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Christoph Meckel wurde 1935 in Berlin geboren und starb 29. Januar 2020 in Freiburg.

© picture-alliance/ dpa

Nachruf auf Christoph Meckel: Zwischen Paradies und Babylon

Dichter, Erzähler und Grafiker eines grandiosen „Welttheaters“: Christoph Meckel ist im Alter von 84 Jahren gestorben

Von Gregor Dotzauer

„Kein Anfang und kein Ende“: So trotzig betitelte er vor drei Jahren seinen jüngsten Gedichtband. In einem großen Gesang vereinte Christoph Meckel zwei sprunghaft erzählte Langpoeme, die mit „Dunkelstrecke“ und „Meer! Meer!“ noch einmal den ganzen Weg ausmaßen, den er in seinem Leben zurückgelegt hatte.

Es blieb der erste und letzte Epilog zu den gesammelten Gedichten, die er 2015 unter dem Titel seines Debüts „Tarnkappe“ von 1956 veröffentlichte. Und auch ihre fast tausend Seiten hätte man überall aufschlagen können und sofort jene halb mittelalterlich anmutende, halb postapokalyptische, zwischen Paradies und Babylon angesiedelte Welt wiedererkannt, die er als Dichter, Erzähler und vor allem Grafiker eines grandiosen „Welttheaters“ erschuf. Auch ihr Personal, Nomaden und Vagabunden, Tagediebe und Landfahrer durch Zeiten und Räume, änderte sich im Lauf der Jahrzehnte kaum.

Gleich zu Anfang gesellten sich zu den Blicken der Gesunden die „Blicke der Toten“. Es gab ein „Requiem“ und ein Gedicht namens „Tod“ mit den Zeilen: „Am Rande der Dunkelkammern des Todes / hab ich gelebt und weiß, wenn die Nachtpassate kommen, / werde ich unter Kastanienbäumen sterben.“ Da war Meckel 21 Jahre alt.

Knapp 60 Jahre später, im Dezember 2017, als er, fürs Cholerische einst überaus talentiert, schon ganz dem Tod gerade noch einmal entronnene Sanftmut war und im Literaturhaus seiner Geburtsstadt Berlin vor einem gebannten Publikum seine späten Gedichte vortrug, wusste er längst genauer, wie sich diese Nachtpassate anfühlen.

Er war ein poetischer Einzelgänger

Christoph Meckel, der nun im Alter von 84 Jahren in seiner Wahlheimat Freiburg gestorben ist, war ein poetischer Einzelgänger auf den Schultern von Riesen. Bertolt Brecht, Georg Trakl, Ernst Meister und Johannes Bobrowski waren die Meister, vor denen er sich verneigte. Und zwischen ihren Schatten legte er auch die „Dunkelstrecke“ zurück. Sein lyrisches Alter Ego, ein sogenannter „Laufbursch“, irrt darin zusammen mit einem blinden Alten durch die Gegend. Dabei betrügt der Laufbursch seinen Herrn über das angeblich zu Sehende nur zu gern.

Das Ganze ist ein motivisches Spiel mit dem Propheten Teiresias, mit dem erblindeten Riesen Orion, der wie auf dem Gemälde von Nicolas Poussin einen Seher mit sich herumträgt, und mit dem rastlosen Ahasver, der zu Meckels privater Mythologie nicht weniger gehört als reisende Urfiguren wie Jul Miller.

Sein Vaterbuch" Suchbild" wurde 1980 zum Erfolg

Die starke Rhythmisierung dieser Texte verweist sie nicht nur durch ihre Bildstärke in die Dichtung. Und doch ließen sich manche Passagen ohne Zeilensprung auch als poetische Prosa organisieren. Meckel hat diese Grenze nach beiden Richtungen immer wieder überschritten. Die Erzählung „Licht“ (1978), eine aus heutiger Sicht leicht parfümierte Elegie auf eine gescheiterte Liebe unter der Sonne Südfrankreichs, war in dieser Hinsicht sein erfolgreichstes Buch. Angefangen mit „Säure“ folgten ihm mehrere thematisch verwandte Lyrikbände.

Meckel hatte seine Gemeinde. In die Annalen schrieb er sich allerdings 1980 mit „Suchbild“ ein. Neben Bernward Vespers Roman „Die Reise“ über dessen Nazi-Vater Will Vesper, war „Suchbild“ eines jener Vaterbücher, die den seelischen Verletzungen der Kriegsgeneration ebenso nachspürten wie deren Lebenslügen – und den Folgen für die Kinder. Eberhard Meckel, selbst Lyriker und ein Freund von Peter Huchel und Günter Eich, entpuppte sich für den Sohn als schöngeistiger Dr. Jekyll und despotischer Mr. Hyde. Ein Porträt unmöglicher Zuneigung, das man bis heute mit Gewinn lesen kann. Kein Anfang und kein Ende: Am 27. April erscheint bei Hanser mit „Eine Tür aus Glas, ganz offen“ die gesammelte Prosa. Gregor Dotzauer

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