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Das Ensemble Modern unter Leitung von George Benjamin in der Philharmonie.

© Monika Karczmarczyk/Berliner Festspiele

Musikfest 2020: Zuckender Riese

Werke von Wolfgang Rihm und George Benjamin: Das Ensemble Modern gastiert beim Berliner Musikfest.

Einmal in die Hände geklatscht und schon spielen die Geigen Fangen. Die beiden Violinen balzen und umgarnen sich, Cello und Kontrabass turnen um sie herum, alles rennet, rettet, flüchtet.

Wolfgang Rihms „Jagden und Formen“ ist ein Klassiker der Neuen Musik, ein konvulsivisches, überbordendes Werk, das nach seinem Kompositionsbeginn 1995 lange nicht vollendet war. Im „Zustand 2008“, so der Zusatz, hatten Sasha Waltz und ihre Compagnie vor zwölf Jahren im Radialsystem dazu getanzt, 2014 erneut im Haus der Berliner Festspiele. Jetzt schenkte sich das Ensemble Modern zu seinem 40. Geburtstag eine Wiederaufführung.

Neben der ansteckenden Energie, die einen fast aus dem Sitz schnellen und die Musiker noch dann mit den Füßen wippen lässt, wenn sie pausieren, ist es die Lust an der Entdeckung, die diesen Musikfest-Abend in der Philharmonie so beglückend macht.

Dieser Knall, dieser Querschläger, er rührt von einer brutal gezupften Kontrabass-Saite. Jener Sirenengesang, ist es die Posaune, die ihn mit Fistelstimme hervorbringt? Jene kräftigen Schubser mit Pausen dazwischen, tun sich dafür alle 23 Musiker zusammen?

Rihms "Jagden und Formen", ein unentwegt mutierendes Werk

Gut 50 Minuten lässt Rihm den Hörern Zeit, sich mit seinem zuckenden, unentwegt mutierenden Klangriesen vertraut zu machen. Ob keckernde Flatterzungen-Bläser, synkopisch verzerrte Geschwindmärsche, Nachtwanderungen, Jazz-Anklänge, das rasend-virtuose Englischhorn oder die schrille Apotheose, die nicht das allerletzte Wort hat: Der Komponist würde sich gegen solche Assoziationen verwahren.

„Erklärung ist (mir) unmöglich“, lautet Rihms Mantra. Mögliche Missverständnisse vorsorglich ausräumen zu wollen, offenbare „geistige Hausputzmentalität“. Touché. Also stürzt man sich kopfüber in den Tumult dieses Sportstücks und ergibt sich den Elementen.

Der Brite George Benjamin, 2018/19 Composer in Residence bei den Philharmonikern, war auch vor zwei Jahren mit dem Ensemble Modern beim Musikfest aufgetreten. Wieder besticht er als Dirigent durch seine souveräne Umsicht. Eingangs hatte mit seinem Frühwerk „At First Light“ für sensible Ohren gesorgt. Sein Stück aus dem Jahr 1952 ist von William Turners Gemälde „Norham Castle“ inspiriert. Ein Tennisball, der im Glas hüpft, eine dröhnende Tuba, ein Glissandostrahl: Es sind viele Sonnenaufgänge, bei denen sich die fabelhaftesten Gestalten materialisieren.

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