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My_Fair_Lady

© dpa

''My Fair Lady'': Sag’s durch die Blume

Mit dem Musical "My Fair Lady" wagt der Berliner Admiralspalast seine erste Eigenproduktion. Peter Lund inszeniert mit liebendem Blick.

Das darf doch nicht wahr sein! Erst behandelt er sie wie den letzten Dreck, dann wie ein Stück Seife – und doch kann sich Eliza Doolittle nicht von Professor Higgins losreißen. Auch nicht in Peter Lunds Inszenierung des Musical-Klassikers, mit dem der Berliner Admiralspalast zwei Jahre nach seiner Eröffnung nun die erste Eigenproduktion im großen Saal wagt: Franziska Forster durchschreitet die von Kugel-Buchsbäumen flankierte Eingangstür zur Wimpole Street 27A, drinnen erklingt ihre Stimme vom Band, sie ergänzt die Worte, der eben noch versonnen lauschende Daniel Morgenroth springt auf, verlangt nach seinen Pantoffeln – und während sich der Vorhang langsam schließt, schreiten beide aufeinander zu, der gemeinsamen Zukunft entgegen.

Kann „My Fair Lady“ im Jahr 2008 noch so enden? Muss die mühsam zur Selbstständigkeit gelangte Frau ihren Übervater nicht zur Hölle schicken, den Weg in die Freiheit wählen und ihn alleine gehen? Nur zur Erinnerung, die Story von George Bernard Shaw geht so: Sprachprofessor Higgins wettet mit einem Kollegen, dass er binnen sechs Monaten ein Gossenmädchen so trainieren kann, dass diese als feine Dame durchgeht. Er drillt das Blumenmädchen Eliza Doolittle so lange, bis sie tatsächlich fehler- und akzentfrei „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blüh’n“ aufsagen kann, der Ball wird für die Debütantin zum Triumph, doch die Wissenschaftler feiern nur sich selber. Als Eliza ausrastet, erkennt Higgins, dass er sich längst in das Objekt seiner Forschungsbegierde verliebt hat. Unfähig, seine Gefühle offenzulegen, ist er darauf angewiesen, dass sie den ersten Schritt tut. Und sie tut ihn.

Die deutsche Erstaufführung des Musicals von Frederick Loewe 1961 am Berliner Theater des Westens markierte eine ästhetische Zeitenwende: nicht weniger als die Durchsetzung des Genres „unterhaltendes Musiktheater“ in Deutschland. Die Schallplatte mit Karin Hübner und Paul Hubschmid hat im kollektiven Gedächtnis dieses Landes daher mindestens so tiefe Spuren hinterlassen wie manches Album der Beatles oder der Stones. Ob Regisseur Peter Lund oder seine Hauptdarstellerin Franziska Forster, ob die Premierenbesucherin Katharina Thalbach oder auch der Autor dieser Zeilen – gerne gesteht man, als Kind „My Fair Lady“-Junkie gewesen zu sein und jede einzelne Zeile der Songs auswendig zu können.

Denn es sind gute Songs, und Robert Gilberts deutsche Übersetzung ins „Export-Berlinerische“ (wie es Thomas Siedhoff im „Handbuch des Musicals“ formuliert) rettet ein Maximum des originalen Sprachwitzes. Verse wie „Und dann kommt sie statt mit Kant mit Bekannten angerannt: Und die reden über jeden und die ganz besonders Blöden, über dich!“ oder „Ihr Rückgrat, Ihr gestrafftes, hat direkt was Felsenhaftes“ sind Perlen einer längst vergessenen Kalauer-Kunst.

Natürlich hat dieses Stück über die Jahrzehnte Patina angesetzt. Das trieb auch Peter Lund um, als er daran ging, mit liebendem Blick „My Fair Lady“ im Admiralspalast zu inszenieren, dem ehemaligen hauptstädtischen Operettenhaus im Herzen des legendären Zwischenkriegs-Entertainmentviertels an der Friedrichstraße. Er hat sich von Jürgen Kirner ein abstraktes London um 1912 bauen lassen, mit wuchtiger Showtreppe in Kunstmarmor, einem edlen Art-DécoInterieur für Higgins’ Haus und putzigen Schaf-Stühlen für die Pferderennbahn von Ascot.

Zwittriger fallen Daniela Thomas’ Kostüme aus: Ihre High Society in Cremeweiß kommt nobel daher (wenngleich sie sich einen Stil-Fauxpas erlaubt: In Ascot tragen die Herren keine Strohhüte, sondern Zylinder!), die Kleider der Ballszene erinnern an die Uraufführungszeit des Musicals 1956, und die Klamotten der berlinernden Proletarier sind von heute, mit Chucks und Röhrenjeans, passend zu Andrea Heils MTV-modernen Choreografien. Fusion cuisine heißt das in der Gastronomie – und geht selten glimpflich aus. Auch der Admiralspalast operiert ausschließlich mit guten Zutaten, und doch will das Gericht hier nicht recht munden, zieht sich manche Szene des fast dreieinhalbstündigen Abends. Weil er zu viele Gegensätze versöhnen will.

Udo Kroschwald ist die Idealbesetzung für den küchenphilosophierenden Müllkutscher Doolittle, die Inkarnation des lebenslustigen kleinen Mannes, eine Wucht mit Wampe. Wo er auftaucht, hat der Boulevard Klasse. Am oberen Ende der Gesellschaftspyramide agiert Daniel Morgenroth angemessen aasig als vokalverrückter Egozentriker, ohne dass sein Professor Higgins ein Unsympath würde. Anton Rattinger gibt den Pickering traditionell-jovial, Dennis Jankowiak wirkt dagegen als geschmeidig-schmalzstimmiger Freddy wie ein Zaungast aus der Welt des Kommerzmusicals. Janokowiak macht ungewollt klar, wie weit diese Produktion von den geklonten Broadway- und Westend-Importen entfernt ist, mit denen Berlin nach dem Ende der goldenen Ära Helmut Baumann zu leben gelernt hat.

Im Bestreben, alles individuell und handgemacht zu präsentieren, hat sich Bandleader Adam Benzwi diesmal allerdings verhoben. Das Arrangement für die skurril besetzte siebenköpfige Combo, bei dem auch gerne mal Blockflöte und Spielzeug-Becken beim „kleinen Stückchen Glück“ zum Einsatz kommen, nimmt der Musik ihren Glanz.

Irgendwo zwischen Brecht/Weill und den „Possen mit Musik“ à la Claire Waldoff sollte diese dezidiert Berlinische Produktion wohl landen. Mit Schauspielern, die sich den Gesang ganz aus dem Text erarbeiten und die Nummern gedanklich stärker anschärfen können als Profisänger. Auch die kurzfristig als Eliza eingesprungene Franziska Forster geht in diese Richtung, mit Dagmar Manzel als überdeutlichem Vorbild, und fällt doch immer wieder auch in den genormten Musical- Tonfall zurück. Dabei wirkt sie grundsympathisch – wie die gesamte Produktion, die letztlich den kleinen, entscheidenden Schritt vom durchschlagenden Erfolg entfernt bleibt, den man ihr so sehr wünscht. „Et jreent so jreen, wenn Spaniens Bliethen blieh’n.“ Noch einmal!

Und noch 39 Mal! Bis zum 14. September ist die Laufzeit dieser „Lady“ festgelegt, Zeit genug für Kürzungen und Nachbesserungen. Auf dass der Saal bald erleichtert ausrufen kann: „Ich glaub, jetzt ha’m sie’s!“

Tickets: www. admiralspalast.de

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