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Nach Eklat um Nolde: Das Museum der Moderne sollte die politische Geschichte der Kunst aufarbeiten

Die Bauarbeiten für das neue Museum am Kulturforum beginnen bald. Es wird als Ort der Vermittlung und Aufarbeitung dringend benötigt. Ein Gastbeitrag.

Der Spatenstich ist für den Herbst avisiert, die Kosten werden neuerdings mit 450 Millionen Euro angegeben. Ob es ums Geld geht oder den Entwurf von Herzog & de Meuron – über das neue Museum am Kulturforum wird heftig diskutiert. Hier teilt Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, seine Vision für das Projekt.

Berlin ist wie kaum ein Ort von den Verwerfungen der Moderne gekennzeichnet. Die Spuren der Weltkriege, des Holocaust, der deutsch-deutschen Teilung sind in kaum einer Stadt deutlicher spürbar als hier. Hier, in Berlin, wurde früh und lautstark um die Kunst der Moderne gestritten und gerungen.

Hier richtete erstmals ein Museumsdirektor den Lebenden, damals Künstler wie Paul Klee, Wassily Kandinsky oder Max Beckmann, eigene Museumsräume ein.

Diese von Direktor Ludwig Justi so genannte „Neue Abteilung“ der Nationalgalerie wurde europaweit bewundert, wurde gar zum Vorbild für die Gründung des heute so umschwärmten Museum of Modern Art in New York.

Und in Berlin wurde nach den verheerenden Exzessen der Nationalsozialisten und der Neuorientierung Deutschlands nach 1945 erneut sehr heftig um mögliche neue Richtungen in der Kunst diesseits und jenseits der Mauer gerungen.

Die Amerikaner finanzierten frühe Ausstellungen zu Jackson Pollock und später zu Fluxus und zur Pop-Art – beides Strömungen, die in der Stadt selbst starke Verankerungen aufwiesen. Im Ostteil der Stadt fokussierte sich vieles auf einen politisch gewollten Realismus. Natürlich entstanden dazu auch zahlreiche andere, gegenläufige Tendenzen.

Die Brüche der Nachwendezeit schlugen sich künstlerisch nieder

In den beiden Häusern der Nationalgalerie – dem historischen Stammhaus auf der Museumsinsel und der 1968 eröffneten „Neuen Nationalgalerie“ im Westteil der Stadt – wurde über mehrere Jahrzehnte unter zwei verschiedenen Weltanschauungen gesammelt, bis sich die Verhältnisse abermals radikal änderten.

Die Brüche, das Offene der Nachwendezeit lockte schließlich Abertausende von Menschen aus aller Welt nach Berlin und sorgte für einen Aufbruch, der sich auch künstlerisch vielfältig niederschlug. Viele der heutigen internationalen Stars der Kunstszene haben ihren Weg im Berlin der 1990er Jahre begonnen, viele haben noch immer hier ein Standbein.

Die Sammlung ist stark politisch geprägt

Für den geplanten Neubau am Kulturforum, das „Museum des 20. Jahrhunderts“, haben diese Linien der Geschichte große Bedeutung. Die Sammlung der Nationalgalerie, 1992 zusammengelegt und seitdem substanziell erweitert und ergänzt, ist stark politisch geprägt.

In Berlin wurde anders gesammelt als in München, Frankfurt, Düsseldorf oder Leipzig – man denke an Positionen wie Otto Dix, George Grosz, Lotte Laserstein oder an Horst Strempel, Wifredo Lam, an Joseph Beuys, Katharina Sieverding, Wolf Vostell, Hans Haacke, Bruce Nauman oder Jenny Holzer.

Nicht nur Glanz und Elend der frühen Moderne, auch die Verhältnisse nach 1960, der Wirtschaftsboom, die sozialistischen Parolen, die Flower-Power- und Öko-Bewegungen, die Anfänge der Globalisierung: All das ist in dieser Sammlung sehr deutlich ablesbar.

Ein Neubau für die Komplexität moderner Kunst

Gerade die Konfrontation von Ost und West ist darin in hohem Maße präsent, so treffen etwa Spitzenstücke der US-Kunst (Frank Stella, Barnett Newman, Robert Rauschenberg, George Brecht) auf Highlights der DDR-Vergangenheit wie Harald Metzkes, Werner Tübke und Angela Lampe.

Es ist eine überaus komplexe, breit gefächerte Sammlung, die gerade deshalb besonders prädestiniert ist für das so diverse Berlin. Die so gut besuchten Sammlungspräsentationen, wie „Der geteilte Himmel. 1945–1968“, „Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment. 1933–1957“ oder „Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ haben gezeigt, wie sehr sich ein breites Publikum mit dieser politisierten Dimension der Sammlung identifiziert, wie sehr es auch unsere diskursiven Formate zur Aufarbeitung von Geschichte und Kunstgeschichte schätzt.

Ein Neubau, der dieser Komplexität in der Kunst des 20. Jahrhunderts gewidmet ist, fehlt seit Langem in Berlin. Es ist eigentlich unfassbar, dass diese Stadt, die so eng verbunden ist mit dem Aufstieg und Fall der Kunst der Moderne, bislang keinen Ort hat, an dem die Kunstdiskurse des 20. Jahrhunderts in umfassender Weise erfahrbar sind.

Dabei zählt die Sammlung der Nationalgalerie heute international zu den größten Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Sie umfasst, vom Symbolismus und Jugendstil bis in die digitalen Videoräume der 1990er Jahre, rund 6000 Kunstwerke. Fast alles davon ist derzeit eingelagert.

Darunter befinden sich große Konvolute von herausragenden Künstlerinnen und Künstlern wie Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Hannah Höch, Nam June Paik, Andy Warhol, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Isa Genzken, Otto Piene und Wolfgang Tillmans, um nur einige zu nennen.

Eine der größten Medienkunstsammlungen der Welt

Die Sammlung beinhaltet – das weiß kaum jemand – neben dem New Yorker Guggenheim Museum und der Tate in London eine der größten Medienkunstsammlungen der Welt mit rund 800 Audio-, Film- und Video-Arbeiten von den späten 1950er Jahren bis in die Gegenwart.

Außergewöhnlich ist auch die große Zahl von Environments und Installationen von Marcel Broodthaers, Pipilotti Rist, Via Lewandowsky, Gregor Schneider und vielen anderen.

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Ohne einen Neubau wird dies alles weiterhin kaum oder nur probeweise zu sehen sein. Es ist die Idee des Neubaus, diese weitverzweigten Bestände endlich an einem Ort zusammenzuführen.

Vorgesehen sind auch Flächen für Werke aus den Sammlungen von Erich Marx und dem Ehepaar Ulla & Heiner Pietzsch. Ein eigener Raum soll der Malerei von Gerhard Richter vorbehalten sein. Der Entwurf der Basler Architekten Herzog & de Meuron, die bereits so viele bedeutende Museen gebaut haben (etwa die Tate in London), ist dabei eine ideale Architektur.

Kontraste und Brüche

Es handelt sich um keine auftrumpfende signature architecture, sondern um eine weite, lichtdurchflutete Halle. Mit den großen Rolltoren, so elementar angelegt wie eine Maschinen- oder Bahnhofshalle, verbindet sich in dieser Halle auch eine sehr passende Metapher für eine Kunst, die in „Factorys“ und Lofts entstanden ist, die auf Industrieproduktion oder auf Folgen der technischen Zivilisation Bezug nimmt.

Markante Wechsel in Atmosphären und Raumwirkungen, die Jacques Herzog und Pierre de Meuron im Inneren des Neubaus angelegt haben, spielen auf die starken Kontraste und Brüche an, die auch mit der Kunst des 20. Jahrhunderts einhergehen.

Die Sammlungen werden aufgearbeitet

Eine so politisch aufgeladene Sammlung kann zugleich nicht unkommentiert bleiben. Zuletzt hat die Nolde-Ausstellung gezeigt, wie erklärungsbedürftig die Kunst der Moderne ist, wie sehr wir die Kunst heutzutage in historische Kontexte und in aktuelle Diskurse einbetten müssen.

Dies gilt insbesondere für die ideologisierte Kunst nach 1945, aber auch für konzeptuelle Kunstbewegungen, deren Ideen oft nicht aus der Anschauung allein verständlich werden.

Gerade bei der Aufarbeitung der Sammlung haben wir in der Vergangenheit an allen Häusern der Nationalgalerie erfolgreiche Formate erproben können. Daran möchten wir im Neubau anknüpfen.

Das Museum als biologischer Organismus

Die Vermittlung beispielsweise ist angesichts einer globalisierten Gesellschaft in Berlin wichtiger geworden. Wir brauchen hier speziell dafür geeignete Räume, für ganz verschiedene Gesellschaftsgruppen, auch für partizipative Angebote.

Wir brauchen Möglichkeiten für Vorträge, für Performances, für die theatralischen Kunstformate des 20. Jahrhunderts. Wir brauchen Ausblicke auf die anderen Kunstmedien des 20. Jahrhunderts, auf Papier, Grafik, Buchkunst, Fotografie. So sind auch Schaufenster in die Sammlungen des Kupferstichkabinetts und der Kunstbibliothek geplant.

Dies alles soll der Bau leisten, dies alles ist in den Planungen schon detailliert berücksichtigt. Wir verstehen das Museum dabei wie einen biologischen Organismus, ganz im Sinne von Alexander Dorner, dem großen Museumsvisionär der 1920er Jahre. Als „lebendes Museum“, das offen bleibt für Veränderungen, für vielfältige Nutzungen.

Museen sind wichtige soziale und gesellschaftliche Orte, Schutzräume nicht nur für die Kunst, sondern auch für offene Diskurse in der Gesellschaft.

Joachim Jäger

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