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Mal so richtig die Sau rauslassen. Das Ensemble in der „Grande Scène Comique“, kostümiert von Katrin Lea Tag.

© Monika Rittershaus

Musiktheater an der Komischen Oper: Des Teufels fette Beute

Barrie Kosky verhilft Mussorgskys „Jahrmarkt von Sorotschinzi“ an der Komischen Oper zu neuem Leben.

Einst lebte im ukrainischen Dörfchen Sorotschinzi ein Bursche namens Grizko, der liebte Parasja, die Tochter des Tscherewik. Und auch sie war ihm von Herzen zugetan. Doch weil Grizko nichts hatte, entschied Parasjas Stiefmutter, er sei der falsche Schwiegersohn. Verzweifelt vertraute er sich einem Freunde an. Der sprach: „Ich weiß ein Mittel, wie du doch Hochzeit mit deiner Liebsten machen kannst.“In Sorotschinzi gab es nämlich einen Aberglauben. Alljährlich während des Jahrmarkts, hieß es, suche der Teufel das Dorf heim, in Schweinegestalt. Das machten sich die jungen Männer für eine tolle Maskerade zunutze. Und so wurde Parajsa Grizkos Frau.

Es ist eine kleine Geschichte aus einem schattigen Winkel der Welt, die Nikolai Gogol 1832 veröffentlich hat. Aber manchmal taugen ja gerade die scheinbar nebensächlichen Dinge als Sinnbild für das große Ganze. Barrie Kosky jedenfalls, der Intendant der Komischen Oper, sieht im Mikrokosmos des Dorfes das gesamte menschliche Leben: „Religion, Aberglaube, Sex, Familie, Essen, Trinken, Ignoranz und Massenhysterie“ – all das findet er bei Gogol, und auch in Modest Mussorgskys Opernversion des Stoffes, dem „Jahrmarkt von Sorotschinzi“.

Wie auch sein Historiendrama „Chowanschtschina“ hinterließ der Komponist den „Jahrmarkt“ allerdings unvollendet, als ihn die Alkoholsucht 1881 dahinraffte, im Alter von gerade 42 Jahren. Es gab zwar mehrere Versuche, das Fragment des heiteren Dreiakters zur Bühnentauglichkeit zu bringen, doch Aufführungen des Werkes blieben rar. In Berlin war es zuletzt 1948 zu sehen, in der ersten Saison der von Walter Felsenstein neu gegründeten Komischen Oper.

Alltagsauthentizität und Absonderliches

Wenn sich nun Barrie Kosky den Ausflug des Schwarzsehers Mussorgsky in die lichten Sphären der Volksoper vornimmt, hat das mehrere Gründe. Zum einen liebt er Stücke mit grotesker Komik, in denen sich Alltagsauthentizität und Absonderliches mischen. Zum anderen liegt ihm daran, das Repertoire seines Hauses möglichst breit aufzustellen. In allererster Linie aber wollte er ein Werk für seine Chorsolisten inszenieren.

Spielfreudiger, flexibler und offener als die tolle Truppe der Komischen Oper ist derzeit wohl kein Chorkollektiv weltweit. Und mit ihrem Leiter David Cavelius haben die Sängerinnen und Sänger in den letzten Jahren auch äußerst erfolgreich an ihrem Klang gefeilt.

Bei der Premiere des „Jahrmarkts von Sorotschinzi“, wird es aber erst einmal stockfinster im Saal. Eine Bandura klingt durch diese Nacht, ein zitherähnliches, gezupftes Lauteninstrument aus der Ukraine. Dann setzten, immer noch im Dunklen, die um das Vocalconsort Berlin verstärkten Chorsolisten ein, wunderbar volltönend und homogen. In ihrem Gesang geht es um ein junges Mädchen, das durch die fest verriegelte Kammertür dem Lockruf ihres Liebsten lauscht. Wie Glühwürmchen glimmen zuerst die Bildschirme mit der Librettoübersetzung in den Zuschauersesseln auf, danach die Kerzen der Dorfbewohner auf der Bühne. Was so wunderbar tönt, ist ein „Hebräisches Lied“, das Rimski-Korsakow einst Mussorgsky gewidmet und das David Cavelius für den Chor bearbeitet hat.

Gewusel der Körper

Magischer, bezaubernder lässt sich ein Musiktheaterabend kaum beginnen. Ganz sanft geleitet Barrie Kosky das hauptstädtische Publikum in die ferne, fremde Welt des ukrainischen Landlebens des 19. Jahrhunderts, öffnet mit dem Licht-aus-Trick die Ohren für die slawische Atmosphäre des Stücks, diese verwirrend- faszinierende Melange aus „Verkaufter Braut“ und „Anatevka“.

Jetzt erst erwachen die Instrumente des Orchesters, malen eine romantische Morgenstimmung mit Flöten und Klarinetten, süßen Streicherkantilenen und einem murmelnden Bach in den Celli. Viel wird getanzt und gefeiert werden in den kommenden zwei Stunden, das Gewusel der Körper wird die weitgehend requisitenfreie Szene bestimmen. Denn wer solche Chorsolisten hat, braucht kein aufwändiges Bühnenbild. Was Kosky im Programmheft postuliert, ist hier tatsächlich szenisch zu erleben: „Das Dorf ist in der Musik und in den Körpern der Menschen.“ Katrin Lea Tags altmodisch-folkloristische Kostüme sind den Darstellern dabei sehr nützlich.

Mit derber Volksstück-Komik, wie sie sich nur Barrie Kosky traut, entfaltet sich die Handlung: das Sehnen und Seufzen der jungen Liebenden – Mirka Wagners ist eine zart-mädchenhafte Parasja, Alexander Lewis ihr anrührend leidenschaftlicher Grizko –, vor allem aber das Saufen und Fressen der Alten. Jens Larsen, der als fideler Bauer Tscherewik dauerbetrunken durch den Abend taumelt, ist grandios, Agnes Zwierko, seine angetraute Furie, noch grandioser. Mit der Bühnenpräsenz einer Dampframme und dem Organ einer Feuerwehrsirene wuppt sie die zentrale Szene, die in ihrer Küche spielt und während derer sie unter anderem ihren Liebhaber kurzerhand in einem – zum Glück schon ausgenommenen – Truthahn versteckt, als ihr Mann mit seinen Saufkumpanen hereinpoltert.

Gogol trifft auf Grand Guignol

Sehr lange reizt Kosky den Slapstick à la Herbert Fritsch aus, um dann genau in dem Moment, wo die Sache zäh zu werden droht, den Eisernen Vorhang herunterfahren zu lassen. Schnitt, unvermittelte Ruhe, Fokus auf Grizko, der einsam, zur Klavierbegleitung, das grausige Schlaflied aus Mussorgskys „Liedern und Tänzen des Todes“ singt. Später wird ein Auftritt des Herrenchores oben im zweiten Rang einen ähnlichen Effekt haben.

Es ist diese kluge Kontrast-Dramaturgie, mit der Kosky und sein Chefdramaturg Ulrich Lenz aus dem russischen Opern-Torso ein packendes Livekultur- Erlebnis machen. Mit der „Grande Scène Comique“ als Höhepunkt, wie Mussorgsky den geträumten Auftritt des Teufels nannte, dem er die wilde Hexensabbatmusik aus seinem Tongedicht „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ unterlegt hat. Hier trifft Gogol auf Grand Guignol, wird aus Maskerade, Tanz, Pantomime ein Gesamtkunstwerk.

Zu dem Generalmusikdirektor Henrik Nanasi in seiner letzten Premiere vor Vertragsende seinen Teil beiträgt, auf gewohnt zweckdienliche Weise. Obwohl das Orchester den slawischen Ton genau trifft, klangschön spielt und farbenreich, mit Emphase und, wo es passt, auch mit Peng, will es Nanasi auch hier nicht recht gelingen, aus der Rolle des verlässlichen Begleiters herauszutreten.

Wieder am 9., 14. und 22. April sowie am 13. Mai, 10. Juni und 16. Juli.

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