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Die Reihe "Music for Hotel Bars" wurde im Juni in der Lobby des Westin Grand eröffnet.

© Maria Sturm

Musik für Hotelbars: Die Stimmungsmacher

Eine ungewöhnliche Berliner Performance-Reihe widmet sich der Klangtapete zum Drink, live und aus der Box.

In der Hotelbar des Ritz Carlton tummeln sich recht viele Gäste, darunter zahlreiche junge Leute. Wer von den Anwesenden hier im Fünf-Sterne-Etablissement wohl eingeweiht ist? Eine knisternde Stimmung liegt in der Luft, ähnlich wie vor einem Flashmob.

Erstes Kuriosum: Vier Senioren latschen im Bademantel samt Gummilatschen durch die schicke Bar. Sind das vielleicht Dauergäste, die für einen Drink ins Erdgeschoss gekommen sind? Nein, wie sich bald herausstellt, sind die Herren Teil einer Performance, die der Komponist Neo Hülcker für die Bar des Ritz konzipiert hat. Dazu gehören außerdem eine häkelnde, ab und an überdreht auflachende Dame und zwei Frauen an einem Tisch am anderen Ende des Raums. Alle 20 Minuten steht eine von ihnen auf, stolziert zum Flügel, an dem schon der Pianist wartet, und trällert ein lyrisches oder dramatisches Lied in einer Fantasiesprache, die französische, deutsche und russische Laute zu einem bedeutungsheischenden Kauderwelsch verquirlt.

Entweder live gespielt oder vom Band

Einige Gäste sind sichtlich überrascht, aber die meisten scheinen eingeweiht zu sein. Auch Bastian Zimmermann ist da, der Kurator dieses und fünf weiterer Abende, an denen eine exquisite Hotelbar mit einem neu komponierten Werk bespielt wird. Im Juni ging es im Westin Grand los mit der Reihe „Music for Hotel Bars“, im September folgte das Bristol Hotel, und nach dem Ritz findet das vierte Happening am heutigen Dienstag im Waldorf Astoria statt. 2019 folgen dann noch Das Stue sowie das Concorde Hotel am Studio.

Zimmermann, ein junger Dramaturg für zeitgenössische Musik, reizt der soziale Raum der Hotelbar, weil er für alle offen ist und auch die erreicht werden können, die gerade nur zufällig da sind. „Wir haben bei unseren Vorbereitungen immer besondere Situationen erlebt. Einmal kam der türkische Außenminister mit seinen Bodyguards samt Waffen vorbei. Ein anderes Mal war Udo Lindenberg da oder auch die brasilianische Nationalmannschaft“, erzählt Zimmermann.

Ein abgeschlossener Raum und dennoch ein öffentlicher Ort: Definiert wird die Hotelbar auch durch ihre Einrichtung, das Licht, das Personal – und natürlich durch die Hintergrundmusik. Die dudelt entweder vom Band oder die Musiker spielen live. Beide Varianten sollen für das Wohlbefinden der Gäste sorgen, ohne sich allzu sehr aufzudrängen. Ein generelles Ziel lässt sich dabei nicht definieren, denn jede Bar ist anders. Welches Flair besitzt sie? Handelt es sich um ein Business- oder ein Wellnesshotel? Auch Parameter wie die Größe der Bar oder ihr Standort können sich auf die Musik auswirken.

Volles Haus durch Livemusik

Funktionale Musik, die uns ständig im öffentlichen Raum umgibt, hat viele Facetten. Die berühmte Fahrstuhlmusik soll etwa lediglich die Zeit und das peinliche Schweigen auf engem Raum überbrücken. Musik im Kaufhaus erzeugt nicht mehr als ein heiteres Grundrauschen, dessen angeblich umsatzsteigernde Wirkung nie belegt wurde. Und Barmusik? Sie muss dezent genug für den Hintergrund sein, dort Atmosphäre schaffen, und gleichzeitig seine Zuhörer unterhalten, wenn sie mal bewusst hinhören. Dafür eignet sich besonders live gespielte Musik.

Für Alexander Doerr, den Direktor des Hotels Das Stue in Tiergarten, hat sie einen klaren Vorteil: „Durch sie entsteht eine lebendigere, gelöstere Atmosphäre. Menschen bleiben deutlich öfter hängen, wenn sie im Vorbeigehen mal kurz ins Hotel schauen.“ Es habe ihn immer etwas geärgert, dass nicht mehr viel los war im Hotel, wenn sonntags die Gäste abgereist waren. Wo doch hier am Rand des Tiergartens viele Spaziergänger vorbeikommen. Seit beim Sonntagsbrunch eine Band auftritt, ist immer viel los.

Auch die Pianistin Sybille Briner hat beobachtet, dass sie mit ihren Auftritten Gäste in die Hotelbar zieht, sei es solo oder zusammen mit einem Saxofonisten. Sie organisierte bis vor kurzem die wöchentlichen Livemusik-Abende im Waldorf Astoria und spielte in vielen großen Hotels der Stadt. „Es gibt Stammgäste, die kommen immer, um bestimmte Duos zu sehen. Die genießen es, sich in dieser Atmosphäre mit einem Wein in die Bar zu setzen, bewusst zuzuhören und die Nähe zu den Künstlern zu haben. Die kommt in klassischen Konzertsituationen, selbst in Jazzclubs ja gar nicht zustande.“

Eine ungewöhnlich starke Interaktion zwischen Künstler und Publikum

Publikum und Künstler könnten hier viel stärker als sonst miteinander kommunizieren, meint sie. Gäste wünschen sich Titel, können auch die Lautstärke beeinflussen. Die Pianistin wiederum geht auf die Atmosphäre ein: „Ich habe in meinem Programm immer Titel, die ich auf jeden Fall spielen möchte. Aber es ist wichtig, flexibel zu sein. Wenn die Bar sehr voll ist, spiele ich mehr Stücke, die Stimmung machen.“ Oder solche, zu denen auch mal getanzt werden kann.

Die klassisch ausgebildete Musikerin liebt diese Interaktion mit dem Publikum: „Für mich ist es immer das Schönste, wenn ich Wünsche erfüllen kann. Wenn etwa ein Paar zu mir kommt und sich den Song ihrer Hochzeitsfeier wünscht.“ Neben dem pianistischen Können braucht Briner daher die Fähigkeit, Situationen aufmerksam und schnell zu erfassen. Ohne Wachsamkeit keine gute Barmusik, besteht doch die Herausforderung darin, Gespräche nicht zu stören, aber auch jene zu unterhalten, die zuhören wollen.

In naher Zukunft wird Künstliche Intelligenz Barmusik komponieren

„Die Musik vom Band ist aber eigentlich die schwierigere Aufgabe“, erklärt Alexander Doerr. „Sie spielt ja von morgens sechs Uhr, wenn das Frühstück beginnt, bis nachts um drei, wenn die Bar schließt. Da kann nicht durchgehend der gleiche smoothe Jazz laufen.“ Angepasst an Uhrzeit, Tag, Jahreszeit, Wetter, Stimmung und Image von Bar und Hotel hat sich Das Stue von einem Berliner DJ verschiedene Playlisten erstellen lassen.

Viele Hotels greifen für ihre Musik auf solche Listen von Dienstleistern zurück, die Musik speziell für Hotelbars zusammenstellen. „Ich habe solche recht starren Systeme in der Vergangenheit in anderen Hotels erlebt. Für ein typisches Businesshotel kann das reichen, aber unser Hotel ist durch seine Atmosphäre und die Lage am Zoo sehr anders.“

Ortswechsel. In zwei umgebauten Wohnungen in Friedrichshain tüfteln eine Handvoll junger Unternehmer und Komponisten an kleinen Schaltkreisen. Kling Klang Klong, das Kreativstudio für Sound, Musik und akustische Narrative, denkt über die Zukunft nach. Auch über die Zukunft von Barmusik. Sie sollte nämlich nicht nur die diversen Parameter von Temperatur bis Image berücksichtigen, sie muss auch einen gewissen Wiedererkennungswert haben. So wie die Einrichtung. Um momentgenau auf jede Verschiebung etwa von Wetter oder Lautstärke reagieren zu können, will das Studio mit Künstlicher Intelligenz arbeiten: „Schon heute kann man Situationen recht genau erfassen“, sagt Fernando Knof, der für die Konzeptionen des Studios zuständig ist. „Durch Anzapfen verschiedener Sensoren etwa in der Decke und den Rückgriff auf Informationen wie Tageszeit und Datum. Die Künstliche Intelligenz kann dann ausgehend von einer grundsätzlichen Klangfarbe, die für die Identifikation der Bar sorgt, auf all diesen Informationen basierend live Hintergrundmusik komponieren.“

Keine Konkurrenz zur Livemusik

Also keine bestimmten Songs mehr, sondern eine neue, einmalige, durchlaufende Musik – haargenau auf den Moment abgestimmt. „Besonders wichtig ist die Identifikation. Die Musik soll nicht einfach als Easy Listening im Hintergrund laufen, sondern durchaus Kanten und Ecken haben. Wenn sich die Gäste ein bisschen daran reiben, führt das automatisch zu einem Wiedererkennungswert und wirkt identifikationsstiftend“, betont Knof.

Der Livemusik wird die Künstliche Intelligenz wohl trotzdem erstmal keine Konkurrenz machen. Sybille Briner weiß, dass Gäste auch den visuellen Aspekt lieben. „Für sie ist es ein anderes Erlebnis, zu sehen, wie sich die Finger einer Pianistin bewegen. Die Augen hören mit. Ich stelle immer wieder fest, dass Leute dasitzen und einfach gucken, wie ich spiele, oder auch ans Klavier kommen und zuschauen.“

Das Walzerrad dreht sich

Die Komponisten der Reihe „Music for Hotel Bars“ schreiben ihre Werke ebenfalls speziell für „ihre“ Bar und den einen Abend, auch hier können die Gäste den Musikern und Performern zuschauen. Parameter wie das Wetter und die Gästeanzahl spielen bei den vorab komponierten Stücken natürlich kaum eine Rolle. Die Herausforderung besteht ebenfalls darin, die Balance zwischen Hintergrundbeschallung und konzertantem Auftritt zu wahren. Ein Ambiente zu schaffen und es zu steuern. Gerade für Komponisten der zeitgenössischen Musik ist das eine ungewohnte Situation, wie Kurator Bastian Zimmermann erklärt: „Oft bestehen bei Produktionen von Neuer Musik gewisse Tabus. Bestimmte Rahmen wie zum Beispiel Genres dürfen nicht verlassen werden.“ „Music for Hotel Bars“ erfordert dagegen eine gut hörbare, funktionale Musik, die gleichzeitig die in Hotelbars geläufige Musik hinterfragt.

Wenn an diesem Dienstag das nächste Programm der Reihe im Waldorf Astoria in der Bar aufschlägt, stammt die Musik von Martin Hiendl. Der Komponist hat es weniger performativ angelegt als an den anderen Abenden. „Ihm geht es um die Musik und die Länge, mit der sie im Hintergrund so vor sich hin spielt,“ sagt Zimmermann. Dafür verarbeitet Hiendl Walzerrhythmen und dreht sein „Walzerrad“ über Stunden, mit den Musikern vom Zafraan Ensemble. Manchmal nimmt man die Musik erst wahr, wenn man die Bar am Ende des Abends verlässt und der Hintergrundsound dem Klang der Großstadt weicht. Oder der Stille.

„Music for Hotel Bars“, wieder an diesem Dienstag, 18. Dezember, ab 18 Uhr, im Waldorf Astoria. Kommende Termine: 15. Januar ab 19 Uhr im The Stue, 26. Februar ab 20 Uhr im Concorde Hotel. Eintritt frei. Infos: www.musicforhotelbars.com.

Jonas Zerweck

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