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Die Intellektuelle Rossana Rossanda (1924 –2020) und ihre publizistische Arbeit waren eine Inspiration auch für die „taz“.

© picture alliance / ROPI

Update

Nachruf auf Rossana Rossanda: Auf Konfrontationskurs mit den Genossinnen

Rossana Rossanda nannte sich ein "Mädchen des letzten Jahrhunderts". Am Donnerstag gedachten in Rom Hunderte der großen Intellektuellen, die am Sonntag starb.

In praktisch jedem Dorf Italiens gibt es eine „Via XX settembre“ zum Gedenken an das Ende des Kirchenstaats am 20. September 1870, das die Einheit Italiens vollendete, aber auch der weltlichen Macht des Papstes über das Leben der Menschen in Italien zumindest symbolisch ein Ende setzte. Ausgerechnet am Sonntag, dem 150. Jahrestag der „Bresche der Porta Pia“ und der Erfüllung des Traums liberaler Italienerinnen und Italiener, ist Rossana Rossanda mit 96 Jahren gestorben, die sich zwar bis zum Schluss als Kommunistin definierte, die aber auch eine große Liberale im frühen Sinne des Wortes war.

Genau dies war es auch, was ihre politische Existenz bestimmte und Rossanda Ende der 1960er Jahre jener Kommunistischen Partei, dem PCI, entfremdete, der sie als Philosophie-Studentin in Mailand beigetreten war und deren Führungsriege sie ab 1959 zehn Jahre lang angehörte. Zuvor hatte sie sich, mit 19 Jahren, der Resistenza angeschlossen. Zeitweise verantwortete Rossanda, 1924 in Pula im heutigen Kroatien geboren, das damals noch Teil des Königreichs Italien war, auf Wunsch von Parteichef Palmiro Togliatti die Kulturarbeit des PCI. 1963 wurde sie als kommunistische Abgeordnete ins Parlament gewählt.

Mit dem nachgiebigen Kurs des PCI gegenüber dem politischen Mainstream Italiens hatte sie länger schon Schwierigkeiten, mit dessen lahmer Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei folgte eine große weitere.

Den Bruch brachte schließlich die Verzagtheit und autoritäre Reaktion der Genossen auf das, was in den späten 1960ern in der Welt außerhalb der Parteizirkel geschah: Im Band „Das Jahr der Studenten“ machte sie ihre Sympathie für die auch parteikritische 68er-Bewegung öffentlich, ein Jahr danach gründete sie mit Freundinnen und Freunden aus der Partei „il manifesto“. Die Monatszeitschrift, die 1971 zur Tageszeitung wurde, reklamierte provozierend gleich doppelt ein Erbe für sich, das doch die Partei beanspruchte.

Leiden unter der Unfähigkeit, linke Politik zu machen

Man gab sich den Titel von Karl Marx' Streitschrift und nannte sich im Untertitel "quotidiano comunista", kommunistische Tageszeitung. Das PCI-Politbüro reagierte auf diesen Akt des Ungehorsams mit dem Ausschluss der Dissidentengruppe, neben Rossanda Luigi Pintor, Luciana Castellina, Lucio Magri und Valentino Parlato. Es war auch eine Reaktion auf deren harte Kritik an der Politik der Partei im „Heißen Herbst“ 1969, als durch Italien eine Streikwelle in den Fabriken wie an den Universitäten ging. In ihren Memoiren, die auf deutsch unter dem Titel „Tochter des 20. Jahrhunderts“ erschienen, beschrieb Rossanda, dass, während in Italien die Luft brannte, das Zentralkomitee des PCI sich während dreier Sitzungen damit beschäftigte, wie man mit ihr und der „manifesto“-Gruppe umgehen solle.

Rossanda litt unter dieser anhaltenden Unfähigkeit der stärksten kommunistischen Partei im Westen, linke Politik zu machen – noch weit über deren Auflösung hinaus. Der Nachfolgerin Partito democratico, einem Zusammenschluss von Ex-Kommunisten und linkeren Teilen der Christdemokratie, bescheinigte sie vor zwölf Jahren während eines Berlin-Besuchs im Gespräch mit dem Tagesspiegel, sie habe „ihre Klientel im Stich gelassen“ und sei verantwortlich für das Fehlen einer demokratischen Alternative.

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„Italiens KP war schon früher nicht revolutionär, sondern eher sozialdemokratisch“, sagte sie. Nun aber gingen die Nachfolger „weit darüber hinaus; sie glauben ebenso blind an die Allzuständigkeit des Marktes wie die Rechte“. Der seinerzeitige Parteichef Walter Veltroni wolle sich "von jedem Schatten linker Ziele befreien", was zwar in die sichere Wahlniederlage führe, ihm aber Akzeptanz in einem Bündnis mit Berlusconis Rechten verschaffe.

Sie hatte damals und behielt weiter Recht – der PD rutschte bei der letzten Wahl 2018 auf ein historisches Tief – und blieb unermüdlich darin, in Artikeln, auf Reisen und in Büchern selbst aufzuzeigen, wie freiheitliche linke Politik, ein "comunismo libertario" aussehen könne. Ihr Interesse an jeder emanzipatorischen Bewegung machte sie als bereits Vierzigjährige zur Feministin, als führende linke Denkerin wurde ihre Stimme auch weit außerhalb Italiens gehört, nicht zuletzt in Deutschland. Die Berliner „taz“ gründete sich 1978 als eine Art jüngere Schwester von „manifesto“, der Austausch zwischen den Blättern blieb lange lebhaft.

Politischer Sinn und leidenschaftliche Diskussionen

Der selbstironische Originaltitel ihrer Autobiografie, „La ragazza del secolo scorso“ stimme eben nicht, sagt Guido Ambrosino, der von 1985 bis 2012 Deutschlandkorrespondent von „il manifesto“ war. „Ihr Wunsch, zu verstehen und die Welt zu verändern, hat sie auch zu einem ‚Mädchen‘ unseres 21. Jahrhunderts gemacht.“ Für ihn und die jüngere Generation in „il manifesto“, sagte der heute 67-jährige, war die Zeitung „die Schule eines Journalismus, der immer nach dem ’politischen’ Sinn einer Nachricht fragte und wo endlose und leidenschaftliche Diskussionen geführt wurden, in denen Rossana allen zuhörte“.

Als das nicht mehr möglich schien, brach sie vor acht Jahren auch mit ihrem eigenen Geschöpf. "Sie war wieder Dissidentin und in der Minderheit wie damals im PCI", sagt Ambrosino. Rossanda und einige andere Redakteurinnen und Redakteure verließen „il manifesto“ wegen des, so wörtlich, „Unwillens der Chefredaktion zum Dialog“. Zu einem Dialog über eben jenen freiheitlichen Kommunismus, den sie im Sinn hatte und den sie so beschrieb: Er habe "wenig gemein mit den realexistierenden Sozialismen, sondern würde die Art zu leben und zu produzieren verändern und dabei ein Mehr an politischer Freiheit erreichen".

Von der Redaktion ihrer ewig klammen Zeitung verlangte sie, ihre zahllosen Solidaritätsaufforderungen und Kollekten mit einer Antwort auf die Frage zu verbinden, wer und was man sei: "Es wäre unsere Pflicht zu klären, was wir meinen, wenn wir uns immer noch kommunistisch nennen, oder auch warum man das nicht mehr kann."

Rossanda zog nach dem Bruch ganz nach Paris, um bei ihrem erblindeten und kranken Ehemann K.S. Karol zu sein, auch er Journalist und einst einer der Gründer des "Nouvel Observateur". Für manifesto schrieb sie nur noch ab und zu. An der Seite Karols, in Paris, wird sie auch beerdigt werden.

Gedenken der Freundinnen

Enttäuschung war der eine Grund für ihren Rückzug, der andere war ihre eigene Gesundheit. Ein Schlaganfall vor einigen Jahren machte ihr das Sprechen und Schreiben schwer. Nach dem Tod ihres Mannes wohnte sie wieder in Rom, nur einen Sprung von ihrer lebenslangen Freundin, Genossin und Mitstreiterin Luciana Castellina entfernt. Castellina, inzwischen selbst 90 Jahre alt, organisierte am Donnerstagnachmittag mit zwei weiteren Betroffenen des Parteiausschlusses von 1969 eine Gedenkveranstaltung, auf der Piazza Santi Apostoli in Rom, die nach dem Geschmack Rossandas gewesen sein dürfte. Zu den etwa 500 Menschen, die sich auf der Piazza, einem der öffentlichen Salons Roms, versammelten, sprachen persönliche Freunde, die sich an die Person mehr als an die Intellektuelle erinnerten, und Menschen, die sie unterstützt hatten, ihr Arzt und ihre Physiotherapeutin, aber auch politische Mitstreiterinnen aus andern Teilen Europas. Maurizio Landini, der Chef des größten Gewerkschaftsverbands CGIL, hielt eine Rede ebenso wie der greise frühere KPI-Chef von Sizilien. Seinerzeit hatte Emanuele Macaluso, einer der Exponenten des rechten sozialdemokratischen Flügels im PCI, für den Ausschluss Rossandas und ihrer Mitstreiterinnen und -streiter gestimmt. Aber er hatte, anders als die andern hochrangigen Genossen, ihr nie den Gruß verweigert oder die Straßenseite gewechselt, wenn er sie traf.

Die trotz ihres hohen Alters noch immer schreibende, unermüdlich engagierte Castellina, die sie alle versammelt hatte, ist nun die letzte prominente noch lebende der KP-Dissidenten von 1969, der „manifesto“-Gruppe.

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