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New York, 1948. Eine Fotografie des verstorbenen Robert Frank, die ab 13. September in Ausstellung "Robert Frank. Unseen" bei C/O Berlin zu sehen ist.

© Fotostiftung Schweiz, Winterthur

Update

Nachruf auf Robert Frank: Fotograf mit dem Blick eines Fremden

Robert Frank war einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Er revolutionierte die Art, die Welt zu betrachten.

Er hatte tausende Meilen in einem alten Gebrauchtwagen zurückgelegt, war hin- und hergependelt zwischen der Ost- und der Westküste der USA und hatte dabei unaufhörlich fotografiert. Annähernd 30.000 Schwarzweiß-Aufnahmen waren auf diese Weise entstanden. Als 83 von ihnen unter dem Titel „The Americans“ 1958 als Fotobuch erschienen, da sollte dieses eine Buch so wichtig und einflussreich werden wie es ein Buch nur sein kann – wie JD Salingers „Fänger im Roggen“ vielleicht oder Jack Kerouacs „On the Road“.

Wenn jeder danach so reden wollte wie Holden Caulfield und Dean Moriarty, die Helden dieser Romane, dann wollte fortan jeder sehen können wie Robert Frank. Noch Jahrzehnte später sollten sich Fotografen, ob sie nun Mode-Aufnahmen machten oder als Reporter unterwegs waren, an Robert Franks Blick auf die Amerikaner orientieren. Denn sein subjektiver Ansatz offenbarte eine Dynamik und Wahrhaftigkeit, die der Fotografie bis dahin fremd war.

Es war der Blick eines Fremden auf ein Land, das ihm unermesslich groß erschien, als er mit 23 Jahren aus der Enge seiner Schweizer Heimat nach New York gelangte. Alles war überdimensioniert und glanzvoll. Die amerikanische Wirtschaft brachte elegante, praktische Dinge hervor, nach denen sich der Rest der Welt verzehrte.

Doch für Frank waren sie Kulisse. Ihn interessierten Orte, die er „unterwegs“ fand, Schnellrestaurants, Motels, Straßenkreuzungen, Nachtclubs und Casinos, weil er dort auf die Menschen stieß, die ihm vermitteln konnten, was Amerika wirklich ausmachte.

Sie trugen vielleicht zu viel Schminke, lachten zu laut, oder sie bugsierten sich ohne Beine auf einem Rollbrett übers Trottoire, hielten neben der bedeckten Leiche eines Verkehrsopfers inne. Sie schienen allesamt im Bann eines Glücksversprechens zu stehen, das sich ihnen nicht richtig offenbarte, so dass selbst ein Mann mit Hut und Stock, der sich im Halbschatten einer Holztreppe aufhielt, zu einer Allegorie gerann.

Frank wurde als Sohn einer jüdischen Familie in Zürich geboren

Robert Frank, 1924 als Spross einer jüdischen Familie in Zürich geboren, hat mit seinem Werk das Wesen der Bildreportage revolutioniert. Nach seiner Ankunft in New York knüpfte er Kontakt mit den Beat-Poeten Allen Ginsberg und Jack Kerouac. Ihre Art zu leben und für das einzustehen, was sie auszeichnete, bestärkte auch ihn. Fühlte er sich doch geprägt von einer europäischen Kultur, in der die Menschen taten, was ihnen vorherbestimmt war. Nun aber war er von Leuten umgeben, die sich selbst erfanden. So erfand er sich als Beobachter.

Viele Reportagefotografen legen das Fundament in jungen Jahren, wenn sie noch die Energie besitzen, stundenlang durch Straßen zu laufen und aufmerksam nach möglichen Motiven Ausschau zu halten. Dass sie „Störenfriede“ sind, wie Frank selbst von sich sagte, darf sie ebenfalls nicht bekümmern. Aber welcher anständige Mensch kann sich auf Dauer vor seiner eigenen Zudringlichkeit rechtfertigen? Was gibt ihm das Recht, in die Sphäre eines Liebespaares einzubrechen, das von einem Hügel aus die Stadt betrachtet?

In einem Interview mit dem MoMA in New York, das eine Retrospektive mit ihm vorbereitete, hat Robert Frank genau dieses Bild des sich nach ihm umblickenden schwarzen Paares als eines seiner liebsten bezeichnet. Auffallend oft sehen die Menschen auf Franks Bildern direkt in die Kamera. Irgendetwas an seiner Distanzlosigkeit besänftigte sie – wenn sie es auch nicht mochten. Er gab ihnen keine Zeit, sich zu inszenieren.

Der Fotograf Robert Frank.
Der Fotograf Robert Frank.

© dpa

Robert Frank war überzeugt, dass Cartier-Bressons Losung vom „entscheidenden Moment“ der visuellen Wahrheit auf die Form abfärben müsste. Dass, wenn es schon um das Vielsagende gehe, dieses nicht durch die perfekte Komposition wieder verstummen dürfe. Er wollte, dass der Moment in der Bildsprache selbst lebendig blieb. Seine oft unscharfen, unvollständigen Bilder geben dem Abseitigen mehr Gewicht als dem Offensichtlichen, er suchte stets nach etwas, das sich hinter den Chrome-blitzenden Oberflächen verbarg.

Berüchtigt wurden seine Ringhefter, mit denen er von Reisen nach London, Peru, Spanien und Paris zurückkehrte, um bei einem großen Magazin mit seiner Bildergeschichte zu landen. Schließlich bewarb er sich Mitte der 50er Jahre unter dem Einfluss von Walker Evans’ „American Photographs“ um ein Guggenheim-Stipendium und riss in den folgenden Monaten mehrere tausend Meilen durch die USA ab.

[Das C/O Berlin präsentiert vom 13. September bis 30. November 2019 die Ausstellung "Robert Frank. Unseen."]

Der französische Philosoph Jean Baudrillard hat einmal gesagt, dass es nur eine vernünftige Methode gebe, Amerika verstehen zu wollen. Nämlich mit dem Auto. Die kinetische Energie dieses fortschrittlichsten aller Länder sei nur zu ermessen, wenn man sich selbst in Bewegung versetze, meinte er.

In gewisser Hinsicht hat Robert Frank diese Erkenntnis schon beherzigt, bevor die Postmoderne den „rasenden Stillstand“ als ihr Leitmotiv entdeckte. Denn auch in Franks Bilderwelt gelten trotz aller Modernität die festgefahrenen Gesetze von Rassentrennung und sozialer Hierarchie. Dass er sie nicht mochte, blieb Zeitgenossen nicht verborgen. Man nannte ihn einen „freudlosen Mann“, der Amerika „hasse“.

Paris, 1952: Eine Fotografie von Robert Frank, die ab 13. September in Berlin zu sehen sein wird.
Paris, 1952: Eine Fotografie von Robert Frank, die ab 13. September in Berlin zu sehen sein wird.

© Robert Frank, Fotostiftung Schweiz, Winterthur

Nach dem internationalen Erfolg von „The Americans“ verlegte sich Robert Frank aufs Filmemachen. Er schloss sich der New Cinema Group um Peter Bogdanovich und Paul Mekas an und machte experimentelle Filme, in denen sich dokumentarische und fiktive Elemente zunehmend mischten. In den späten 60er Jahren beeinflusste er mit dieser Arbeitsweise eine ganze Reihe avantgardistischer Hippie-Regisseure auf der Suche nach Authentizität.

1972 baten ihn die Rolling Stones, ihre „Exile on Mainstreet“-Tour mit der Kamera zu begleiten. Doch danach waren sich Rockband und Filmemacher uneins darüber, ob auch die Drogen- und Gewaltexzesse hätten eingefangen werden sollen. „Cocksucker Blues“ verschwand überwiegend ungesehen im Archiv.

Schon in den 70er Jahren kaufte sich Frank ein Haus fernab der Großstadt in Nova Scotia. Dort, im kanadischen Norden, lebte er mit seiner zweiten Frau, der Künstlerin June Leaf. Und nach den Fotos zu urteilen, die er noch gelegentlich aufnahm, handelte es sich um ein einsames Haus direkt am Meer, dessen eisiger Wind über baumlose Wiesen strich. Frank, der sich früh für Pop-Art-Pioniere wie Robert Rauschenberg begeistert hatte, ließ nun vermehrt Collage-Techniken in seiner Arbeit einfließen. Wobei sich nach dem frühen Unfalltod seiner Tochter Andrea und den anhaltenden psychischen Problemen seines Sohnes ein trauriger Zug in sein Werk eingravierte.

Am Montag ist Robert Frank in Kanada im Alter von 94 Jahren gestorben, wenige Tage vor der Eröffnung der Ausstellung „Unseen“ bei C/O Berlin. Obwohl „The Americans“ seinen Ruhm begründet hat, bildete der Bildband nur den Auftakt für ein immer persönlicher werdendes Gesamtwerk, das sich aller möglichen Mittel und Formate bediente, um Regeln zu sprengen. Denn er mochte keine Regeln.

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