsmerkmalen bei anderen.

Mit ätzender Intelligenz

Auch wenn seine ganz auf Tempo, Witz und Schärfe getrimmten nichtfiktionalen Texte bisweilen fiktionalen Strategien folgten, knüpfte er mit einem hemmungslosen Subjektivismus in der ersten Person doch stets das Band zur Wirklichkeit. Von daher zeichnet er in Gestalt von Sherman McCoy, dem Protagonisten des „Fegefeuers der Eitelkeiten“ zwar das ergiebige Porträt eines Wall-Street-Brokers in den 80er Jahren. Aber was ist McCoy gegen den LSD-vernebelten Schriftsteller Ken Kesey im „Electric Kool-Aid Acid Test“, der mit seiner Hippietruppe, den Merry Pranksters, durch Kalifornien zieht. Das Buch, ein atmosphärisches Porträt seiner Zeit wie kaum ein zweites, begründete 1968 Wolfes Weltruhm.

Oder die aus einem Dorf in North Carolina stammende Heldin seines Campusromans „Ich bin Charlotte Simmons“. Wie kraftlos ist diese Kunstfigur, die an der Universität in Pennsylvania einen Kulturschock erlebt, gegen die namentlich bekannten Protagonisten jenes „Radical Chic“, der 1970 seiner Reportage über „That Party at Lenny’s“ – bei dem Komponisten Leonard Bernstein – den Namen gab. Mit ätzender Intelligenz legte er darin den heuchlerischen Flirt einer weißen Upper Class mit den Anliegen der Black Panthers bloß. Ein Kokettieren mit der Abschaffung der eigenen Privilegien, wie es zum folgenlosen Abtragen eigener Schuld mitunter bis heute gepflegt wird.

Ein ähnlich tragischer Fall wie Susan Sontag

Im Einschätzen seiner wahren Talente entwickelte sich Wolfe zu einem ähnlich tragischen Fall wie Susan Sontag. Auch sie hielt sich für eine große Erzählerin, wird ihren Nachruhm aber aus ihren Essays schöpfen müssen. Und Tom Wolfes Werk ist reich an Zeugnissen einer wild reflektierenden Dokufiction, die sich als unerwartet haltbar erwiesen haben. Dazu gehören insbesondere seine kunstkritischen Versuche.

„Das gemalte Wort“, im Original 1975 erschienen, geht mit der Unterwerfung der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts unter das Diktat der Theorie ebenso frech ins Gericht wie mit der Casino-Mentalität des dazugehörigen Marktes und seiner Verschwörer im Hintergrund. Trotz eines polemischen Grundrauschens weist das in vielem auf das Elend einer kuratorisch verschwurbelten Gegenwart und manche Konzeptkunstauswüchse voraus. Auch an der Heiligsprechung des Bauhauses wollte er sich nicht beteiligen. In „Mit dem Bauhaus leben“ (From Bauhaus to Our House, 1981) spottete er über eine Auffassung von Architektur, die sich um ihrer selbst willen als Avantgarde versteht und ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Anwendung bloße Funktionalität predigt.

Eine entscheidende Stärke dieser Bücher bestand darin, dass sie nicht nur von der provokatorischen Geste lebten. Tom Wolfe war ein Überzeugungstäter, und dass er daneben noch den Dandy gab, ließ ihn in den Augen vieler Bewunderer, die ihm sowohl in Bezug auf geschliffene Meinungsfreude wie Selbststilisierung hoffnungslos unterlegen waren, gleich noch nachahmenswerter erscheinen. Sie konnten nicht einmal mit dem ewigen weißen Anzug prunken, den er sich 1962 als Markenzeichen zugelegt hatte.

Er liebäugelte mit einer Baseballkarriere

Tom Wolfe, geboren am 2. März 1931, stammte aus Richmond im Bundesstaat Virginia, und er war schon früh ein bunter Hund. Er redigierte die Schülerzeitung, und er war ein Star der Baseball-Mannschaft. Noch zu Collegezeiten liebäugelte mit einer Sportlerkarriere als Pitcher. Doch Yale rief, und er schloss sein Amerikanistikstudium mit einer Promotion über „Communist Organisational Activity Among American Writers 1929-1942“ ab. Die Gelegenheit zu einer akademischen Karriere schlug er aus.

Er wurde lieber Journalist. Über die „Springfield Union“ und die „Washington Post“ arbeitete er sich bis zum „New York Herald Tribune“ vor. Dort ermutigte ihn Clay Felker, Redakteur der Sonntagsbeilage, die herkömmlichen journalistischen Formen hinter sich zu lassen. Es gelang ihm 1963 spektakulär mit einem Artikel für den „Esquire“, der zugleich zum Titel seines ersten Buches wurde: „That Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby“. Am Montag ist die beispiellose Karriere, die sich anschloss, für Tom Wolfe im Alter von 87 Jahren zu Ende gegangen.

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