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Kantate

© Rückeis

Musik: König von Kreuzberg

P.R. Kantate will mehr als "Görli Görli" und lässt einen eigentümlichen Jargon namens "Berlingua" entstehen. Sein neues Album feiert Berlin als Sprach-Oase.

Der Raum, in dem alles angefangen hat, befindet sich im dritten Stock eines Kreuzberger Hinterhofs. Enges, dunkles Treppenhaus, eine Doppeltür, dahinter die Ein-Zimmer-Wohnung, die Richard Haus als abgebrochener Student für ökologischen Landbau bezog. Er habe auf einem Hochbett gewohnt, erzählt er, darunter allerhand Equipment. Bis auf ein Laptop, ein Mikrofon, ein altes Tonbandgerät sowie eine Schallschutzkammer, die wie eine Sauna aussieht, ist davon wenig geblieben. Haus wohnt hier auch nicht mehr. Trotzdem hält er an dem Ort als seiner Keimzelle fest. Hier sei er entstanden, sagt er und meint den Song, der ihn berühmt machte und die Idee manifestiert, „dass man im eigenen Wohnzimmer alles machen kann“.

Der Sommer 2003 war ein guter Sommer. 300 Sonnenstunden, 74 Tage mit mehr als 25 Grad Celsius, kein Hochwasser. Die Fenster standen offen, die Ghettoblaster plärrten. Und zum Hit dieser Tage avancierte ein raffiniert gebauter Dancehall-Stampfer namens „Görli Görli“. Zumindest in Berlin, das immer dankbar für eine Hymne ist. „Oh, Mann, ick wohn ja nu Görli Görli“, stöhnte darin einer, dessen Name P.R. Kantate man noch nie zuvor gehört hatte, „Alter, das macht ein’ fix und fertiie.“ Gemeint war der Görlitzer Park und das Lebensgefühl in Kreuzberg. Dort wohnt Richard Haus alias Plattenreiter Kantate noch immer. Plattenreiter steht für Discjockey und verrät schon, dass er eine manische Ader hat. Er liebt es, Anglizismen ohne jede Distanz ins Deutsche zu übertragen. Dabei entsteht ein eigentümlicher Jargon. „Berlingua“ sagt Kantate dazu in Anlehnung an das karibische Patois-Kauderwelsch, das er ebenfalls perfekt zu imitieren weiß. Kantate ist ein Mundart-Künstler, der beste, den es in Berlin gibt.

Die Meisten halten ihn allerdings für einen Spaßvogel. Man kommt auch ziemlich durcheinander zurzeit. Macht nicht das Comedy-Duo Icke & Er jetzt ebenfalls auf Reggae samt berlinisch eingefärbter Sprach-Parodie? Und was, bitte, unterscheidet Kantates Coverversionen berühmter Achtziger-Jahre-Hits von den Albernheiten der fernsehüblichen Retro-Shows? Reicht es, über eine vielleicht etwas feiner justierte Ironie zu verfügen?

„Manche Leute schrein jetzt laut/ Die Melodien hier seien geklaut/ Dass P.R. sich so was traut/ das hätt' ick ihm nie zugetraut/ Andre Leute sagen bloß/ Was der da macht ist grandios“, besingt der Musiker zum Auftakt seines zweiten, jüngst erschienenen Albums „Dick in Jeschäft“ das Dilemma des den Songs anderer verfallenden DJs. Aber Kantate weiß die Kritik abzuwehren: „Und wennde wirklich glaubst, det waret schon/ Alter, ick hab noch mehr in petto.“ Es klingt wie ein Mantra zur Selbstberuhigung.

Die schmale dunkle Hornbrille, der wache Blick und der Kapuzensweater unterm Kordsacko verraten Bildung, Geschmack, Scheu. Der 33-Jährige hat wenig gemein mit dem Kerl, der unter einem verspiegelten Helm auf die Bühne springt und auch schon mal eine Krone trägt. Als „Görli-Görli-Mann“ ist er zum Sonderbotschafter der Berliner „Kopfsteinpflaster- Poesie“ (Kantate) avanciert. Dabei ist ihm der Song, der ihn berühmt machte, „dazwischengefunkt“, wie Kantate sagt. Er weiß, wie unwahrscheinlich sich das anhört. Aber Sommerhits passieren einfach. Es sind „Songs, die man nicht verhindern kann“, hieß es in der „Berliner Zeitung“ mit Blick auf Kantate. Und meist verschwinden mit ihnen auch die Interpreten, wenn der Sommer vorüber ist. Das hätte P.R. Kantate leicht passieren können. „Einen Sommerhit macht noch keinen Schwalbenschwarm“, sagt er nüchtern. Und singt auf seiner neuen Platte auch von den Regeln, die hinter den Kulissen über Triumph oder Vergessen entscheiden. „Dick in Jeschäft“ ist ein böser Song über den Musiker, der seine Songs auf CD-Rohlinge brennt, bis ihm das Geld ausgeht, und über den Produzenten, der hinter seinem Schreibtisch sitzt und all die guten Ideen, die andere haben, zugeschickt bekommt. Was ein Lied groß macht, das weiß P.R. Kantate allerdings noch immer nicht.

Vielleicht ist das der Grund, warum er sich, als seine Plattenfirma ihn fallen ließ, eingehend mit Songs beschäftigte, die es bereits schon mal geschafft haben. Viel „Analysearbeit“ sei nötig gewesen, um „Blaue Augen“ von Ideal oder Rio Reisers „König von Deutschland“ in etwas zu verwandeln, was auch von ihm selbst hätte stammen können. Meistens blieb bis auf den Refrain vom Original nichts mehr übrig und manchmal nicht mal so viel. „Blaue Augen“ schleicht nun als lässig-verlangsamter Reggae um die Straßenecke, der Rainbirds-Hit „Blueprint“ flirrt im Lichte eines hitzigen Afro-Pop, samt gebrochenem Akzent („Schi wolk ahäd alohn“), selbst dem abgenudelten „Da Da Da“ von Trio gewinnt Kantate durch westafrikanische Anklänge neue Seiten ab. Und eine absurde Perle der Neuen Deutschen Welle wie „Eisbär“ gerät unter seinen Händen zum wuchtigen Off-Beat-Monster. Dass seine Adaptionen sich mitunter dem kindischen Vergnügen verdanken, die Giftschränke der Popgeschichte zu durchstöbern, zeigen Songs wie „Karl der Kiffer“ oder „U Me Heart“, das auf Modern Talking zurückgeht.

P.R. Kantate betreibt seine Karriere seit Jahren strategisch. Sein Album nennt er „Paket“, als ginge es um eine Produktlinie. Mit befreundeten Fotografen, Graphikern und Produzenten arbeitet er, der schon als Kind in Rollenspielen zu entschweben pflegte, sorgsam am Gesamterscheinungsbild seiner Pop-Figur. Er hat ein eigenes Label (Stock & Stein) gegründet. Die Songs bastelt er am Laptop zusammen. Das Volkstümlich-Provinzielle, das der sprachlichen Engführung auf das Berliner Idiom inne wohnt, versucht er mit einer Musik aufzuwiegen, die von ganz woanders herkommt. Es grummelt, brodelt und zischelt im schweren Taktmaß Jamaikas. Dort hat er als 16-jähriger Austauschschüler mal ein Jahr verbracht. Als er zurückkehrte, hatte er sich zur Aufgabe gemacht, seine Heimat mit deutschsprachigen Ragga-Songs zu missionieren. Doch die Fantastischen Vier brachten ihren Hip-Hop-Hit „Die da“ heraus – und die Reggae-Revolution musste aufgeschoben werden. Die hat schließlich ein anderer angestoßen: Gentleman. Dem Kölner Reggae-Star, der sich die Musik als Traditionalist zu eigen macht, sieht sich Kantate als Antipode gegenübergestellt. Er winkt ab. „Es gibt viele Leute, die versuchen, wie ein Jammy zu reden“. Aber wie viel Arbeit werde in die inhaltliche Auseinandersetzung gesteckt? Gentleman gleiche einem blank geputzten Edelstein, sagt Kantate, er dagegen sei ein Zauberwürfel. Und meint die Mühe, die man mit ihm hat.

„Alle wollen sie nach Balin ziehn, weil sie meinen, hier sei es wunder-wunderschön“, demonstriert der frühere Fensterputzer, Stadtführer und Babysitter mit „In Balin“, was er unter inhaltlicher Auseinandersetzung meint. Der Song, na klar, eine Hymne, beschönigt nichts und feiert das viel beschworene Berliner Lebensgefühl als Arrangement mit dem Unerträglichen: „Weil hier die Leute dichter stehen/ Sich mit fremden Gesichtern sehen/ Sich gegenseitig auf den Trichter gehen/ Man kann det allet nicht verstehen.“

Vielleicht ist der größte Trumpf des P.R. Kantate sein einziger Makel. Während Berlin für Popmusiker deshalb als Magnet fungiert, weil die Stadt ihnen erlaubt, ihre Heimatbindung zu kappen, pointiert der gebürtige Berliner gerade das, was alle am liebsten loswerden wollen. Er tut es auf noble Weise, selten kalauernd, und wie sich insbesondere als Frontman seiner achtköpfigen Begleitband zeigt, mit dem Furor des Entertainers. Trotzdem: Mundart-Jongleure wie Deichkind, Torfrock, Rodgau Monotones und BAP befriedigen das Bedürfnis nach regionaler Nestwärme. Zur Kunstsprache hat sich kein deutscher Dialekt weiter entwickelt. Kann sein, dass Berlingua den Anfang macht. Die Mission des P.R. Kantate geht weiter.

P.R. Kantate, „Dick in Jeschäft“ ist bei Stock & Stein erschienen. Mit Band tritt er auf am 31.8. am Rathaus Lichtenberg, am 1.9. in der Kulturbrauerei sowie am 2.9. beim Museumsinselfest, jeweils 20 Uhr.

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