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Unangepasster. Der Komponist Christfried Schmidt bezeichnete sich selbst als Quereinsteiger.

© privat

Nach 45 Jahren: Christfried Schmidts „Markuspassion“ wird uraufgeführt

In der DDR konnte das Stück nicht gespielt werden, später landete es in der Schublade. Karfreitag wird Christfried Schmidts „Markuspassion“ zu hören sein.

Gleißende Klänge umhüllen den Zuhörer in der Gethsemane-Kirche, durch den langen Nachhall des Raumes noch unentrinnbarer wirkend. Alle Facetten von Holz- und Blechbläsern, von Violinen in höchsten Lagen und dunkel drohenden Kontrabässen werden aufgefahren. Dreifach besetztes Schlagzeug schleudert Kuhglockenläuten und das hässliche Geräusch der großen Ratsche in den Raum – eine Art „Karfreitagszauber“ aus südlichen Regionen wird hier persifliert, wo solche „Instrumente“ die zwischen Gründonnerstag und der Osternacht verbotenen Kirchenglocken ersetzten. Später blendet der Chor sich ein, sprechend, schreiend: „Er ist des Todes schuldig.“ Ein flehender Sopran schließt sich an, ein Choral: „O Haupt voll Blut und Wunden“, erkennbar noch in der alten Melodie und doch verstörend neu harmonisiert.

45 Jahre lang lag die „Markuspassion“ von Christfried Schmidt in der Schublade, die am Karfreitag durch die Singakademie zu Berlin und die Kammersymphonie Berlin unter der Leitung von Kai-Uwe Jirka zur Uraufführung kommen wird. Schon immer war der Komponist ein Unangepasster, dementsprechend auch Unbeachteter oder beiseite Geschobener. Er selbst bezeichnet sich als „Quereinsteiger“.

Als Komponist ein Autodidakt

1932 als Sohn eines Müllers geboren, studierte er Kirchenmusik in Görlitz, später Orgel und Tonsatz in Leipzig. Bewerbungen als Meisterschüler an der Akademie der Künste in Berlin (Ost) wurden zweimal abgelehnt. „Als Komponist bin ich Autodidakt“, sagt der 86-Jährige und lächelt verschmitzt aus wallendem Haupt- und Barthaar hervor, „mein bester Lehrmeister war das Radio“. Dort konnte er hören, was in der ehemaligen DDR kaum gespielt wurde, die Musik der zweiten Wiener Schule oder die neuesten seriellen Erzeugnisse, jedenfalls keine „nützlichen“ Klänge des „sozialistischen Realismus“. Zwölftöniges durchzieht auch Schmidts Werk, ohne jeden dogmatischen oder theoretisierend „papierenen“ Anstrich.

„Mein Vorbild darin ist Alban Berg“, sagt er mit Nachdruck. So schätzt er auch den späteren Schönberg, der die Zwölftontechnik systematisierte, weit weniger als den frühen Expressionisten. Über Stockhausen kann er spotten; die heutigen Neoromantiker sind nicht der Rede wert – „das ist ja nichts Neues“. Viel näher steht ihm ein Komponist wie Bernd Alois Zimmermann, Katholik zwar, doch von ähnlicher Ausdruckstiefe wie der der protestantischen Kirchenmusik verpflichtete Schmidt, von ähnlicher Klangsinnlichkeit und freiem Umgang mit den kompositorischen Mitteln, die simultan angewendet ihm die „Kugelgestalt der Zeit“ ergaben.

Erweiterung des Klangspektrums

Nicht anders geht Schmidt vor, wenn in der „Markuspassion“ durch Instrumentation und Stimmführung Anklänge an Renaissancemusik entstehen und gleichzeitig die Chorstimmen atonal aufgeschichtet werden. Prägend waren für ihn auch die mehrfachen, privat finanzierten Besuche beim „Warschauer Herbst“. Dort faszinierte ihn weniger die Musik Krysztof Pendereckis und dessen „Lukas“-Passion, sondern eher die „gelenkte Aleatorik“ Witold Lutoslawskis, nach der die Musiker bestimmte Passagen relativ frei gestalten können. Solche Individualisierungsprozesse einer streng durchstrukturierten Partitur sind auch bei „Markus“ zu finden, neben Erweiterungen des Klangspektrums durch Abweichungen von der gewohnten Stimmung wie Vierteltöne, Glissandi, gesprochenen und geräuschhaften Einsatz der Stimmen.

Solche Komplexität brachte Schmidt das Vorurteil der schwierigen Aufführbarkeit oder sogar Unspielbarkeit ein. Wenn sich die Auftragslage in der DDR auch leicht besserte und er zu guter Letzt Mitglied im Komponistenverband wurde, so trat mit dem Mauerfall für ihn nicht die erhoffte „Wende“ ein. Einige Aufführungen beim Ultraschall-Festival und bei der Musikbiennale, die 2002 von der Maerz Musik abgelöst wurde, das war's.

Heutige Schrecken bezieht er ein

Vor knapp einem Jahr erklang seine „Kammermusik XI“ in einem Konzert des Ensembles United-Berlin unter Vladimir Jurowski. Auch sie hinterließ den starken Eindruck eines unmittelbaren, überwältigend klangsinnlichen Ausdrucks. „Nur um den emotionalen Ausdruck geht es mir“, sagt der Komponist. Seine „Markuspassion“ steht vor allem in der differenzierten Wortausdeutung unmittelbar in der Bachschen Tradition und schreibt sie auf sehr persönliche Weise neu für unsere Zeit, kompromisslos, heutige Schrecken einbeziehend und doch von eigenartiger Schönheit – „von Herzen; möge es wieder zu Herzen gehen“, wie Beethoven einst schrieb.

19.4., 20 Uhr, Gethsemanekirche, Stargarder Str. 77, Prenzlauer Berg

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