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Michel Piccoli und Romy Schneider im Februar 1971 bei der Premiere von Claude Sautets „Das Mädchen und der Kommissar“.

© AFP

Nachruf auf Michel Piccoli: Hüter des Kinos

Eleganz, Skandal und Nonchalance: Michel Piccoli stand in über 220 Filmen vor der Kamera. Zum Tod eines ganz Großen.

Von Andreas Busche

Über einen Schauspieler zu sagen, er sei am besten in den Rollen des Spießers und des Mörders, der seine Opfer in Salzsäure auflöst, könnte man auch als vergiftetes Kompliment für einen Darsteller missverstehen, der in über 220 Filmen vor der Kamera stand. Und trotz seiner Wandelbarkeit, zwischen Musical und Genrekino, zwischen melancholischem Drama, surrealistischer Komödie und blutiger Farce, finden in diesen beiden Rollenbildern die herausragendste Eigenschaften im Spiel von Michel Piccoli zusammen.

Der Weltstar des französischen Kinos schlechthin – obwohl er nur einen Film in Hollywood gedreht hat, Alfred Hitchcocks Agententhriller „Topas“ – vereinte das Unscheinbare und das Abgründige. Kein Wunder, dass Luis Buñuel früh einen Narren an ihm gefressen hatte.

Weltstar des französischen Kinos

Buñuel gab Piccoli 1956 eine seiner ersten größeren Rollen in dem Abenteuerfilm „Pesthauch des Dschungels“ („La mort en ce jardin“), an der Seite der damals schon großen Simone Signoret. Ein marginaler Beitrag in den Filmografien von Regisseur und Hauptdarsteller, aber der Beginn einer produktiven Partnerschaft. Er habe immer die verrückten Regisseure bevorzugt, hat Piccoli später gesagt, sie entsprächen eher seinem Naturell – und würde auch weniger Regieanweisungen geben. (Er schätze sie sogar mehr als seine Spielpartner, gab er später zu.)

Die Schweigsamkeit seiner Lieblingsregisseure Luis Buñuel, mit dem er sechs Filme drehte, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol, Claude Sautet, Jacques Rivette, Jean-Pierre Melville, Alain Resnais und Jacques Demy, aber auch Pop-Art-Filmern wie Mario Bava und Roger Vadim erwiderte er meist nur mit wenigen Worte.

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Piccolis Aura war die einer brütenden, undurchdringlichen Düsternis, die besonders die maßgeblichen Chronisten des französischen Bürgertums, Chabrol und Sautet, gnadenlos sezierten. Piccoli verstehe es, seine Kunst zu verbergen, weil er die Gabe habe, sie sparsam einzusetzen, hat die 2019 gestorbene Agnès Varda über ihn gesagt. In ihrer Kino-Hommage „Hundert und eine Nacht“ schenkte sie ihm dafür die Rolle seines Leben: Monsieur Cinéma, der Hüter des Kinos. Kaum einer verkörperte das französische Kino so gewaltig und dabei so still wie Michel Piccoli.

Entdeckt von Luis Buñuel

Am Montag teilte der ehemalige Cannes-Präsident Gilles Jacobs mit, dass seine guter Freund Michel Piccoli, mit dem er gemeinsam 2017 dessen Autobiografie „I Lived in My Dreams“ veröffentlicht hatte, bereits am 12. Mai im Kreis seiner Familie an den Folgen eines Schlaganfall gestorben war. 94 Jahre wurde Piccoli alt. Mit ihm hat das europäische Kino einen seiner allerletzte Granden verloren, nur überlebt von Trintignant, Belmondo und Delon.

Schon in der Schule stand er auf der Bühne, kurz nach dem Krieg erhielt der 24-jährige Piccoli, Sohn einer katholischen Musikerfamilie, seine erste Filmrolle. Insgesamt steht er über siebzig Jahre vor der Kamera, gelebte Filmgeschichte.

Doch wer weiß, was aus Piccoli ohne Buñuel geworden wäre? An der Person Buñuel orientierte er sich in den Filmen des spanischen Ikonoklasten, dem Regisseur gefiel das natürlich. An die Szene in „Schöne des Tages“, in der Piccoli seine Partnerin Catherine Deneuve mit Schlamm bewirft, erinnert sich Buñuel später in seinen Memoiren lebhaft, Hauptdarsteller und Regisseur finden eine gemeinsame Wellenlänge.

Verführung und Erniedrigung

Die unterschwellige Dominanz, die in dieser Rolle Piccolis zum Ausdruck kommt, das Spiel mit Verführung und Erniedrigung, wird er später weiter verfeinern. Piccoli, wahrlich keine klassische Schönheit, lernt diese Temperamente so zu dosieren, dass Spurenelemente sowohl in den Rollen des romantischen Liebhabers als auch in seinen Prototypen bourgeoiser Kaltblütigkeit durchschimmern.

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Godard war es, der zuerst erkannt hatte, dass sich diese etwas herbe, nicht ganz unattraktive Männlichkeit wunderbar als Gegenpart für die schönsten Frauen des europäischen Kinos eignet. In „Die Verachtung“ spielt Piccoli 1963 einen französischen Drehbuchautor, der sich vor der malerischen Kulisse von Capri mit seiner Ehefrau (Brigitte Bardot), einem vulgären amerikanischen Produzenten (Jack Palance) und einem Regieveteranen (Fritz Lang) herumärgert.

Die chauvinistischen Züge des Godard-Wiedergängers Paul Javal versteht Piccoli elegant zu sublimieren, er bekommt dazu später in „Schöne das Tages“ und „Die Mädchen von Rochefort“ (beide mit Deneuve), „Die Dinge des Lebens“ (mit Romy Schneider) und der vierstündigen Balzac-Verfilmung „Die schöne Querulantin“ (mit Emmanuelle Béart), das Drama des gequälten Genies par excellence, noch weitere Gelegenheiten.

Sechs Filme mit Romy Schneider

Aber es ist Romy Schneider, mit der er bis zu ihrem Tod sechs Filme dreht (so viele wie sonst nur mit Buñuel), die Piccolis Karriere am stärksten prägt. Mit Schneider verbindet ihn eine Sensibilität, die selbst in seinen gröbsten Figuren noch spürbar ist; ihre Beziehung vor der Kamera über zwölf Jahre zu beobachten, berührt.

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„Sie war eine sehr unglückliche Frau. Das spürt man auch in ihren Filmen, an der Art, wie sie redet, wie sie blickt. Sie wusste, wie man lacht, aber das reichte nicht“, erzählte Piccoli vor zehn Jahren dem „Spiegel“. Zusammen drehen sie 1982 ihren letzten Film „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“.

Fressfilme als Kapitalismuskritik

Zwei andere Rollen, die ihn in das Pantheon des europäischen Kunstkinos der Siebziger befördern, sind der grunzende Bauarbeiter Themroc in der gleichnamigen Satire von Claude Faraldo, in der Piccoli buchstäblich ohne Worte auskommt, und der Fernsehproduzent Michel in Marco Ferreris Skandalfilm „Das große Fressen“.

Beides Filme, die im weitesten Sinne auch ins Genre des kulinarischen Kinos gehören. Während der regredierte Themroc in seiner Revolte gegen die bürgerliche Welt schließlich einen Polizisten brät, fressen sich die vier Freunde bei Ferreri zu Tode. Für Piccoli, der in seinen Sturm- und Drangjahren kurz auch mit dem Kommunismus geliebäugelt hatte, war vor allem „Themroc“ ein persönlicher Film.

Es dürfte nach dem Geschmack seines alten Ketzerfreundes Buñuel sein, dass Piccoli in seiner letzten großen Rolle als Pontifex Maximus wider Willen in Nanni Morettis „Habemus Papam“ (2011) zu sehen war. Buñuel hatte zu Lebzeiten den wiederkehrenden Traum, den Papst zu erschießen. Die Ironie war an Piccoli nicht verloren. Ein Kalauer für die Ewigkeit.

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