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Der Mensch und seine Größe. Szene aus dem „Amazonas“-Projekt.

© ddp

Musiktheater: Ach, Amazonas

"Der Blick des Anderen" – was verbirgt sich hinter diesem doch etwas abgegriffenen Motto? Ideologisches, Exotisches, Globales, kritisch Wohlfeiles? Musiktheater zur Rettung des Regenwalds: die 12. Münchner Biennale.

Die vier Uraufführungen der Münchner Musiktheaterbiennale demonstrieren vier radikal unterschiedliche Zugriffe. Und, um es vorwegzunehmen: Die Vorstellung, das Bild des Anderen ist vom Anderen an sich so weit entfernt, dass sich das neue Musiktheater hier genuin selbst infrage stellt.

Zu Beginn: Philipp Maintz’ „Maldoror“, schwarze Lyrik von 1870, in sieben Schlaglichtern als „Kommentar“ zu unserer Zeit gemeint. Das gelingt optisch-szenisch ebenso brillant wie musikalisch überzeugend. Feinnervige Klangorganismen meiden alles Illustrative, klischeehaft „Böse“, die Musik handelt sozusagen wörtlich aus dem Text selbst heraus. Auch Ausstatter Roland Aeschlimann und die Regisseure George Delnon und Joachim Rathke machen den Text zum theatralischen Gegenstand, Schriftprojektionen sausen durch den Raum, der eine überdimensionale Druckwalze darstellen könnte, in der der vergewaltigte Mensch als Täter und Opfer agiert. Exquisit die Sprecher-Sänger-Besetzung, virtuos die Präsenz des Sinfonieorchesters Aachen unter Marcus R. Bosch.

Auch in der zweiten Opernproduktion dient ein etwas abseitiges lyrisches Sujet dazu, theatralische Visionen zu entfachen: Aus Rilkes frühem, symbolistischem Dramolett „Die weiße Fürstin“ entwickelt der ungarische Komponist Márton Illés eine Scène polidimensionale, die alle Künste umgreift: kaum Aktion, nur Licht-Bild-Welten (Regie: Andrea Moses), oft akrobatisch in Szene gesetzt und schockierend konkret. Dazu zwei Klangkörper auf der Bühne und zwölf meist chorisch agierende Protagonisten – ganz schlau wird man aus dieser Versuchsanordnung nicht.

Riesenhaft dann das Unternehmen „Amazonas“, ein mehr als dreistündiges, dreiphasiges, multikulturelles und -mediales Projekt zur Rettung der Regenwälder des Amazonas und ihrer indigenen Einwohner, der Yanomami. Rettung des Anderen heißt hier ganz konkret: Rettung unserer selbst. Die Abholzung des letzten globalen Lungenflügels schreitet, wie wir wissen, tagtäglich voran, und ein Musiktheater im fernen alten Europa dürfte diesen Prozess zuallerletzt aufhalten. Drei Opera widmen sich dem Phänomen: „Tilt“ schildert die brutale Historie (Musik: Klaus Schedl, Text: Roland Quitt nach Sir Walter Raleigh), „A queda do ceu“, Der Einsturz des Himmels, beschwört die Gegenwart (Text wiederum von Roland Quitt, Musik von Tato Taborda), und die „Amazonas- Konferenz“ schließlich stochert hilflos in der Zukunft herum (Musik: Ludger Brümmer, Text: Peter Weibel).

Die Wahl der Mittel ist so sinnfällig wie entlarvend. Wo die westliche, kolonialistische Perspektive herrscht, im ersten und dritten Opus, da werden große Apparate aufgefahren. „Tilt“ spielt mit der Dialektik zwischen Darstellern und deren Liveprojektion (Regie: Michael Scheidl), Klangdateien und computergenerierte akustische Strukturen stehen für die Gewalt, mit der unsere letzten natürlichen Ressourcen seit dem 16. Jahrhundert ausgebeutet werden. Ohne gründliche Vorbereitung auf den Abend allerdings ist das kaum nachzuvollziehen. Dasselbe Problem hat Teil drei, die „Amazonas-Konferenz“, in der die Theoreme einer „rationalen Methode zur Lösung des Klimaproblems“ ad absurdum geführt werden sollen. Aufwendige experimentell-akustische Klänge in einem wiederum virtuellen Ambiente – die Ohnmacht des Menschen vor den anstehenden Problemen mündet hier bruchlos in die Ohnmacht des Zuschauers vor den auf ihn niederprasselnden Reizen. Gut gemeint, aber etwas ermüdend.

Wie ein Intermezzo der wahren Natur hingegen erscheint der Mittelteil des Projekts, jener „Einsturz des Himmels“, der die Yanomami und ihre Bedrohung ganz direkt und in einer völlig verwandelten Szenerie zeigt. Plötzlich wird das Theater fassbar und konkret, gleichsam real: Die Klänge und Figuren des Naturvolkes und seiner Schamanen, die Lyrik des Waldes, das alles spricht auf wundersam natürliche, ja magische Weise (Regie wiederum Michael Scheidl, musikalische Leitung: Heinz Friedl). Die Zuschauer erleben dieses Intermezzo gewissermaßen ambulant, sind dabei, greifen ein – und plötzlich macht sich alles, was wir in Europa Krise nennen, exemplarisch fest: Mit unseren schier unbegrenzten Mitteln und Möglichkeiten erschlagen wir uns selbst, Rettung, Klärung käme nur und buchstäblich aus „dem Anderen“.

Ebenfalls aus einer fremden Welt, aus China, kommt schließlich „Die Quelle“ von Lin Wang (Musik und Konzept), nach einem Text der Dichterin Can Xue: Eine moderne Frau wird gezeigt, äußerlich in der Arbeitswelt stehend, innerlich nach Bewusstwerdung strebend (nach eben jenem „Lauf der Quelle) und damit alle Kommunikation zerbrechend. Im Gegensatz zum pluralen Ansatz der anderen Premieren dieses Biennale-Jahrgangs arbeitet Lin Wang mit dem Klang der Stille und bleibt dank Regisseur Andreas Bode theatralisch, wenn man so will, ganz konventionell. Glänzende Protagonisten in einem tief auslaufenden Bühnenraum (David Schnell) finden zu einer hochstilisierten Aktion – die zwar auch Videosequenzen und Elektronisches nicht ausschließt, der rituellen Macht des Medialen aber in keinem Moment erliegt.

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