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Mariss Jansons beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2012.

© AFP

Nachruf auf Dirigent Mariss Jansons: Er war einer der bedeutendsten Interpreten klassischer Musik

Er wurde entdeckt von Herbert von Karajan und legte mit seiner Detailversessenheit eine glänzende Karriere hin. Zum Tod des Dirigenten Mariss Jansons.

Es war kein Geringerer als Herbert von Karajan, der Mariss Jansons entdeckte. 1968 war dem Chef der Berliner Philharmoniker bei einem Dirigierkurs, den er am Leningrader Konservatorium gab, ein besonders begabter Student aufgefallen. Er verschaffte ihm nicht nur die Möglichkeit, seine Ausbildung in Wien fortzusetzen, beim legendären Maestro-Macher Hans Swarowsky, sondern ließ ihn auch in Berlin und Salzburg assistieren.

1971 machte Jansons beim Karajan-Dirigierwettbewerb dann zwar nur den zweiten Platz, den er sich zudem mit dem Polen Antoni Wit teilen musste, doch der Pultstar behielt den jungen Letten weiter im Augen, bot ihm 1976 an, bei den Philharmonikern zu debütieren.

Und Mariss Jansons erwies sich der väterlichen Protektion würdig, indem er sich in seiner langen, glänzenden Karriere stets daran hielt, was Karajan den Preisträgern des Wettbewerbs 1971 mit auf den Weg gegeben hatte: „Stellt eure Person zurück, die Sache voran!“

Sich in die Partituren wirklich zu vertiefen, in Bereiche jenseits technischer Fragestellungen vorzudringen, die seelischen Vorgänge zu begreifen, die den kreativen Prozess der Komponisten einst in Gang gesetzt hatten, war das Ziel seiner Bemühungen. Allein in stiller Kammer beim Studium der Werke wie auch im intensiven Probenprozess mit den Orchestern.

Dass Mariss Jansons bei aller Detailversessenheit den Musikerinnen und Musikern stets auf eine kollegial-freundliche Art begegnete, machte ihn zu einer allseits geachteten, ja geliebten Autorität im internationalen Klassikbusiness.

Seinen ersten Chefposten erhielt er 1979 in Oslo

Geboren im Januar 1943, war Mariss Jansons von Kindesbeinen an von Musik umgeben. Sein Vater Arvid arbeitete als Dirigent am Opernhaus von Riga, leitete ab 1952 dann neben Jewgenij Mrawinskij die Leningrader Symphoniker.

Der strenge Mrawinskij wurde dort zur prägenden Figur für den jungen Kapellmeister, machte Jansons 1973 zum Assistenten. Zwölf Jahre später übernahm er von ihm schließlich die Chefposition. Seinen ersten Leitungsposten im Westen bekam Mariss Jansons 1979 angeboten, beim Philharmonischen Orchester Oslo. 21 Jahre blieb er dort, formte das zuvor provinzielle Orchester zu einem hochgeachteten Ensemble.

Jansons selber konnte in Oslo in Ruhe als Interpret reifen. Überhaupt ließ er seine Karriere bewusst langsamer anlaufen als es möglich gewesen wäre. Was er sich skrupulös erschlossen hatte, vor allem Spätromantisches aber auch frühe Moderne, besonders die Sinfonien Dmitri Schostakowitschs, gab er ab Mitte der Achtzigerjahre an die führenden Orchester der Welt weiter.

Mehr als 26 Wochen pro Jahr durfte er nicht arbeiten

1996 dann der Schock: Während eines Konzerts erlitt Jansons einen Herzinfarkt, kurz darauf im Krankenhaus noch einen weiteren. Zwar stieg er nach nur sieben Monaten wieder aufs Dirigentenpult, doch seine Ehefrau Irina wachte seitdem hartnäckig darüber, dass er sich nicht mehr übernahm. 26 Wochen Arbeit pro Jahr waren das Limit.

Da Jansons weiterhin die künstlerische Verantwortung als Chefdirigent suchte - von 1997 bis 2004 beim Pittsburgh Symphony Orchestra, anschließend bis 2015 beim Amsterdamer Concertgebouworkest, ab 2003 zudem beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks - blieb wenig Zeit für Gastspiele.

Viel zu rar für seine Verehrer waren die Auftritte mit den Berliner Philharmonikern, selbstverständlich aber gehörte er zu den Kandidaten, als ein Nachfolger für Claudio Abbado gesucht wurde – und auch nach dem angekündigten Abschied von Simon Rattle fiel sein Name natürlich wieder.

Spät gönnte er sich das Vergnügen Oper zu dirigieren

Jansons Gestik beim Dirigieren war unspektakulär, ja geradezu zweckdienlich. Selbst in den emotionalsten Momenten hatte er sich voll im Griff. Das gehörte zu seinem Konzept der musikalischen Lauterkeit. Bildung war ihm kein Ballast, die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe vielmehr ein Schlüssel zum Erfolg: „Je mehr man sich bildet, desto mehr gewinnt man an innerer Freiheit.“
Dem Musiktheater, das er innig liebte, hat er sich erst spät zugewandt, der zeitaufwändigen Vorbereitung wegen. 2006 dirigierte Jansons seine erste Opernproduktion, Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, später folgten Tschaikowskys „Pique Dame“ und „Eugen Onegin“.

Für den Sommer 2020 war er als Dirigent von Mussorgskys „Boris Godunow“ bei den Salzburger Festspielen angekündigt. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Am Samstag hat das schwache Herz von Mariss Jansons aufgehört zu schlagen. Wenige Wochen vor seinem 77. Geburtstag.

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