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Der Tenor Benedikt Kristjánsson in "Tagebuch eines Verschollenen".

© Vincent Stefan

Musiktheaterexperiment an der Staatsoper: Gewagt und gewonnen

Zwei Stücke, ein Erlebnis: Francis Poulencs „La Voix Humaine“ und Leoš Janáceks „Tagebuch eines Verschollenen“ experimentieren in der Werkstatt der Staatsoper.

Ein Raum, die Wände verhängt mit grau melierter, schmutziger Pappe. Zwei mit Holzbalken angedeutete Häuschen, darin eine Frau, ein Mann, er geht umher wie ein Tiger im Käfig. Schweigen, Schlurfen. Bis die ersten scharfkantigen Klavierakkorde die Stille zerschneiden. Sie fängt an zu singen, auf Französisch. Dann er. Auf Tschechisch.

Die Berliner Staatsoper und Regisseurin Isabel Ostermann haben in der Werkstatt des Schillertheaters etwas ausprobiert: Francis Poulencs „La Voix Humaine“ und Leoš Janáceks „Tagebuch eines Verschollenen“ an einem Abend – aber nicht nacheinander, sondern gleichzeitig (am Klavier: Günther Albers). Was wie eine verrückte Idee anmutet, entfaltet schnell ganz eigene Sogkräfte.

Denn der Pariser Großstadtkomponist und der mährische Dorfschullehrersohn haben zwar in völlig verschiedenen Welten und Zeiten gelebt. Doch in der seelenzergliedernden, oft unbarmherzigen Schärfe ihrer Musik kommen sie sich nahe, und inhaltlich gehen Poulencs Einpersonenoper und Janáceks Liederzyklus sowieso in ähnliche Richtungen: In beiden Fällen sprechen einsame Seelen, hier die verzweifelte, Verlassene, die am Telefon ein letztes Gespräch mit dem Ex-Geliebten sucht, dort der Bauernsohn, der seine Familie verlässt, um dem Ruf der Liebe zu folgen.

Gefangen in der Isolation

Und so wird man denn gebannt Zeuge, wie Carolin Löffler sich mal hysterisch, mal in selig weltentrückter Leidensfreude ans Telefon krallt, mit rot umranktem Kuss- und Verzweiflungsmund, ein Gesicht wie ein Kontinent, ein Mezzo, der Flammen wirft. Benedikt Kristjánsson ist die stillere Figur, seine Züge geprägt von Traurigkeit, sein Tenor silbrig, transparent bis zur Durchsichtigkeit. Niemals kommunizieren die beiden direkt miteinander, sie bleiben gefangen, jeder in seiner Isolation. Und doch bilden sich auf tieferen Ebenen ungeahnte Überlagerungen, Interferenzen. Das Publikum, dicht aufgerückt auf Holzbänken, verfolgt die deutsche Übersetzung der Gesänge am Monitor und wird Zeuge, wie ein neues Stück entsteht. Da kann man nur sagen: gewagt – und gewonnen.

Wieder 12., 14., 22. und 23. November

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