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Begegnung am Beckenrand. Frank (Robert Elibay-Hartog) und Leyla (Marielou Jacquard).

© Matthias Heyde

Musiktheater: Im Swimmingpool unserer Erinnerungen

„Das schwarze Wasser“ und „Sensor“: Stücke von Roland Schimmelpfennig und Albert Ostermaier, vertont an der Neuköllner Oper und der Tischlerei.

„Neue Musik“ – unter diesem Sammelbegriff tummeln sich so viele disparate Strömungen, dass er fast komplett bedeutungsentleert ist. Jetzt paart sich das Genre in zwei Uraufführungen mit den Texten zeitgenössischer Autoren: Albert Ostermaiers „Sensor“ in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin und „Das schwarze Wasser“ von Roland Schimmelpfennig an der Neuköllner Oper. Beide setzten sich mit Erinnerung, mit Versatzstücken der Vergangenheit auseinander. Trotzdem sind zwei sehr unterschiedliche Stücke dabei herausgekommen.

Die Besucher der Neuköllner Oper gruppieren sich ums Newsdesk einer fiktiven Redaktion – „Die Zeitung“ –, während die Journalisten-Darsteller schon auf der Bühne stehen. Sie bewässern das spärliche Bürogrün, beugen sich über Fotos, diskutieren angeregt. Monitore an der Decke zeigen eine Eilmeldung: „Star-Politiker nach Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert“. Ausgehend davon erzählen die Journalisten sprechend und singend die Geschichte von „acht, nein neun“ Jugendlichen und ihrer Begegnung in einer Sommernacht am Becken eines bereits geschlossenen Schwimmbades. Spielerisch springen die Sänger und Sängerinnen von Rolle zu Rolle, Mann gibt Frau und umgekehrt, und dabei entspinnen sie in Montagetechnik eine Geschichte von vergangener Liebe und dem engen Korsett einer Gesellschaft, die von Geburt an bestimmt, welcher sozialen Schicht man angehört. Dem Scheinwerferlicht des Nachtwächters ausweichend, treffen sich die jungen Erwachsenen am titelgebenden „schwarzen Wasser“ des Beckens und nähern sich einander an, ganz besonders der aus gutem Hause stammende Frank (Robert Elibay-Hartog) und die Deutschtürkin Leyla (Marielou Jacquard). 20 Jahre später werfen die Journalisten ein Spotlight auf einen Moment vor der Haustür des künftigen Innenministers Frank. Er muss seiner Frau Cynthia (Hrund Ósk Árnadóttir) gestehen, dass er Leyla wiedergetroffen hat, sie ist Supermarktverkäuferin geworden. Und wurde vor 20 Jahren von ihm geschwängert.

Die Inszenierung verhandelt Themen wie Diskriminierung und fremdbestimmte Lebensentwürfe durch eine Collage von Kernszenen, die alle in der Jetztzeit der Redaktion nacherzählt werden. Die Musik, komponiert von den Brüdern Vivan und Ketan Bhatti, verharrt dabei in der Kommentierung. Das spärliche Orchester – Klavier, Violine, Viola, Violoncello, Bassklarinette und Schlagwerk – untermalt die Geschehnisse auf der Bühne. Zwischendurch werden leise elektronische Klänge oder ganze Dialoge vom Band gespielt. Jazz-Anleihen stehen neben musikalischen Ideen, die auch von Kurt Weill stammen könnten. Für Neue Musik klingt das alles ziemlich melodiös, funktioniert aber nur im Zusammenspiel mit der Bühne. Die Sängerinnen und Sänger zeigen große Spiellust und lassen eine gewaltige Energie beim Erzählen der ein wenig eindimensionalen, aber einfühlsamen Geschichte aufkommen.

Atmosphäre schaffen statt Erzählen

In der Tischlerei der Deutschen Oper indes scheint Narration komplett durch Stimmung abgelöst zu sein. Das Publikum kann die Bühne (Sophia Schneider) – ein zerstörtes Hotelzimmer, Bett, Sofa, Wandschrank und Waschbecken – von allen Seiten betrachten. Vorne und hinten sind Wände entfernt, an den Seiten stehen ein Paar Stühle für Zuschauer. Wer sich hier platziert, starrt jedoch nur auf die Seitenwände des Zimmers. Das Publikum sitzt also auf dem Boden, steht oder schlendert, während in dieser von Verena Stoiber inszenierten Installation mit Musik von Konrad Boehme drei Schauspieler mittels Satz- und Metaphernfetzen ein Mosaik zusammensetzen.

Den drei Schauspielern sind Namen zugeordnet, die zu Beginn jedes Kapitels an die Wand gestrahlt werden. Es beginnt mit „Sensor“ (Stephan Baumecker), der hektisch von eintönigen Hotelzimmern spricht, Impressionen aus Großstädten – U-Bahnen, Laufbänder, Hochhäuser – aneinanderreiht und von einer großen Erschütterung getrieben durchs Bühnenbild hetzt. „Endlich da sein, wohin ich gehöre“ möchte er. „Stay“ (Morgane Ferru) scheint an einer vergangenen Liebe zu hängen. Während sie Sätze wie „Ich bin ein Blatt, doch der Baum wurde gefällt“ in den Raum schleudert, zerschneidet sie sich mit einem Messer die Strumpfhose. Zuletzt resümiert „Nab“ (Ruth Macke) mit scharfen Worten, dass sie Defekte sammelt und aus diesen den perfekten Menschen erstellen möchte. Sie scheint gequält zu sein von einer Tat, die sie begangen hat – einer Tat, die das Geschichtsmosaik von Sensor und Stay ergänzt und zu einem Ganzen zusammensetzt.

Während die Narration zunehmend konkreter wird, lassen sich die Personen auf der Bühne besser in Zuständen beschreiben. Sensor strahlt eine große Rastlosigkeit aus. Stay ist in einer melancholischen Starre gefangen, kann sich nicht von ihrem Liebesobjekt trennen. Nab scheint kalte Bestimmung anzutreiben, große Verachtung. Diese emotionalen Entladungen werden von der musikalischen Begleitung – „Sensor“ ist ein Theaterstück mit Musik, kein Musiktheater – multipliziert und übersteuert. Klavier, Klarinette und Schlagzeug reichen aus, dazu leise elektronische Geräusche, die ab und zu aus Boxen tönen. Denn hier wird alles, von den Stimmen bis zur Musik, durch Lautsprecher vergrößert. Melodische Musik im herkömmlichen Sinne ist hier nur noch eine ferne Erinnerung.

Zwei Stücke also, die in ihrer Ausführung trotz aller Parallelen anders funktionieren. Während „Das schwarze Wasser“ beinahe zu eindeutig seine Geschichte erzählt, verliert sich „Sensor“ ein wenig in Andeutungen, scheut konkrete Aussagen. Aber die darf man wohl auch nicht erwarten, wenn man ein „elektrisches Musiktheater“ besucht.

„Das schwarze Wasser“, Neuköllner Oper, 28.–31. Januar (20 Uhr) und im Februar. „Sensor“, Tischlerei der Deutschen Oper Berlin, 26.–29. Januar (20 Uhr)

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