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Musikaufklärer. Der Dirigent Michael Gielen, geboren 1927, gestorben 2019.

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Nachruf auf Michael Gielen: Kühles Herz, brennender Kopf

Durch Widerstände zur Klarheit: Zum Tod des großen Dirigenten Michael Gielen

Er wurde gefürchtet, er wurde verehrt. Nicht, weil Michael Gielen zu den gottgleichen Maestri gehörte, sondern weil er unnachgiebig in der Sache war. Und die hieß für ihn immer „Unbedingt Musik“, genau wie der Titel seiner Autobiographie. Dass Musik nicht dem Genuss dient, sondern der Erkenntnis und dass sie im Grunde genommen auch nie harmonisch ist, lernte der 1927 in Dresden geborene Gielen im Exil in Buenos Aires. Dorthin musste seine Familie von Wien aus fliehen. Sein Vater war der Regisseur und spätere Burgtheaterintendant Josef Gielen und seine Mutter die Schauspielerin Rosa Steuermann. Deren Bruder Eduard spielte in zentraler Position im Schönberg-Kreis Klavier. Die Zweite Wiener Schule wird für Gielen stets Gradmesser für Klarheit und Stringenz bleiben.

Nach seiner Rückkehr nach Europa arbeitet Gielen ab 1950 an der Wiener Staatsoper, 1960 dann wird er Chef in Stockholm, später in Brüssel und Amsterdam. Rückblickend wirkt es, als hätte er auf all diesen Station sein Instrumentarium geschärft für die wichtigste Dekade seines Schaffens. Ab 1977 prägt er zusammen mit Klaus Zehelein die Frankfurter Oper. Es kommt zu Skandalen, zum Beispiel mit Hans Neuenfels’ legendärer „Aida“, die heute als Wendepunkt in der Opernregie gilt. Zunächst verweigert sich das Publikum, die Auslastung des Hauses sinkt. Doch am Ende hat Gielens unbeugsame Programmarbeit Erfolg. Nach seiner letzten „Götterdämmerung“, inszeniert von Ruth Berghaus, fordert ihn das Publikum immer wieder vor den Vorhang, 72 Minuten lang.

Gielen glättet nichts: Musik soll beunruhigen

Anlauf auf seine Frankfurter Zeit nahm Gielen auch gegen die enormen Wiederstände, die ihm 1965 in Köln entgegenschlugen. Nach Absagen zweier berühmter Kollegen ertrotzte er gegen das meuternde Orchester die Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“. Dass sie heute als ein Schlüsselwerk der Moderne gilt, verdankt sich einem Dirigenten, dessen Intellekt immer wieder mit dem Begriff „messerscharf“ beschrieben wird. Gielen war streitbar aus Überzeugung, er glaubte an das Beunruhigende in der Musik. Auf das Glätten von Wellen verschwendete er keine Zeit. Als Chef des SWR-Sinfonieorchesters von 1986 bis 1996 schuf er maßgebliche Einspielungen, auch von Werken des verehrten Gustav Mahler, natürlich auch von Schönberg.

In Berlin war Gielen der Staatskapelle und dem Konzerthausorchester eng verbunden. Hier wie dort folgte jedes Mal Fingerschnipsen, denn es gab immer was zu lernen, wenn Gielen Nachhilfestunden in passionierter Sachlichkeit gab. „Lulu“ oder „Der ferne Klang“ waren späte Opern-Triumphe, 2012 dirigierte der Maestro sein letztes Konzert in der Hauptstadt. 2014 zog er sich aus gesundheitlichen Gründen gänzlich vom Pult zurück. Am Freitag ist Michael Gielen, der nimmermüde Musikaufklärer, im Alter von 91 Jahren am Mondsee im Salzkammergut gestorben.

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