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Im Andenken an den Vater: Vladimir Jurowski im Konzerthaus.

© Peter Meisel

Nach dem Eklat: Russen spielen, Humanität retten

Vladimir Jurowski dirigiert ein russisches Programm beim RSB im Konzerthaus.

Die Erschütterungen des Vormittags sind noch am Abend im Konzerthaus zu spüren. Andrij Melnyk, der Botschafter der Ukraine in Deutschland, hatte deutlich genervt die Einladung des Bundespräsidenten zu einem Solidaritätskonzert der Berliner Philharmoniker zurückgewiesen. „Keinen Bock“ auf „große russische Kultur“ angesichts der Ermordung von Tausenden Zivilisten – das klingt verständlich. Doch dass Melnyk in Steinmeiers Geste einen „Affront“ erkennt, zeigt, wie gnadenlos expansiv die Rhetorik des Krieges ist. Und dass ein Kulturbruch weitere heraufbeschwören kann.

Vladimir Jurowski hat sich früh und klar zum Krieg gegen die Ukraine positioniert und dafür geworben, den russischen Saisonschwerpunkt des Rundfunk- Sinfonieorchesters Berlin fortzusetzen. Sein Konzert mit Werken von Schostakowitsch, Prokofjew und Rachmaninow legt ein eindringliches Zeugnis davon ab, was Kultur vermag: Humanität zu bewahren, auch in Zeiten der Bedrängnis und des Krieges. Für den stets beherrschten Dirigenten ist es ein aufwühlender Abend, nicht nur wegen der Werke auf den Pulten. Das Konzert ist dem Andenken seines Vaters Michail Jurowski gewidmet, der am 19. März verstorben ist und unter dem Antisemitismus der Sowjetunion gelitten hat.

Julia Fischer spielt das 1. Violinkonzert von Schostakowitsch

Kaum merklich hat Schostakowitsch Erinnerungspartikel jüdischer Musik in sein 1. Violinkonzert eingeschmuggelt. Erst nach Stalins Tod holte er das fertige Werk wieder aus der Schublade. Julia Fischer spielt es mit vollem, erdigem Klang und schier endloser Kondition. Nachdem sie den Wellen der Gewalt widerstanden hat und die Angst sich ihrer bemächtigen will, dreht sich die Solistin in ein berührendes Zwiegespräch mit sich selbst.

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Rachmaninows „Sinfonische Tänze“ sind 1940 der Rückblick auf ein Leben, dessen Heimat mit dem Zarenreich untergegangen ist. Jurowski zieht das Dunkle hervor aus dieser melancholisch funkelnden Komposition, lässt sich nicht blenden vom Gestus der Weltläufigkeit, widmet sich ganz dem unbehausten Herz. Das Orchester ist mit großer Konzentration dabei, und aus seinem Spiel der Steigerungen wird ein Bekenntnis.

Mit größter Vehemenz arbeitet Jurowski das Dies-Irae-Motiv im Finale heraus, der Kontrast zur sentimentalen Rückschau ist von klirrender Klarheit. Dann setzen Glockenschläge ein, die man nicht hören kann, deren Schwingungen aber alles und jeden erfassen und komplett durchschütteln. Ein trauriges, wütendes, zutiefst menschliches Konzert, das Jurowski und sein RSB nun auf Tournee nach Ungarn und Österreich tragen.

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