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König der Ströme. Der Kanadier Drake hält diverse Streaming-Rekorde.

© imago/ZUMA Press

Musikstreaming: Alles fließt mit Spotify und Co.

Playlisten statt Alben, Apps statt Radio: Wie sich der Pop durch Streamingdienste wie Spotify, Apple Music und Tidal immer weiter vom Tonträger entfernt.

Der Widerstand bröckelt. Bald wird das Kampfgeschrei der frühen Tage ganz verklungen und vergessen sein. Junge Popfans werden nicht mehr wissen, dass es einmal Zeiten gab, in denen bestimmte Songs nicht bei Streaming-Portalen abrufbar waren und sich Stars wie Thom Yorke, David Byrne oder Taylor Swift bitterlich über Spotify und Co. beschwerten. Und Bands wie Metallica, AC/DC oder die Toten Hosen sich gar weigerten, ihre Werke überhaupt für Streaming freizugeben. Inzwischen sind sie nahezu alle – mit Ausnahme der Ärzte – beim einen oder anderen Dienst vertreten. Selbst der lange nicht verfügbare Beatles-Katalog kann nun abgerufen werden.

Der Grund für dieses Umdenken ist offensichtlich: Eine neue, vielleicht sogar die finale Phase der Digitalisierung von Popmusik nimmt Formen an – die komplette Ablösung der Inhalte von einem Trägermedium. Natürlich sind die Songs und Alben auch weiterhin auf Festplatten gespeichert, allerdings liegen die Dateien nicht mehr auf den Rechnern der Hörerinnen und Hörer, sondern bei den Portalen. Wer ein Abonnement abschließt, kann sie nicht nur am Computer streamen, sondern auch in einer Smartphone-App speichern und somit unterwegs hören.

Diese Art des Musikkonsums wird mit großer Geschwindigkeit immer beliebter. Ende vergangenen Jahres gab es bereits 112 Millionen zahlende Abonnentinnen und Abonnenten, was einem Zuwachs von 60,4 Prozent entsprich, verglichen mit dem Vorjahr, und der Branche ein weltweites Wachstum von 5,9 Prozent bescherte, das größte seit Beginn der Erhebung durch die International Federation of the Phonographic Industry. Erstmals kamen damit die Hälfte der Einnahmen aus dem digitalen Geschäft.

Spotify gegen Apple Music

Ähnlich, allerdings ein wenig langsamer geht diese Transformation in Deutschland vor sich, wo die CD mit einem Marktanteil von knapp 54 Prozent (Vinyl: 4,4 Prozent) immer noch das beliebteste Medium ist. Wobei die Absätze genau wie bei den Downloads rückläufig sind, was durch die Streaming-Einnahmen aber mehr als ausgeglichen wird.

„Die große Frage ist nicht länger, ob Streaming die Zukunft ist, sondern welche Form diese Zukunft annimmt, wer davon profitiert und was das für die Hörer bedeutet“, fasst die Popwebsite „Pichfork“ die Entwicklung zusammen, die maßgeblich zur Eindämmung der Musikpiraterie beigetragen hat. Derzeit ist ein harter Konkurrenzkampf der Anbieter im Gange, einige kleinere Dienste wie Simfy oder Rdio sind bereits auf der Strecke geblieben. Marktführer ist das schwedische Unternehmen Spotify, das 50 Millionen zahlende Nutzerinnen und Nutzer hat. Weitere 60 Millionen nutzen das kostenlose, von Werbung unterbrochene Angebot. Über 30 Millionen Songs stehen für 9,99 Euro monatlich zur Verfügung. Genauso teuer ist Apple Music, das rund 40 Millionen Songs anbietet und aktuell von etwa 27 Millionen Menschen abonniert wird. Damit konnte der erst seit 2015 existierende Dienst seine Nutzerzahl innerhalb eines Jahres verdoppeln.

Jay-Z gehört der Dienst Tidal

Dahinter tummeln sich kleinere Portale wie Tidal, Deezer und Pandora, deren Abo-Zahlen sich im einstelligen Millionenbereich bewegen. Das Besondere an Tidal ist, dass es dem amerikanischen Rapper und Unternehmer Jay-Z gehört. Weitere Anteile halten etwa Beyoncé, Rihanna, Kanye West, Nicki Minaj, Daft Punk, Jack White, Madonna, Arcade Fire und Alicia Keys. Einige dieser Stars veröffentlichten ihre aktuellen Alben zuerst oder sogar exklusiv dort. So soll Beyoncés Visual Album „Lemonade“ dem Portal rund eine Millionen neue Abos eingebracht haben – wie bei allen Diensten sind Testangebote mitgezählt.

Auch Apple Music versucht die Popfans mit exklusive Veröffentlichungen – etwa von Drake, Taylor Swift und Frank Ocean – zu sich zu locken. Spotify vertritt eine konträre Position. „Unser Bestreben geht dahin, die althergebrachte Denkweise, dass man im digitalen Zeitalter noch auf der Knappheit von digitalem Gut bestehen sollte, durch viele positive Beispiele zu überwinden“, sagt Marcel Grobe, Pressechef für Deutschland. „Vielmehr glauben wir, dass man im Gegenteil möglichst viel und möglichst früh zur Verfügung stellen sollte.“ Er weist im Telefongespräch außerdem darauf hin, dass Alben beim Streaming ohnehin eine untergeordnete Rolle spielen. Playlisten und Abrufe über die jeweiligen Künstlerseiten seien die primäre Nutzungsform.

Algorithmen berechnen persönliche Playlists

Die Playlisten sind das Herzstück der Streaming-Dienste. Es gibt von Nutzer/innen selbst zusammengestellte Listen, von Redakteur/innen sowie von Gaststars kuratierte Themen-Playlists sowie die von Algorithmen generierten Songsammlungen, die genau auf die jeweilige Hörerin oder den jeweiligen Hörer zugeschnitten sind. Bei Spotify beispielsweise kommt jeden Montag die Playlist „Dein Mix der Woche“ heraus, der ist zwei Stunden lang und basiert auf den Vorlieben des Nutzers sowie denen, die einen ähnlichen Geschmack haben. Allein mit diesen automatisch erstellten Listen erzielt die Plattform rund eine Milliarde Streams.

Weil Playlisten so wichtig geworden sind – sie ersetzen für viele bereits das Radio –, lässt sich erkennen, dass manche Musikerinnen und Musiker auf eine hohe Kompatibilität ihrer Songs mit diesem Format hinarbeiten. Wohl am besten an die Streaming-Welt angepasst hat sich der kanadische Rapper und Sänger Drake, der mit „One Dance“ im letzten Jahr allein bei Spotify die Rekordzahl von einer Milliarde Streams erreichte. Das knapp dreiminütige, im mittleren Tempo vor sich hinpluckernde Popstück mit Dancehall-Touch und zwei Gastsängern tauchte in den Playlists zum Joggen, Autofahren, Feiern, Spazierengehen und Entspannen auf – eine fast perfekte Ausbeute, die man nur mit gefällig-unauffälligen Songs erzielen kann. „One Dance“ war eine der Singles von Drakes Album „Views“, das mit seiner Überlänge und stilistischen Vielfalt ebenfalls beste Voraussetzungen für den Streaming-Erfolg hatte – und auch einlöste.

Drakes neues Mixtape brach einen Streaming-Startrekord

Der vorläufige Höhepunkt von Drakes Liaison mit dem Medium war sein im März veröffentlichtes Album „More Life“, das er selbst als Mixtape bezeichnet und das sich dem Prinzip der kuratierten Playlist nähert. Prompt wurden die Songs schon am ersten Tag bei Apple Music und Spotify über 150 Millionen mal gestreamt – ein Startrekord auf beiden Plattformen.

Das beliebteste Streaming-Medium ist trotz des Booms dieser Dienste: Youtube. Und das, obwohl in Deutschland wegen des Gema-Streits und der zeitweilig gesperrten Videos viele junge Popfans zu Spotify kamen. Die Hälfte von dessen deutschen Nutzerinnen und Nutzer ist unter 30 Jahre alt. Was sich auch in den Listen der meistgestreamten Künstler zeigt: Namen wie Helene Fischer oder Udo Lindenberg tauchen dort nicht auf.

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