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Thomas Oberender, 55.

© dpa/Jörg Carstensen

Nach Oberenders Abgang: Warum die Berliner Festspiele sich neu aufstellen müssen

Intendant Thomas Oberender geht Ende des Jahres. Mit der Wahl eines Nachfolgers steht eine Richtungsentscheidung für das Haus an. Viel Zeit bleibt nicht. Ein Kommentar.

Das ist einmal eine Neuigkeit. Thomas Oberender gibt zum Jahresende die Intendanz der Berliner Festspiele ab. Sein Vertrag war noch im November bis Ende 2026 verlängert worden. Ein harter Schnitt, völlig unerwartet und zu einem schwierigen Zeitpunkt. Die Berliner Festspiele feiern in diesem Jahr eigentlich 70. Geburtstag, was selbst unter gelockerten Pandemie-Auflagen keine rauschende Party sein kann. Monika Grütters muss nun in Windeseile die Nachfolge regeln.

Thomas Oberender habe in seinen zehn Jahren die Festspiele zu einem "innovativen Schaufenster der Bundeskultur" gemacht, erklärte die Kulturstaatsministerin. Bei ihr weiß man ja auch nicht, ob sie nach der Bundestagswahl weitermacht. Bei den vom Bund getragenen Berliner Kultureinrichtungen ist einiges in Bewegung. Kommende Woche eröffnet die Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung ihre Dauerausstellung. Direktorin Hetty Berg, vor gut einem Jahr nach Berlin gekommen, kann am Jüdischen Museum die digitale Blase verlassen und richtig loslegen.

Das Humboldt Forum will im Juli endlich erste Ausstellungen zeigen. Und das Haus der Kulturen der Welt bekommt mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung Ende 2022 einen neuen Intendanten. Beide Häuser arbeiten unter dem Dach der KBB, der Kulturveranstaltungen des Bunds in Berlin.

Aber am HKW liegen die Dinge anders als bei den Festspielen. HKW-Intendant Bernd Scherer scheidet dann aus Altersgründen aus, während der 55-jährige Thomas Oberender sich „neuen Aufgaben und Herausforderungen“ zuwendet, wie es offiziell heißt. Das hat er in den zurückliegenden Jahren auch schon getan. Oberender stürzte sich in die „Immersion“, vieles sollte plötzlich „immersive Kunst“ sein. Im Gropius Bau , auch unter dem Dach der KBB, hat das noch am besten funktioniert. Die Festspiele suchten immer neue Orte in der Stadt, immer neue Formate, wie das so schön heißt, und vor drei Jahren wollte Oberender für das „Dau“-Projekt ein riesiges Areal in Mitte absperren.

Oft hatte man bei ihm, da er jetzt auch häufiger als Kurator auftrat, das Gefühl, dass ihm die traditionellen Formen zu eng werden und er sich an die Spitze neuer Avantgarden stellen will. Er hat jedenfalls eine Menge riskiert. Vermutlich möchte er auf dem Gebiet des Digital-Performativen weitermachen, ohne die Bürde einer Intendanz.

Das Kleinteilige hat Oberhand

Und da ist auch noch das Festspielhaus. Es wird generalsaniert, im Februar 2022 soll es wieder bespielt werden können. Dann ist Oberender nicht mehr im Amt. Die Frage, was mit dem wunderbaren Bühnenbau, der früheren Freien Volksbühne, werden soll, stellt sich mit der Demission von Oberender noch dringlicher. Dabei spielt die Tradition der Berliner Festspiele, die nicht zu Restspielen werden dürfen, eine große Rolle. Viele Menschen erinnern sich an die großen Gastspiele in der Schaperstraße. Diese Zeiten sind vorbei.

Im Theaterbetrieb und auf Festivals hat das Kleinteilige die Oberhand – man sah es zuletzt auch beim Theatertreffen, das wie die MaerzMusik, das Musikfest und Jazzfest zu den Festspielen gehört. Das Festspielhaus ist groß, für viele Dinge zu groß. Aber es füllt sich gern und schnell, wie man beim Literaturfestival erlebt. Und es gäbe schon breiter dimensionierte internationale Theaterproduktionen, die man in Berlin zeigen könnte und eigentlich einladen müsste - aber dafür fehlt auch Geld.

Vor zwei Jahren entdeckte Oberender, der in Gera zur Welt kam und als Dramatiker bekannt wurde, das Ost-Thema neu und verkleidete das Festspielhaus als Palast der Republik.

Die Uhr kann nicht zurückgedreht werden

Es ist eine programmatische Frage. Als was verstehen sich die Festspiele in Zukunft? Einst eine Hausmacht in (West-)Berlin, sind sie inzwischen ein Player unter vielen in der Stadt. Berührungen zu HKW-Veranstaltungen bleiben nicht aus, wenn man den diskursiven Wellen folgt.

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Die Uhr kann nicht zurückgedreht werden. Gleichwohl wird mit der Oberender-Nachfolge eine Richtungsentscheidung getroffen. Konzentrieren sich die Festspiele wieder mehr auf ihr prächtiges Haus und solche Produktionen, die man nur dort zeigen kann? Oder geht es tiefer in die Immersion hinein, in die Technisierung der Künste und auch ins Aktivistische?

Oberenders Reden waren zuletzt von weltverbesserischen Gedanken getragen, er wirkte missionarisch, ließ durchblicken, was jeder weiß - dass Kunst und Festspiele die Welt nicht ändern, ihr vielleicht am Ende auch egal sind. Er scheint sich damit nicht abfinden zu wollen.

Man könnte nach Osten oder in den Süden schauen

Sieben Jahrzehnte Festspiele, vom Kalten Krieg über goldene Jahre im Westen, Mauerfall, Vereinigung und Hauptstadtkulturwerdung: Im Gropius Bau wird in einer kleinen Ausstellung an die historischen Höhepunkte erinnert. Während das Haus der Kulturen der Welt, weniger als halb so alt, stets nach vorn blicken konnte, transportierten die Festspiele immer auch Berliner Geschichte. Oberender hat versucht, sie davon zu befreien, was die Gefahr der Austauschbarkeit mit sich bringt.

Es bleibt nicht viel Zeit. Die Festspiele werden zu einer Verwaltungseinheit für diverse Festivals und geben eigene Programmideen auf, das wäre die Minimallösung. Oder eine neue Intendanz begreift das Haus als europäische Bühne: Dabei könnte man nach Osten schauen, aber auch in den Süden und nach Frankreich. Oder die Reality wird noch virtueller.

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