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Michael Gwisdek erhielt beim 63. Deutschen Filmpreis die Lola für seine Nebenrolle in "Oh Boy".

© Maurizio Gambarini/dpa

Update

Nachruf auf Michael Gwisdek: Kunstfertig mit Berliner Bodenhaftung

Michael Gwisdek war schon in der DDR ein Star. Sein Tod im Alter von 78 Jahren hinterlässt auch im gesamtdeutschen Kino eine Lücke.

Mit einem Schulterzucken auf den Untergang zu reagieren, dazu braucht es artistisches Talent. In der Mauerfallkomödie „Good Bye, Lenin!“ spielt Michael Gwisdek einen Schuldirektor, dem die Wende die ideologische Geschäftsgrundlage unter der Füßen weggezogen hat. Die DDR gibt es nicht mehr, aber der einst linientreue Pädagoge hilft mit, die Illusion, dass sie weiterexistiert, aufrechtzuerhalten.

Er tut das quasi aus  medizinischen Gründen, als Inkarnation eines seinerzeit sprichwörtlichen Wendehalses. Eine Kollegin hat am 7. Oktober 1989 einen Herzinfarkt erlitten und liegt danach monatelang im Koma. Um den Genesungsprozess nicht zu erschüttern, spielen die Angehörigen ihr mit umetikettierten Spreewaldgurken und im Heimstudio aufgenommenen Ausgaben der „Aktuelle Kamera“ einen planmäßig siegreichen Sozialismus vor.

Gwisdek, ihr ehemaliger Chef, steht linkisch am Krankenbett, zupft an seiner Krawatte herum, und als an der Fassade gegenüber ihrer Plattenbauwohnung ein gigantisches Coca-Cola-Werbeplakat herabgelassen wird, stammelt er: „Ich weiß ja auch nicht, was die Genossen da wieder, also.“

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Das Gegenteil von Overacting

Michael Gwisdek, der am Dienstag mit 78 Jahren gestorben ist, war ein großer Minimalist. Ein nervöses Hüsteln, ein schiefer Blick, ein sparsames Lächeln genügten ihm, um einen Charakter zu skizzieren. Stets betrieb er das Gegenteil von Overacting: Sein Spiel war so sanft und beiläufig, das man die Kunstfertigkeit kaum bemerkte. Mit vielen seiner mehr als 170 Film- und Fernsehrollen schien er geradezu verwachsen gewesen zu sein.

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Auch dies eine Illusion, denn die Bandbreite der Figuren, die er sich zu eigen machte, reichte von einem seelisch heruntergekommenen Geschäftsmann in Andreas Dresens Episodenfilm „Nachtgestalten“ über den  versoffen-hartherzigen Verleger in Oskar Roehlers Melodrama „Die Unberührbare“ bis zum  unbeugsamen  Kneipenphilosophen  in Jan Ole Gersters Coming-of-Age-Tragikomödie „Oh Boy“.

Ein Typ wie John Travolta

Ähnlich ratlos wie in „Goodbye Lenin“, aber dennoch heiter flüstert er dem durch die Berliner Nacht driftenden Sinnsucher Tom Schilling ins Ohr: „Keine Ahnung, wovon die überhaupt reden.“ Meint er die anderen Gäste,  Politiker oder Götter? Eigentlich egal. Gwisdek machte selbst kleinste Auftritte zu Großmomenten.

Seine helle, später  angeraute Stimme klang so quecksilbrig, wie der ganze Mann war. Im leichten berlinischer Zungenschlag erkannte man die Herkunft. Zur Welt gekommen ist Gwisdek 1942 als Sohn eines Gastwirtehepaars, das in Berlin-Weißensee eine eigene Kneipe hatte. Zum Star stieg er bereits in der DDR auf, ein Star ist er auch im wiedervereinigten Deutschland geblieben.

Wolfgang Beckers versöhnlicher Historienfilm  „Goodbye Lenin“ wurde ein Überraschungserfolg, nicht bloß in Deutschland, auch in Frankreich, Großbritannien und den USA. Für Daniel Brühl begann damit der Einstieg ins internationale Geschäft. Aber Michael Gwisdek hätte man sich nur schwer in Hollywood vorstellen können, auch wenn er nicht zu Unrecht von sich behauptete, „ein Typ wie John Travolta“ zu sein. Dafür hatte er zu viel Berliner Bodenhaftung.

Ausbildung zum Dekorateur und Filme auf Super8

Als Jugendlicher musste Gwisdek im Gasthaus der Eltern aushelfen. Keine schlechte Schule, um sich auf den späteren Beruf vorzubereiten. Bereits sein Vater sei ein Entertainer gewesen, erzählte er. „Für einen Lacher hätte er seine Oma verkauft: Das ist das Grund-Gen eines Schauspielers.“ Gwisdek absolvierte eine Ausbildung zum Dekorateur und drehte nebenher Filme mit einer Super-8-Kamera.

Zum Kino wollte er, seitdem er Gert Fröbe am Rande einer Berlinale begegnet war. Dessen Glamour gefiel ihm. Später war er mit seinen Filmen ein Dauergast bei den Berliner Filmfestspielen. Für „Nachtgestalten“ bekam er 1999 einen silbernen Bären.

Michael Gwisdek (links) mit Sylvester Groth im Stasi-Drama "Abschied von Agnes" von 1993.
Michael Gwisdek (links) mit Sylvester Groth im Stasi-Drama "Abschied von Agnes" von 1993.

© FILMMUSEUM POTSDAM

Weil er als Kind von Selbstständigen keinen Platz an einer DDR-Schauspielschule bekam, wollte Gwisdek sich in West-Berlin von der ehemaligen Ufa-Diva Hilde Körber ausbilden lassen. Dann wurde die Mauer gebaut, Gwisdek landete im Transformatorenwerk Oberspree, arbeitete mit einem Schlaghammer und avancierte zum „zweitbesten Nagler der Brigade“.

Über diesen proletarischen Umweg gelangte er zur Staatlichen Schauspielschule in Ost-Berlin. 1968 stand er erstmals vor der Kamera, für die Anna-Seghers-Verfilmung „Die Toten bleiben jung“.

Ein Gesicht des Defa-Kinos

Gwisdek war in vielen Defa-Klassikern dabei, spielte einen Goldgräber im Western „Spur des Falken“, den Lebenskünstler Kutte in Rolf Römers hinreißender Stadtbilderklärerinnen-Komödie „Hostess“ und einen Großbürger in Herrmann Zschoches Hölderlin-Biopic „Hälfte des Lebens“. Da verkörperte er an der Seite von Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann den Bankier Gontard, dessen Frau eine Affäre mit dem Dichter beginnt. Weite Teile des Dialogs bestanden aus Hölderlin-Zitaten.

Bemerkenswert ist auch Gwisdeks markante Nebenrolle in Heiner Carows Drama „Coming Out“, das in der Ostberliner Schwulenszene spielt. Seine Premiere hatte der Film am 9. November 1989 im Kino International, gefeiert haben die Darsteller und Zuschauer in der Gaststätte „Zum Burgfrieden“, die in der Nähe des Grenzübergangs an der Bornholmer Straße lag. Es war der erste Ort, an dem in dieser historischen Nacht die Schlagbäume geöffnet wurden.

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1984 heirateten Michael Gwisdek und Corinna Harfouch, auch sie bereits ein Star im ostdeutschen Film. Dreimal hat Gwisdek Regie geführt, jedesmal gehörte Harfouch zum Cast. „Treffen in Tavers“ (1988) erzählt die abenteuerliche Lebensgeschichte des Naturforschers und Revolutionärs Georg Forster. „Abschied von Agnes“ ist ein Stasi-Drama in hartem Realismus.

Und in „Das Mambospiel“ spielten Gwisdek und Harfouch quasi sich selbst: ein Schauspieler-Ehepaar, das sich liebt, miteinander hadert, sich zerstreitet. Als der Film 1999 bei der Berlinale herauskam, gingen die beiden in Interviews miteinander ins Gericht.

Seine Söhne sind Musiker und Schauspieler

Über den Applaus für den Film, den er für verkorkst hielt, hat sich Gwisdek geärgert. „Im International, gab es gefühlte 20 Minuten Standing Ovations: Nicht einen Buhruf! Das fand ich scheiße. Gott sei Dank gab’s Buhs im Zoo-Palast.“ Kurz danach trennten sich Harfouch und Gwisdek, sie blieben aber bis 2007 miteinander verheiratet. Ihre Söhne sind heute selbst erfolgreiche Künstler, Johannes Gwisdek als Musiker mit seiner Band Die Tentakel von Delphi, Robert Gwisdek als Schauspieler und Rapper Käptn Peng.

Mit seiner zweiten Ehefrau, der Schriftstellerin Gabriela Gwisdek, hat Michael Gwisdek in der Schorfheide gelebt. Dort, im selbst gebauten Blockhaus, bilanzierte er, habe er die glücklichste Zeit seines Lebens verbracht.

„In meinem wilden Leben hatte ich immer im Hinterkopf, das letzte Lebensdrittel sollte vielleicht etwas Sicherheit bringen. Ich wollte immer das große Abenteuer, wie Indiana Jones – aber mit dem Gefühl, fünf Meter im Off stehen Sicherheitsleute mit Tauchanzügen, rechts ist eine Kaffeebar, ein Auto zum Aufwärmen und zwei Assistentinnen, die sagen, zieh mal lieber noch die Wärmesocken drunter.“ Seine Schlagfertigkeit, seine Weisheit werden fehlen.

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