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Die britische Musikerin Henrietta Smith-Rolla trägt den Künstlerinnennamen Afrodeutsche.

© Foto: Christopher Thomond

Musikerin Afrodeutsche im Porträt: Magie der Melancholie

Henrietta Smith-Rolla macht unter dem Namen Afrodeutsche elektronische Musik. Zur Eröffnung des CTM-Festivals tritt die Britin im Berghain auf.

Von Jonas Bickelmann

Die langen Fingernägel auf den Klaviertasten, das Klicken, das die Musik überlagert. Für Henrietta Smith-Rolla sprach etwas aus diesem Geräusch. „Ich dachte: Das ist es! Das ist alles!“, erinnert sie sich. Sie war damals ein kleines Kind und begleitete ihr Mutter, die als Putzfrau einer Klavierlehrerin in Devon arbeitete.

Mittlerweile kann Smith-Rolla selber Klavier spielen und Tausende kommen in die Clubs von London bis Ibiza, um die Musik zu hören, die sie unter dem Namen Afrodeutsche produziert. In der Nacht auf Samstag spielt die 38-Jährige bei der Eröffnung des CTM-Festivals im Berghain, wo sie auch ihre neue Videoshow zeigt.

Aufgewachsen ist sie in Devon

Dass sie es aus der südenglischen Grafschaft Devon in die berühmtesten Clubs der Welt geschafft hat, kann Afrodeutsche bis heute schwer glauben. Ihre Heimatregion besteht aus langen Landstraßen, über die Schafherden trotten, aus dramatischen Küstenlandschaften und blaugrünem Meer. Es war diese Idylle, diese Ruhe, die sich Henrietta Smith-Rollas Mutter für ihre Tochter wünschte.

Sie war bei ihrer Geburt erst 15 gewesen. Einige Jahre später entschied sie, dass sie ihre Tochter nicht in der Geburtsstadt London aufziehen wollte, sondern an einem weniger hektischen Ort. Devon, östlich von Cornwall im Süden Englands gelegen, kannte sie aus einem Urlaub. „Weil sie selbst noch ein Kind war, konnte sie nicht erkennen, dass es nicht so sicher war, wie sie gehofft hatte“, erzählt die Musikerin am Telefon.

Rohe Retro-Synthesizer und repetitive Drumpattern

Manchmal meint man die raue Schönheit des menschenleeren Landstrichs aus ihren Songs heraushören zu können. 2018 veröffentlichte Afrodeutsche ihr Debütalbum „Break Before Make“ bei Skam Records in Manchester. Der Labelgründer Andy Maddocks hatte sie zufällig auf einer Party spielen gehört und bot ihr einen Vertrag an. Afrodeutsche kombiniert auf dem Album rohe Retro-Synthesizer mit repetitiven Drumpatterns zu Tracks von klarer, manchmal fast hymnischer Schönheit. Trotzdem rutscht sie nie ins Pathetische ab.

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Melancholie und Dunkelheit sind für Afrodeutsche „angeborene Gefühle“. Diese durch Musik ausdrücken zu können, gibt ihr Halt. „Durch die dunkle Stimmung kann ich viele Dinge besser verstehen, an einem dunklen Ort kannst du rational sein.“ Die Musikerin hat bis heute tiefe Ängste. „In diesen Momenten ist alles sehr kompliziert und irrational“, sagt sie. Sie zögert nicht, auch diese Seiten ihrer Persönlichkeit anzusprechen. „Diese melancholische Gangart gibt dir Raum, freundlicher zu dir selbst zu sein, zu entschleunigen, zu atmen und dich weniger selbst zu beurteilen. Du sitzt in der Dunkelheit, aber da ist auch dieses Licht.“

Chopin, Satie, Debussy - sie liebt auch Klassik

Zu den Lieblingsbands von Afrodeutsche gehören Radiohead, deren Musik eine gewisse atmosphärische Verwandtschaft zu ihren eigenen Songs aufweist. Besonders gern mag sie das Album „Hail To The Thief“ sowie den Song „Jigsaw Falling Into Place“. Auch das Solowerk von Sänger Thom Yorke beeindruckt sie.

Immer wieder kommt Afrodeutsche zudem auf klassische Musik zu sprechen. „Chopin, Satie, Debussy. Ich kann mich schwer entscheiden, was mir am besten gefällt.“ Bis heute liebt sie das Klavier. Es gibt feinsinnige Piano-Kompositionen von ihr, die man unter ihrem bürgerlichen Namen auf Soundcloud findet.

Die Stücke würden sich gut als Soundrack für traurige Filme eignen. Tatsächlich hat sie schon vereinzelt Musik für Film und Fernsehen geschrieben, etwa für die Dokumentation „Kamali“, die gerade für den britischen Filmpreis BAFTA nominiert wurde.

Sie hat sich schon früh mit Deutschland verbunden gefühlt

Und wie kam es eigentlich zu ihrem ungewöhnlichen Künstlerinnennamen? Afrodeutsche erzählt, dass sie als Erwachsene begann, nach ihrem Vater zu forschen, den sie nie getroffen hatte. Sie fand heraus, dass er aus Ghana stammte und mit einem Stipendium in Deutschland war. Ohne zu wissen, warum, hatte sie sich schon früh zu Deutschland hingezogen gefühlt.

„Alles war auf einmal verbunden und kosmisch“, sagt sie. Während der Recherche stieß sie immer wieder auf ein Wort, das ihr gefiel.

„Afrodeutsche“ ist dieses Wort. Deutsch spricht sie zwar kaum, doch ihrem Berghain-Progamm hat sie einen deutschen Titel gegeben: „Amt der Seele“. Dafür hat sie sich von Requiems inspirieren lassen, Seelenhochämtern eben.

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Ihre Mutter lebt bis heute in Devon. Dort gibt es nur wenige Menschen in weiten Landschaften – und sie sind fast alle weiß. Als Jugendliche erlebte Afrodeutsche, deren Mutter ebenfalls schwarz ist, rassistische Gewalt.

„Ich wurde angeschrien, angespuckt und geschlagen. Es war ein rassistischer Ort.“

In ihrer Schule, wo ihr oft hinterhergebrüllt wurde, hatte es zuvor noch nie ein schwarzes Kind gegeben. Allerdings hatte Afrodeutsche dort auch einige gute Freunde und Freundinnen. „Eine war so etwas wie mein Bodyguard. Sie hat immer die Leute verjagt, die sich mit mir anlegen wollten. An Weihnachten bin ich ihr wieder begegnet. Wir haben geschrien und uns umarmt! Was sie getan hat, bedeutet mir so viel.“

Konzerte sind Momente großer Verletzlichkeit für sie

Auch ihre alleinerziehende Mutter gab Afrodeutsche Kraft. „Wir könnten einander nicht näherstehen“, sagt sie. „Wir sind ja nur 15 Jahre auseinander und sehen uns so ähnlich.“

Gemeinsam ist ihnen auch die Liebe zur Musik. Die Mutter sang im Chor, machte Afrodeutsche mit klassischer Musik vertraut und schenkte ihr das erste Kassettendeck mit Aufnahmefunktion.

Bis heute arbeitet Afrodeutsche nicht mit Notation, sondern zeichnet einfach die Melodien auf, sobald sie ihr in den Kopf kommen. Dann setzt sie sich ans Klavier oder an den Synthesizer und experimentiert.

Wenn sie nicht weiterkommt, macht sie eine Kaffee- oder Zigarettenpause. Eine noch größere Herausforderung sind für sie jedoch Auftritte. Auf einer Bühne zu stehen sei bis heute ein Moment großer Verletzlichkeit, sagt sie. Man brauche Mut, vor allem, um sich nicht selbst zu verurteilen.

„ It’s a headfuck, it’s a massive headfuck“, sagt sie und lacht.

Melancholie und Hoffnung

Bevor sie das erste Mal im Berghain spielte, hatte Afrodeutsche einen wiederkehrenden Albtraum. Sie träumte, dass sie nur eine einzige Platte dabeihat und damit vier Stunden füllen soll. Sie improvisiert, dreht die Platte um, arbeitet mit den Ellbogen.

„Dann kam der wirkliche Gig und es war magisch, magisch, magisch.“ Die CTM-Premiere wird ebenfalls etwas Besonderes: Afrodeutsche möchte in der Show ihr Gefühl der Vaterlosigkeit zum Ausdruck bringen. Melancholie wird sicher dazugehören, Hoffnung aber auch.
Konzert, Berghain, 24.1., ab 23 Uhr

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