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Baden gehen. Ausstellung von Taring Padi im Hallenbad Ost.

© Uwe Zucchi/dpa

Update

Nach Antisemitismus-Eklat: Kuratorenteam der Documenta entschuldigt sich

Kulturstaatsministerin Claudia Roth plant eine Strukturreform. Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann will alle Kunstwerke prüfen.

Zu den prominentesten Werken der letzten Documenta gehörte die Rekonstruktion des Kasseler NSU-Mordes durch die britische Künstlergruppe Forensic Architecture. Sie erinnerte daran, was 2006 in einem Internet-Café geschah und nie vollständig aufgeklärt wurde.

Diesmal fällt nur auf, dass der früher „Gitterbrücke“ genannte Fußgängerüberweg über die Fulda nach Walter Lübcke heißt, dem 2019 durch einen Rechtsextremisten ermordeten Regierungspräsidenten. Von Documenta-Besucher:innen wird er häufig gequert, denn diesmal befinden sich Ausstellungsorte auf beiden Flussseiten.

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Das bekannteste Werk der Documenta fifteen lässt sich allerdings nicht mehr sehen: Erst verhüllt, dann abgebaut, weil es antisemitische Darstellungen wiederholt. Für Kassel – alle fünf Jahre Nabel der Kunstwelt und danach wieder nur Hessens drittgrößte Stadt – ist das eine bittere Pointe.

Das kuratierende Kollektiv entschuldigte sich nun in einer schriftlichen Stellungnahme für die antisemitischen Darstellungen. „Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken“, schrieb Ruangrupa am Donnerstag auf der Website der documenta. „Es ist unser Fehler. Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben.“

„Wie wir jetzt vollständig verstehen, knüpft diese Bildsprache nahtlos an die schrecklichste Episode der deutschen Geschichte an, in der jüdische Menschen in beispiellosem Ausmaß angegriffen und ermordet wurden“, schrieb Ruangrupa weiter über das Werk. „Wir nutzen diese Gelegenheit, um uns über die grausame Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus weiterzubilden und sind schockiert, dass diese Figur es in das fragliche Werk geschafft hat.“ Das kollektiv hergestellte Banner beziehe sich auf die „ungelöste dunkle Geschichte Indonesiens“.

Antisemitische Darstellung im Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi.
Antisemitische Darstellung im Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi.

© AFP/Uwe Zucchi

Das Kollektiv bedankte sich zudem für die „konstruktive Kritik und Solidarität“, betonte aber auch, dass es sich von anderen nicht fair behandelt fühle: „Wir haben das Gefühl, dass viele der Anschuldigungen gegen uns erhoben wurden, ohne dass zuvor ein offener Austausch und gegenseitiges Lernen angestrebt wurde.“ Man wolle den „Dialog, mit denen, die uns ehrlich unterstützt haben, an uns geglaubt haben“ fortführen. „Wir möchten auch weiterhin mit der Öffentlichkeit, Besuchern und lokalen Basisinitiativen, die unsere Arbeiten ansprechen, ins Gespräch kommen.“

Die Blamage bleibt: Schon früher hätte es eine kritische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Antisemitismus geben können, gerade hier wurde die Chance verspielt, für ein paar Wochen das Kunstschaufenster der Republik zu sein.

Auch der Bund trägt Verantwortung am Desaster

Das erklärt die immer schrilleren Töne in der Debatte, der Ruf nach Entlassung von Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, ja, sogar von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Der Bund finanziert die Documenta zu großen Teilen und trägt als Geldgeber Verantwortung.

Kein Wunder, dass Bundeskanzler Olaf Scholz über eine Sprecherin der „Jüdischen Allgemeinen“ mitteilen ließ, dass er zum ersten Mal wohl seit dreißig Jahren nicht zur Documenta kommen werde und „die besagte Abbildung in Kassel abscheulich“ finde. Die Documenta bildet mithin Deutschland ab, auch wenn vornehmlich Künstler:innen des Globalen Südens ausgestellt sind.

Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 gilt als Fehler

Umso schneller musste Claudia Roth reagieren – endlich, nachdem sie in den Monaten vor der Documenta keinen Handlungsbedarf sah, als der Streit begann. Die Kulturstaatsministerin hat nun ad hoc einen fünf Punkte umfassenden Reformplan hervorgezaubert, nach dem der Bund wieder mehr Einfluss gewinnen soll. Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei gleichzeitigem Festhalten an der Bundesförderung gilt heute als „schwerer Fehler“.

Geld gibt es fortan nur, wenn Vertreter des Bundes an Bord sind. In dem der Deutschen Presseagentur vorliegenden Papier heißt es: „Eine finanzielle Förderung des Bundes soll deshalb zukünftig mit einer unmittelbaren Einbindung in die Strukturen der documenta zwingend verbunden sein.“

Die bisherigen Gesellschafter von Land Hessen und Stadt Kassel sollen sich auf eine andere Struktur verständigen. „Es hat sich gezeigt, dass die bislang vor allem lokale Verantwortlichkeit der Documenta in einem Missverhältnis steht zu deren Bedeutung als einer der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen“, werden die Granden in Hessen und Kassel abgewatscht.

Sabine Schormann versucht derweil zu retten, was zu retten ist. Sie hat eine systematische Untersuchung der auf 32 Standorte verteilten Werke als fortlaufende Begleitmaßnahme angekündigt, denn die prozessual angelegten Präsentationen der verschiedenen Kollektive ändern sich permanent.

Das Kollektiv Subversive Film steht unter Verdacht

Als externer Experte wurde unter anderem Meron Mendel, der Leiter der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, hinzugebeten. Dabei wird man sich auch den Beitrag des in Ramallah ansässigen Kollektivs Subversive Film genauer anschauen, das ein Archiv revolutionärer Filme aufgebaut hat.

Dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche Deutschlands, Johann Hinrich Claussen, sind hier bereits Masao Adachis Propagandafilme „aus einem anti-israelischen-terroristischen Kontext“ aufgefallen, die er eine gezielte Provokation nennt. Sehen kann man sie auf dem Hübner-Gelände und im Gloria-Kino, das allerdings diese Woche geschlossen blieb „aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie“, wie es hieß.

Taring Padi plant ein javanisches Reinigungsritual

Laut Veranstaltungsprogramm plant Taring Padi am Samstag just am Friedrichsplatz, wo zuvor ihr Banner stand, ein javanisches Reinigungsritual, bei dem böse Geister ausgetrieben werden. Eine Erklärung des Kollektivs zu seinem abgehängten Werk fehlt bislang.

Das Kuratorenkollektiv Ruangrupa hat die Entschuldigung auf der Documenta-Website verbunden mit der Hoffnung veröffentlicht, dass nicht alles vergebens wäre. Die Documenta fifteen sei doch so viel mehr. Das müssen die kommenden drei Monate beweisen.

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