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Von Rio nach Rom. João Gilberto mit talienischen Tänzerinnnen, 1963 in der italienischen Hauptstadt.

© ZUMA/imago/Keystone

Nachruf auf João Gilberto: Der mit seiner Gitarre schlief

Weltruhm mit einer Kreuzung aus Jazz und Samba: Der Gitarrist und Sänger João Gilberto, ein Vater der Bossa Nova, ist mit 88 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Er war einer der größten Musiker Brasiliens, ja der Welt. Und ein Rätsel bis zum Ende. So viele Legenden ranken sich um João Gilberto und seine schwerelosen Lieder, dessen bekanntestes „Garota de Ipanema“ aus der Feder von Antônio Carlos „Tom“ Jobim ist, „The Girl from Ipanema“. Gilberto war zusammen mit Jobim der Vater eines ganzen Genres, der Bossa Nova – der Neuen Welle. Ende der 1950er Jahre warfen die beiden Samba und Cool Jazz zusammen und schufen den Soundtrack für die Strandbohème Rio de Janeiros. Es wurde der Soundtrack ganz Brasiliens.

Aber nie wusste man, wer dieser João Gilberto eigentlich ist. Jahrelang lebte er zurückgezogen in Rio de Janeiro. Dass er nur nachts wach sein soll, hieß es, oder dass er irre geworden sei und in seiner Wohnung hocke und rund um die Uhr Gitarre spiele, immer die gleichen Lieder. Über das Phänomen hat der deutsche Journalist Marc Fischer 2011 das wunderbare Buch „Hobala – Auf der Suche nach João Gilberto“ geschrieben. „Ich bin auf der Suche nach dem Herz der Bossa Nova, die das Herz der Schönheit ist“, schreibt Fischer darin ganz zu Beginn. Die Suche ist erfolglos.

Zuletzt gab es um Gilberto einen hässlichen Familienstreit zwischen seinen Kindern João Marcelo und Bebel sowie seiner letzten Ehefrau Faissol. Und so starb der Schöpfer der Schönheit unter hässlichen Umständen. Vereinsamt und hoch verschuldet, soll er nicht nur körperlich am Ende gewesen sein, sondern auch psychisch beschädigt.

Lächelnde Leichtigkeit

Was bleibt, sind Hunderte von Liedern, die eigenen, solche, die für ihn komponiert wurden, oder die er in seine musikalische Welt holte. Sie haben das Bild Brasiliens als leichtes, immer lächelndes und taktvolles Land geprägt. Ein Bild, das heute auf brutale Weise von einem rechtsextremen Präsidenten und seiner hasserfüllten Gefolgschaft der Lüge gestraft wird.

Der Tod des 88-jährigen Gilberto, so scheint es, ist wie das Symbol für das Ende eines Brasiliens, das zwar so nie existierte, das aber doch eine Idee von sich hatte: die Idee eines toleranten und etwas gerechteren Landes, das in seiner einzigartig swingenden Musik für ein paar Takte zu sich findet. In den Bars, Samba-Clubs und spontanen Musikrunden auf den Straßen Rio de Janeiros flossen am Sonnabend viele Tränen, als Gilbertos Lieder angestimmt wurden.

Die größte und bis heute unbeantwortete Frage zu Gilberto lautet: Wie hat er das hingekriegt? Diesen Sound, dieses Gitarrenspiel, diesen Gesang, diese Magie?

Es muss zwischen den Jahren 1955 und 1957 gewesen sein, als João Gilberto aus Rio verschwindet. Er versuchte sich dort als Musiker, viel aber mehr durch seinen bemerkenswerten Marihuana-Konsum auf. Er kehrt zu seinen Eltern im Bundesstaat Bahia zurück, schließt sich dann sechs Monate im Haus seiner Schwester ein und legt die Akustikgitarre nicht mehr weg, soll sogar mit ihr im Arm schlafen.

Mit einem Hauch von Wehmut. João Gilberto im Jahr 2006.
Mit einem Hauch von Wehmut. João Gilberto im Jahr 2006.

© Marco Hermes(AFP

Als er wieder nach Rio kommt, ist er ein anderer Mann, ein anderer Künstler. Er spielt seine Gitarre nicht mehr, er streichelt sie – die Noten schweben wie Champagnerperlen aus ihr heraus. Gilberto singt auch nicht mehr. Er flüstert, so wie man ein Kind sanft in den Schlaf wiegt. Stimme und Gitarre gehen eine totale Symbiose ein, sind fast wie ein neues Instrument. Nicht umsonst heißen Best-of-Alben von Gilberto denn auch: „Die warme Welt des João Gilberto“.

1958 nimmt er gemeinsam mit dem Komponisten und Sänger Antônio Carlos Jobim das epochale Album „Chega de Saudade“ mit Texten von Vinicius de Moraes auf, das als Geburtsstunde des Bossa Nova gilt. Es verändert die brasilianische Musik für immer, manche behaupten sogar, mit dem Bossa Nova habe sich Brasilien neu erfunden. João Gilberto wird zum Leuchtturm der modernen brasilianischen Musik. An im orientieren sich die heutigen Weltstars Caetano Velos, Gilberto Gil und Chico Buarque.

Als Gilberto 1963 zu Aufnahmen nach New York reist, erlebt die Musikwelt einen ihrer Lennon/McCartney-Momente. Gilberto spielt mit dem Saxophonisten Stan Getz „The Girl from Ipanema“ ein, bei dem auch Gilbertos erste Ehefrau Astrud singt. Der an Leichtigkeit kaum zu überbietende Song wird zur Erkennungsmelodie Rio de Janeiros, das Album „Getz/Gilberto“ bringt den Musikern den Grammy ein. Der Stil Gilbertos beeinflusst ab nun eine ganze Generation internationaler Künstler, darunter Miles Davis, Frank Sinatra, Ella Fitzgerald und Tony Bennett.

Ein Mann mit paranoiden Zügen

Aber es zeigt sich in diesem Jahr 1963 auch eine andere Seite Gilbertos. Er prozessiert gegen seine alte Plattenfirma um die Rechte an den Mastertapes seiner ersten drei Alben – und bezeichnet sich dabei als Opfer eine internationalen Verschwörung, an deren Spitze die Königin von England stehe. Es ist klar, dass Gilberto psychische Probleme hat.

Dennoch sind es auch die golden Jahren des Musikers João Gilberto. Er reist zu Konzerten und Festivals rund um die Welt, zieht nach New York und nimmt weitere Studioalben auf, bespielt die großen Konzertbühnen, zählt Jackie Kennedy, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre zu seinen Fans. Dann erscheint 1981 die vorerst letzte Studioplatte, „Brasil“. Gilberto ist nun viel in Fernsehshows und auf Festivals, reist um die Welt. Aber auch der Mythos beginnt bunt zu ranken wie eine Bougainvillea.

Denn Gilberto gilt als Diva, als unzuverlässig und psychisch labil, hält Zusagen nicht ein, tritt nur auf, wenn alles stimmt, sogar die Beleuchtung. Und wenn das Publikum nicht so reagiert, wie er es erwartet, geht er nach zwei Songs wieder, sagt: „Sie mochten es nicht.“ Ab 1995 lebt Gilberto wieder in Rio de Janeiro, bezieht 2015 sogar eine Suite des legendären Luxus-Hotels Copacabana Palace. Aber er verlässt seine Wohnung fast nicht mehr, empfängt keine Besuche, bestellt Essen von außerhalb. Interviews mit Journalisten, die von weither anreisen, lässt er einfach platzen, sogar eines mit der „New York Times“. Die Spekulationen schießen ins Kraut. 2000 erscheint dann das letzte Album Gilbertos, womit er es in 60 Jahren Karriere auf gerade mal ein Dutzend Platten bringt. Aber alle sind makellos, perfekt. So als ob Gott ein wenig mitgeholfen hätte.

Caetano Veloso hat einmal gesungen: „Besser als die Stille, nur João.“ Und Marc Fischer schreibt in „Hobala“: „Er soll mit Katzen sprechen. Er soll mit Toten sprechen. Er soll den Mond anheulen. Er soll, selbst mit engen Verwandten, nur über Zettel kommunizieren, die man ihm unter der Tür durchschiebt. Er soll gar nicht kommunizieren. Er soll eine seltsame Religion praktizieren. Er soll Menschen so sehr hassen, dass er sie nicht ertragen kann. Er soll Menschen so sehr lieben, dass er sie nicht ertragen kann.“

All das mag stimmen. João Gilberto selbst aber hat in „Hó-Bá-Lá-Lá“, einer von zwei Eigenkompositionen auf dem Album „Chega de Saudade“ gesungen: „Es ist Liebe / o hó-bá-lá-lá, hó-bá-lá-lá / ein Lied / Wer o hó-bá-lá-lá hört / Wird ein Herz voller Glück haben / Er wird die Liebe finden während er dieses Lied hört / Jemand wird sein Herz verstehen.“ Vielleicht findet er dieses Glück jetzt in einer neuen Welt.

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